Augsteins Welt:Armer Euro

Augsteins Welt: An dieser Stelle schreibt künftig jeden zweiten Freitag Nikolaus Piper.

An dieser Stelle schreibt künftig jeden zweiten Freitag Nikolaus Piper.

(Foto: Bernd Schifferdecker)

Die Wahlen zum Europäischen Parlament stehen ins Haus. 19 EU-Staaten haben den Euro als Währung. Gegen die Idee des Euro ist nichts einzuwenden, bei der Umsetzung hat es indes gehapert: Die internationale Solidarität kommt zu kurz.

Von Franziska Augstein

Die Bürger der EU dürfen demnächst ein neues Europäisches Parlament wählen. Sie wählen ihnen im Zweifelsfall unbekannte Abgeordnete in eine Institution, von deren Arbeit sie wenig Ahnung haben und die deshalb zusammen mit Europäischem Rat und EU-Kommission den Sündenbock abgibt für fast alles, was schiefläuft auf dem Kontinent.

Die Europäische Union leidet an ihrer Einführung: Die Rhetorik war überwältigend, die Bereitschaft zur Solidarität war klein. Frankreichs Präsident François Mitterrand wollte das geeinte Deutschland im Zaum halten. Deutschland wollte seine starke Mark nicht irgendwelchen Hallodris anheimgeben. So erstand die EU im Vertrag von Maastricht 1992 auf der Grundlage wirtschaftlicher Bedingungen wie zum Beispiel der, dass Staaten nicht zu viele Schulden machen dürfen. Sozialpolitik war zweitrangig.

Jahrelang wurde die EU von den meisten hingenommen wie das Wetter: Was kommt, das kommt. Gegen den Wechsel der Jahreszeiten hat man nichts. Über einzelne Tage - mal ist es zu heiß, mal ist es zu kalt, mal erscheint das Klima zu wechselhaft - wird allerdings lustvoll gemeckert. Mit der Osterweiterung zog das Tempo der Integration an, und viele Bürger hatten das Gefühl, von den Ereignissen überholt zu werden. Die Finanzkrise trug nicht eben dazu bei, das Vertrauen zur EU und zum Euro zu festigen.

Die Stimmen der Leute wurden lauter, die den Euro argwöhnisch betrachten. Interessanterweise wird die Kritik von unterschiedlichen Seiten vorgetragen. Hans-Werner Sinn, seinerzeit Präsident des Münchner Ifo-Instituts, schlug 2015 vor, Griechenland solle zur Drachme zurückkehren. In demselben Jahr argumentierte Joseph Stiglitz, der mehr auf Keynes' Gedanken baut, der Euro sei zwar an sich kein Fehler gewesen, aber unklug aufs Gleis gesetzt worden: "Die Währungsunion könnte der weitergehenden wirtschaftlichen Integration im Weg stehen."

Das Hauptargument ist simpel. Verwunderlich ist es, dass die Fürsprecher des Euro davon bei dessen Einführung nichts hören wollten: Wenn ein Land mit eigener Währung wirtschaftlich unter Druck gerät, kann es seine Währung abwerten; Exportgüter werden für ausländische Käufer billiger und lassen sich daher besser verkaufen. Ländern, die der Euro-Zone beitraten, steht diese Maßnahme freilich nicht mehr zur Verfügung. Stiglitz meint, da habe eine "Ideologie" sich Bahn gebrochen, die sich fröhlich von jeglichen Bedenken emanzipiert hatte. Von Euphorie beseelt, hätten die Schöpfer des Euro postuliert: Wenn Kapital und Arbeitskräfte frei flottieren könnten, würde die Wirtschaft in den Ländern der Euro-Zone automatisch effizient funktionieren. Die Kollision mit der Wirklichkeit - sie sei leider absehbar gewesen.

Die Euro-Ideologie beruhte auf der Annahme, der Handel in der Euro-Zone werde ungeahnten Aufschwung nehmen, wenn kein Unternehmen mehr Wechselkursschwankungen zu befürchten habe. Außerdem würden große Unternehmen aus reichen Ländern gern in ärmeren Ländern Fabriken bauen. Und so würden alle gemeinsam wohlhabend werden. Tatsächlich aber können große Firmen sich gegen Wechselkursschwankungen absichern. Außerdem investieren sie lieber dort, wo eine gute Infrastruktur besteht. Solche Länder, so Stiglitz, hätten höhere Steuereinnahmen, könnten ihre Infrastruktur verbessern und behielten also die Nase vorn, vor den ärmeren Nachbarn.

Ein Staat, der sich um seine Infrastruktur, gemessen an seinen Möglichkeiten, wenig gekümmert hat, ist die Bundesrepublik. Noch kann sie sich das leisten. Die "schwarze Null" wird nicht zuletzt finanziert vom Export. Dass der Export nur so lange lukrativ ist, wie es Länder gibt, die sich deutsche Waren (auf Kredit) leisten können, wird gern übersehen.

Deutsche Beschaulichkeit heutzutage ruht in der Überzeugung: Wenn der Staat fleißig spare, dann gehe es dem Land gut. In Deutschland grassieren Vorbehalte gegenüber den Schuldnerländern: Die könnten halt nicht wirtschaften. Auch deshalb wurde Griechenland von der "Troika" zu einem Sparkurs verdonnert, der viele Griechen in Armut gestürzt hat. Dass die Not der Griechen dem Wohlstand Deutschlands (im Besonderen seiner Banken) zugutegekommen ist, wird ignoriert.

Die Aufgabe der EZB darf nicht bloß Inflationsbekämpfung sein

Anstatt zu überlegen, wie die Euro-Zone gemeinsam aufgebaut werden könne, verheddern die Deutschen sich derzeit in der Vorstellung, "Verantwortung übernehmen" zu müssen, womit in aller Regel die Aufstockung des Wehretats und Militäreinsätze - idealerweise an der Seite der USA - gemeint sind. Emmanuel Macrons Vorschläge zur Fortentwicklung Europas hingegen kommen in Berlin nicht an.

Stiglitz für seinen Teil bemerkt: Sofern die Finanzkrise auch als Euro-Krise zu sehen ist, müsse das Versagen weniger bei Griechenland, Portugal, Spanien und Irland gesehen werden als vielmehr beim Euro: "Der Euro schuf die Eurokrise." Kanada und die USA haben ein Freihandelsabkommen: Das funktioniere wunderbar, auch ohne gemeinsame Währung. Die Europäische Zentralbank (EZB) habe, anders als die US-amerikanische Federal Reserve, den Auftrag, sich lediglich um Eindämmung der Inflation zu kümmern. Vor diesem Hintergrund waren die Worte des EZB-Chefs Mario Draghi mutig: Die EZB werde alles tun, um den Euro zu retten, sagte Draghi 2012, so gut er konnte, löste er das dann auch ein.

Die Zukunft des Euro hängt für Stiglitz auch davon ab, ob endlich begriffen werde, dass die Aufgabe der EZB nicht bloß in der Inflationsbekämpfung bestehen könne, sondern dass sie gesellschaftliche Aufgaben wahrnehmen müsse. Am Ende werde davon auch das prüde-sparsame Deutschland profitieren.

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