Und jetzt?:"Zinsen zahle ich in Form von Büchern zurück"

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Bettina Roetzer übernimmt einen Buchladen in Giesing. Weil es kompliziert ist, als Buchhändlerin von einer Bank einen Kredit zu bekommen, leihen ihr nun Freunde und Kunden das nötige Geld

Interview von Gerhard Fischer, München

Bettina Roetzer schließt ihren Buchladen in Haidhausen. Das ist die schlechte Nachricht. Die gute Nachricht ist: Sie übernimmt von Montag, 8. April, an eine Buchhandlung in Giesing. Bei der Finanzierung helfen ihr Freunde, Bekannte - und Kunden. Roetzer, 57, stemmt sich damit gegen einen drastischen Trend: Die Zahl der Buchhandlungen in Deutschland ist zwischen 2007 und 2018 um ein Drittel geschrumpft. Die Zahl der Buchkäufer ging zwischen 2013 und 2017 um 6,4 Millionen zurück (minus 17,8 Prozent).

SZ: Frau Roetzer, warum schließen Sie nach acht Jahren Ihren Buchladen in der Lothringer Straße?

Bettina Roetzer: Ich hatte das tolle Angebot, die seit Jahrzehnten gut geführte Buchhandlung in Giesing zu übernehmen, weil der Vorbesitzer Gerhard Drechsler keine Kette wollte. Ich freue mich sehr darauf. Außerdem hat sich das Viertel hier in Haidhausen verändert - zwei Cafés und zwei kleine Läden in der Straße haben geschlossen. Die Laufkundschaft ist deshalb in den letzten vier Jahren weniger geworden. Der Buchladen ernährt mich zwar, aber ich kann keine Mitarbeiterin einstellen. Das hätte ich gerne getan, damit ich - zum Beispiel - mal wieder einen gescheiten Urlaub machen kann.

In Giesing können Sie eine Mitarbeiterin bezahlen?

Ja. Das ist eine Stadtteilbuchhandlung.

Was ist eine Stadtteilbuchhandlung?

Es ist die einzige Buchhandlung in Obergiesing, zur nächsten sind es knapp zwei Kilometer. Hier in Haidhausen kommt die nächste Buchhandlung schon nach 150 Metern. Das heißt, dass ich in Giesing auch ein anderes Sortiment haben werde, ein breiteres, weil ich nicht die Konkurrenz habe wie in Haidhausen ...

... und bestimmt haben Sie dann auch Bücher über die Sechziger, die ja in Giesing zu Hause sind?

Genau. Ich werde 1860-Bücher führen und bestimmt keine über den FC Bayern (lacht).

Sie haben einen unkonventionellen Weg gewählt, um Ihre neue Buchhandlung zu finanzieren - unter anderem bekommen Sie Darlehen von Kunden, und diese kriegen dann von Ihnen Büchergutscheine.

Es ist kompliziert, als Buchhändlerin von einer Bank Kredit zu bekommen. Da hat eine Bekannte zu mir gesagt: "Wir schaffen das auch ohne Bank." Und dann haben mir Kunden, Freunde und Bekannte private Darlehen gegeben.

Bettina Roetzer zieht mit ihrem Buchladen von Haidhausen nach Obergiesing. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Wenn einem Leute beistehen, ist das doch ein schönes Gefühl.

Ja, das ist super. Ich freue mich sehr über diese große Vertrauens- und Zutrauensbasis.

Lief das über Crowdfunding und einen Aufruf im Internet?

Nein, das ging über Mundpropaganda. Manche haben sich auch von selbst bei mir gemeldet, um mir ein Darlehen zu geben. Und die Zinsen, das sind vier Prozent, zahle ich in Form von Büchern zurück.

Das müssen Sie bitte genauer erklären. Wie viele Darlehensgeber haben Sie? Wie geht das mit der Verzinsung?

Es sind knapp 20 Leute, die zwischen 500 und 10 000 Euro gegeben haben - ganz unterschiedliche Menschen aus allen Ecken. Die Darlehen laufen über fünf, acht oder zehn Jahre. Wenn jemand 1000 Euro gegeben hat, bekommt er - bei vier Prozent Verzinsung - jedes Jahr einen Büchergutschein von 40 Euro. Das ist eine Win-win-Situation: Die Leute bekommen eine ordentliche Verzinsung von vier Prozent und hätten eh Bücher bei mir gekauft. Ich profitiere davon, weil mein Einkaufspreis für die Bücher ja niedriger ist.

Eine ältere Kundin bleibt vor dem Laden stehen und sieht das Plakat, auf dem steht, dass Bettina Roetzer die Buchhandlung in Haidhausen aufgibt. Sie guckt erstaunt und traurig.

Roetzer: Ach, wussten Sie das noch gar nicht?

Kundin: Nein, oje. Ich wohne zwei Häuser weiter - es war so schön, hier den Buchladen zu haben.

Roetzer: Ich bin ja künftig nicht so weit weg, meine neue Buchhandlung ist in der Tegernseer Landstraße.

Kundin: Ständig diese Veränderungen ... Kann ich noch was kaufen?

Roetzer: Klar.

In den vergangenen elf Jahren hat bundesweit jede dritte Buchhandlung dicht gemacht, unter anderem wegen der Konkurrenz aus dem Internet.

Ach, das mit dem Internet hat sich mittlerweile eingependelt, da kann man mit arbeiten. Das größere Problem sind momentan Netflix und andere Streamingportale. Das nimmt Menschen sehr viel Zeit und sie lesen weniger.

Trotzt dem Trend: Bettina Roetzer. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Es kommt wieder eine Kundin. Sie will wissen, ob ein bestimmtes Kinderbuch gut für ihren Sohn ist. Roetzer redet mit ihr über das unterschiedliche Leseverhalten von Mädchen und Jungen.

Sehen Sie, das kann nur eine Buchhandlung leisten: Beratung. Der Service, der menschliche, haptische Umgang miteinander, ist die beste Reaktion auf die Krise der Branche. Die Buchhandlung ist ein Ort der Begegnung. Und der Mensch soll dort Luft holen und entschleunigen, nichts soll ihn unter Stress setzen. Überhaupt wird mir viel zu viel geklagt, dass es in der Branche so schwierig ist. Es ist problematisch, zweifellos, aber da muss man sich halt was einfallen lassen und nicht jammern, wie gut es früher war.

Zum Beispiel?

Es gibt die Internetseite genialokal.de. Das ist ein Internetshop, der sich aber in einem grundlegenden Punkt von anderen Portalen wie Thalia unterscheidet: Es ist eine Buchgenossenschaft, in der sich 700 Buchhandlungen zusammengeschlossen haben. Man bestellt ein Buch bei genialokal und kann es in seiner Lieblingsbuchhandlung abholen. Wenn man es vor 17 Uhr bestellt, steht es am nächsten Tag im Regal; das ist schneller als Amazon. Und wenn der Kunde das Buch abholt, kann er sich im Buchladen umsehen, sich beraten oder inspirieren lassen - vielleicht sagt er: ,Ach, da gibt's ja noch etwas, was mich interessiert'. Mit genialokal kombiniert man die reale, haptische Welt mit der virtuellen Welt. Und noch etwas, was mir gefällt ...

Ja?

Die Angst der Verlage vor dem E-Book hat dazu geführt, dass sie wieder schönere Bücher produzieren, was das Cover, die Qualität der Seiten oder die Typografie angeht. Der Markt der illustrierten Bücher hat sich immens erweitert. Der neue Mut zur Wertigkeit ist gut, ich mag das nämlich nicht: Hauptsache billig und Geiz ist geil.

© SZ vom 02.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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