Österreich:Gretchenfrage für die FPÖ

Bundeskanzler Sebastian Kurz stellt sich plötzlich gegen den "schwammigen Kurs" seines rechtslastigen Koalitionspartners. Die Partei muss sich eindeutig abgrenzen von den Identitären, fordert er.

Von Peter Münch, Wien

Es kommt nicht oft vor, dass der auf Harmonie getrimmte österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz seinem Koalitionspartner von der FPÖ in die Parade fährt. Doch nun hat er aufhorchen lassen mit einer Erklärung, die für seine rhetorischen Verhältnisse fast schon als Wutrede durchgehen kann: "Ich dulde keinen schwammigen Umgang mit dieser rechtsextremen Bewegung", lässt er über die Oberösterreichischen Nachrichten wissen. "Daher erwarte ich, dass die FPÖ klar Position bezieht und, wenn es hier Verbindungen gibt, auch durchgreift und diese trennt. Jede Art von Verflechtung zu den Identitären gehört aufgelöst. Wegschauen geht nicht."

Die Gretchenfrage, wie es die rechte FPÖ mit den radikalen Identitären hält, ist aufgeworfen worden, nachdem bekannt wurde, dass der österreichische Identitären-Chef Martin Sellner eine Geldspende in Höhe von 1500 Euro von jenem Brenton T. erhielt, der Mitte März bei einem Massaker im neuseeländischen Christchurch 50 Muslime ermordet hatte. Es folgten eine Hausdurchsuchung bei Sellner und ein wie üblich einträchtig inszenierter Aufritt von Kurz und seinem Vizekanzler Heinz-Christian Strache. Der Kanzler brachte dabei ein mögliches Verbot der Identitären ins Spiel, Strache forderte "schonungslose" Aufklärung.

Zu dieser Aufklärung gehört allerdings auch, dass es durchaus Berührungspunkte zwischen den Identitären und der FPÖ gibt. Strache selbst hatte die Organisation noch 2016 für ihren "friedlichen Aktivismus" gelobt und auf Facebook deren Werbevideo verbreitet. FPÖ-Funktionäre sind auf Demonstrationen zusammen mit den Identitären marschiert. In Graz residieren die rechten Kader Medienberichten zufolge in Räumlichkeiten, die einem FPÖ-Gemeinderat gehören. In Linz betreiben sie ihr Zentrum in einem von FPÖ-Funktionären geführten Studentenwohnheim.

Die Opposition hält den Innenminister für ein Sicherheitsrisiko

Besonders in den Blickpunkt geraten ist wieder einmal Innenminister Herbert Kickl. Er mag vielleicht nichts dafür können, dass ihn Sellner jüngst erst als "besten Innenminister aller Zeiten" belobigte. Besonders gefallen hat dem Identitären-Chef die von Kickl verfügte Umbenennung der Erstaufnahmezentren für Asylbewerber in "Ausreisezentren". Den Beifall der Rechtsextremen hatte sich Kickl allerdings zuvor auch schon persönlich abgeholt als Festredner beim Kongress der "Verteidiger Europas". Die dort reichlich versammelten Identitären begrüßte Kickl, der damals noch FPÖ-Generalsekretär war, als "Gleichgesinnte" und forderte sie zu "Kampf" und "Widerstand" auf.

Für die Opposition ist dies erneut Anlass, Kickl aufs Korn zu nehmen. Auf Antrag von SPÖ und Liste Jetzt tagte Montagabend im Kanzleramt der Nationale Sicherheitsrat hinter fest verschlossenen Türen zur Frage der Verbindungen des Christchurch-Terroristen zu den Identitären. Peter Pilz von der Liste Jetzt bezeichnete Kickl als "Innenminister der Rechtsextremen, Identitären und Neonazis". Die SPÖ stuft ihn als "Sicherheitsrisiko" ein.

Bei solch hochschlagenden Wogen sah sich nun offenbar auch Kurz zum Eingreifen gezwungen - und zwar in einer Art, die zum ersten Mal den Koalitionsfrieden zu belasten droht. Nach dem Ministerrat am Mittwoch kam es zu einem Schlagabtausch zwischen Kanzler und Vizekanzler. Strache wollte klarstellen, dass "die Identitären nichts mit der FPÖ zu tun" hätten und forderte: "Aufgeregtheit begegnet man am besten mit Sachlichkeit". Dies habe er auch erst "in einem gewissen Alter" erkannt. Der junge Kanzler neben ihm erwiderte: "Ich glaube, wie man die Identitären sieht, ist keine Altersfrage, die kann man widerlich finden, egal wie alt man ist."

Er beließ es dabei nicht nur bei der nachdrücklichen Aufforderung an die FPÖ, sich klar von den Identitären abzugrenzen. Am Donnerstag wurde auf Drängen von Kurz ein Sperrvermerk für Identitäre beim Bundesheer wieder eingeführt, der zuvor vom FPÖ-Verteidigungsminister Mario Kunasek gelockert worden war. Vor allem aber hatte der Kanzler zuvor schon angekündigt, dass die Geheimdienste, die den beiden von der FPÖ-geführten Ministerien für Inneres und Verteidigung unterstehen, künftig auch an den Bundeskanzler und seinen Vize berichten sollen. Das war zwar schon im Koalitionsvertrag so vorgesehen. Doch die nun angekündigte "zügige" Umsetzung darf wohl als Signal des Misstrauens an die FPÖ verstanden werden.

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