Riem:Aufs falsche Gleis gesetzt

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Diskussion ausgeschlossen: Anwohner erwarten sich beim Infoabend der Bahn über die Truderinger und Daglfinger Kurve einen konstruktiven Diskurs über alternative Streckenführungen - vergeblich. Der Austausch scheitert laut Veranstalter am schieren Andrang

Von Ulrike Steinbacher, Riem

Das hatten sie sich anders vorgestellt, die Riemer und Bogenhauser, die Truderinger und Berg am Laimer. Die Deutsche Bahn (DB) hatte am Mittwoch zum Infoabend über die Truderinger und Daglfinger Kurve eingeladen, und die Bürger hatten ihre Befürchtungen loswerden wollen, dass die Streckenplanung den ESV-Fußballplatz beeinträchtigen, den Hachinger Bach gefährden und vielen Anwohnern viel Lärm zumuten könnte. Hatten Antwort auf ihre Alternativvorschläge haben wollen - eine neue Trasse für die Truderinger Spange, Tunnel oder Tröge für die beiden Kurven.

Doch die Bahn legte den Begriff "Information" so aus, dass ihre Vertreter die Bürger über den aktuellen Stand unterrichten und nicht deren Einwände entgegennehmen sollten. Auf einen einführenden Vortrag und eine Diskussion wurde verzichtet, die Experten waren vor diversen Streckenplänen und Schallgutachten platziert, wo sie mit einzelnen Besuchergrüppchen im Stehen diskutierten. Man habe mit diesem Format sehr gute Erfahrungen gemacht, verteidigte sich eine Bahn-Mitarbeiterin gegen Unmutsäußerungen. Die Bogenhauser Bezirksausschussvorsitzende Angelika Pilz-Strasser (Grüne) kommentierte dies mit dem Satz, dann verstehe sie, warum Stuttgart 21 so schwierig gewesen sei.

Orange, blau und rot - am Umschlagbahnhof München Riem lagern Container über Container. Mit dem Bau der zwei Verbindungskurven soll eine Entlastung im Güterverkehr geschaffen werden. (Foto: Florian Peljak)

Denn was für zwei, drei Dutzend Interessierte funktionieren mag, scheiterte im Foyer des Luise-Kiesselbach-Hauses schlicht am Andrang: Etwa 200 Menschen suchten nach Infomaterial und Ansprechpartnern, der Geräuschpegel war immens, ein allgemeiner Austausch nicht möglich. Nach Pilz-Strassers Worten erwägt die Bahn nach dem missratenen Termin einen zweiten Anlauf. "Wir haben mit diesem Raum eine Fehlentscheidung getroffen", erklärt Franz Lindemair, Sprecher der DB für Großprojekte in Bayern. "Er war absolut zu klein." Auch hätte man besser kommunizieren müssen, dass es sich bei dieser Info-Veranstaltung nicht um eine Podiumsdiskussion handele. Dann wären, so der Sprecher weiter, nicht alle Interessierten auf einmal gekommen.

Zu besprechen gäbe es genug. Die Bahn will zwischen Daglfing und Riem eine zweigleisige Verbindungskurve im Trog bauen, zwischen Trudering und Riem eine eingleisige ohne Trog - beide elektrifiziert, beide so ausgelegt, dass Güterzüge sie mit Tempo 80 nehmen können. Zudem soll die eingleisige Truderinger Spange zwischen Trudering und Daglfing ein zweites Gleis bekommen, dort sollen die Züge Tempo 100 fahren können. Auf diese Weise werden der Münchner Nordring und damit die Strecke nach Norden bis zur Küste, das ostbayerische Chemiedreieck und die Verbindung zum Brenner und nach Italien effizienter verknüpft. 2030 soll alles fertig sein. Was im Großen dem europäischen Güterverkehr nützt, ist im Kleinen für die Anwohner nicht zwingend vorteilhaft. Aus Berg am Laim kommt schon die Idee, auch die Truderinger Kurve tieferzulegen. Der Bezirksausschuss Trudering-Riem hat inhaltliche Debatten bisher verschoben, um die - wenig erhellende - Infoveranstaltung am Mittwoch abzuwarten. Die Bogenhauser Lokalpolitiker fordern, die Daglfinger Kurve erst anzugehen, wenn auch der Tunnel für den viergleisigen Ausbau bis Johanneskirchen errichtet wird, weil sonst auf der Strecke deutlich mehr Züge unterwegs sind und die Bahnschranken in Daglfing gar nicht mehr aufgehen, vom Lärm mal ganz abgesehen.

Gefühlt immer zu: die Bahnschranke an der Graf-Lehndorff-Straße. Hier soll es, so der Plan der Bahn, eine Personenunterführung geben. (Foto: Florian Peljak)

Den Lärm fürchten auch die Anwohner des Karl-Breu-Wegs, die vom Ausbau der Truderinger Spange betroffen sind. Aus neuen Verkehrsfrequenzzahlen der DB Netz AG ergibt sich für sie "zumindest eine runde Verdoppelung des Verkehrs direkt vor unserer Haustür". Laut DB Netz AG waren 2017 tagsüber 46 Güterzüge auf der Truderinger Spange unterwegs, nachts 25. Nach dem Ausbau sollen es laut Prognose im Bundesverkehrswegeplan tagsüber 89, nachts 50 sein. Dies bedeute, dass nachts "alle sieben Minuten ein Zug vor uns vorbeidonnert", veranschaulichen die anwesenden Anwohner. Und bei einer Länge von 740 Metern brauche ein Güterzug etwa eine Minute, bis er durch sei.

Die Anwohner hatten der Bahn für die Verbindung von Trudering nach Daglfing schon im Februar eine Alternativtrasse weiter nördlich vorgeschlagen und dafür Unterstützung vom SPD-Landtagsabgeordneten Markus Rinderspacher bekommen. Ihm hat die DB Netz AG jetzt auch eine Antwort geschickt. "Den alternativen Anwohnervorschlag nehmen wir ernst", heißt es darin. Bis zum Sommer werde dessen Prüfung voraussichtlich abgeschlossen. Man wolle dem Ergebnis nicht vorgreifen, weise aber schon jetzt darauf hin, dass die Bahn für diese Variante mehr Grund kaufen, mehr Tröge, Brücken und Kreuzungsbauwerke errichten und mehr Straßen verlegen müsse, "was das Projekt deutlich teurer machen kann sowie auch zeitlich verzögern könnte".

Nach der Prüfung des Alternativvorschlags soll es, so Bahnsprecher Franz Lindemair, ein weiteres Gesprächsforum geben. Dann wohl auch anders konzipiert. "Uns liegt sehr daran, miteinander zu reden", sagt er. "Denn aus dem Dialog heraus erwachsen neue Ideen."

© SZ vom 05.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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