Kino:Der Fieberträumer

Hearts Of Darkness - A Filmmaker's Apocalypse - 1991

„Dieser Film handelt nicht von Vietnam, er ist Vietnam“: Francis Ford Coppola Ende der Siebzigerjahre bei den Dreharbeiten zu „Apocalypse Now“.

(Foto: Zm/Zoetrope/Kobal/REX)

Francis Ford Coppola wurde mit "Der Pate" und Apocalypse Now" zum Helden des New Hollywood. Jetzt wird der Regisseur 80. Wie kein zweiter kokettierte er mit dem Wahnsinn.

Von David Steinitz

Zu den lustigen Irrwegen der Filmgeschichte gehört die Anekdote, dass der amerikanische Regisseur Francis Ford Coppola und der deutsche Kabarettist Dieter Hildebrandt in ihren jungen Jahren aus Zufall einen Film zusammen gemacht haben - zumindest indirekt.

Hildebrandt schrieb Ende der Fünfzigerjahre das Drehbuch zu einer fidelen Schwarz-Weiß-Klamotte mit dem Titel "Mit Eva fing die Sünde an". Produziert wurde der Film von Wolf C. Hartwig, der später mit Lustmolchkunst wie "Schulmädchenreport" sein Geld verdiente.

In Kalifornien gab es zu dieser Zeit diverse Filmfabriken, die darauf spezialisiert waren, ausländische Filme billig einzukaufen, umzuschneiden und mit ein paar neu gedrehten Szenen aufzupeppen, um sie als B-Pictures in die US-Kinos zu bringen. Und so kam es, dass ein junger Filmenthusiast namens Coppola für eine Gage von 250 Dollar aus Dieter Hildebrandts Sittenkomödie um die sündige Eva den Softerotikfilm "The Bellboy and the Playgirls" (1962) bastelte.

Dafür drehte er mit ein paar Mädchen zusätzliche Nacktszenen, und zwar in Farbe und in 3-D, was sich so mittelgut in die deutschen Schwarz-Weiß-Sequenzen einfügte. Als er Jahrzehnte später auf dieses Werk angesprochen wurde, erinnerte Coppola sich vor allem daran, dass eins der Mädchen ihm gestanden habe, dass sie erst 17 sei, woraufhin er ihr geraten habe, vor der Kamera den BH anzulassen.

Mit George Lucas plante er den Vatermord in Hollywood, ihr Vorbild: Die Nouvelle Vague

Das Endergebnis wurde, vorsichtig gesagt, kein Hit. Aber durch Coppolas erste Mashup-Übungen wurde der legendäre Guerrilla-Produzent Roger Corman auf ihn aufmerksam. Dieser ermöglichte ihm eigene Filme wie den Gruselhorror "Dementia 13" (1963). Diese Auftragsarbeiten waren die wichtigste Lehrzeit für Coppola. Er studierte zwar auch an der Filmschule der University of California, die heute Kultstatus genießt. Damals aber war sie eher ein Ort für Wehrdienstverweigerer, um dem Vietnamkrieg zu entkommen.

Die Sechzigerjahre waren auch in Hollywood eine Zeit des Umbruchs. Die großen Filmstudios wurden von alten Männern geführt, an denen der Neorealismus und die Nouvelle Vague, die Jugendbewegung und der technische Fortschritt komplett vorbeigegangen waren. Auf dem Studiogelände von Warner lernte Coppola einen Praktikanten namens George Lucas kennen. Unter den Filmdinosauriern um sie herum waren sie mit Abstand die Jüngsten und die Einzigen, die Bärte trugen. Gemeinsam gründeten sie die Produktionsfirma American Zoetrope, die es sich zur Aufgabe machte, den für die Sixties-Generation obligatorischen Vatermord in Hollywood zu begehen.

Genau wie die anderen Regisseure des New Hollywood - Spielberg, Scorsese, Bogdanovich, Friedkin & Co. - wollten Coppola und Lucas das Kino auf den Kopf stellen, so wie die Filmterroristen von der Nouvelle Vague es in Europa vorgemacht hatten. Die Filme sollten nicht länger in verstaubten Studiohallen spielen, sondern auf die Straße geholt werden. Und sie sollten nicht mehr von übermenschlichen Leinwandgöttern, sondern von echten Menschen handeln, von ihrer Verführbarkeit und ihren Abgründen.

"Der Pate" war eine reine Auftragsarbeit, auf die er anfangs keine Lust hatte

Die Ablehnung des alten Betriebs bedeutete aber nicht, dass Coppola großen Budgets abgeneigt gewesen wäre. Er gab schon viel Geld aus, als er noch gar keins hatte, und führte ein ausschweifendes Leben in San Francisco (Familie) und Hollywood (Arbeit). Sein Verhältnis zu Geld fasste er in diesem schönen Mantra zusammen: "Es bedarf keiner Fantasie, um im Rahmen seiner Mittel zu leben."

Coppola hatte viel Fantasie, und bald viele Schulden, was im Rückblick aber ein Glücksfall war. Denn als die Produzenten des Paramount-Studios unter den Jungregisseuren des New Hollywood jemanden suchten, der ihnen ein Projekt namens "Der Pate" inszenieren sollte, klopften sie bei Coppola an. Der hätte statt der Verfilmung des Romans von Mario Puzo viel lieber eine Geschichte aus eigener Feder adaptiert. Aber nicht zuletzt, weil George Lucas ihn drängte, mit dem angebotenen Gehaltsscheck die Schulden der Firma zu begleichen, sagte er zu.

Wenn man den filmhistorischen Weihrauch mal beiseitewedelt, den "Der Pate" (1972) heute umgibt, sieht man dem Film trotzdem an, warum Coppola nur mäßig Lust darauf hatte. Denn der Film, dessen statischer, düsterer Look vor allem vom Kameramann Gordon Willis geprägt wurde, entstammte dem Geist der schwerfälligen amerikanischen Studiotradition; und nicht dem pulsierenden Anarchistenkino von Antonioni und Godard, das Coppola verehrte. Außerdem stritt er sich mit Paramount über alles, worüber man sich bei so einer Produktion nur streiten kann. Nicht zuletzt über die Besetzung von Al Pacino als Juniorpate Michael Corleone, den das Studio zunächst auf keinen Fall haben wollte: "Sie sagten zu mir, Al erinnere zu sehr an eine Kanalratte."

Für "Apocalypse Now" lieh ihm das Militär Helikopter zum Kriegspielen

Trotzdem machte der Mix aus Gordon Willis' Talent für Bilder und Coppolas Gespür für Schauspielerführung "Der Pate" zu einem Blockbuster. Coppola bekam eine Gage von etwas mehr als 100 000 Dollar, hatte sich aber vor allem eine Sechsprozentbeteiligung am Einspielergebnis gesichert - und die machte ihn zum Millionär.

Künstlerisch war Coppola trotzdem unzufrieden, weil er das Gefühl hatte, mit dem "Paten" seine Ideale als Künstler verkauft zu haben. Sein nächster Film "The Conversation" (1974) kam seiner Vorstellung von einem subversiven Kino viel näher. Der Thriller erzählt von einem Abhörprofi, der in einen Mordfall verstrickt wird. Der Regisseur nahm damit die Überwachungsparanoia des 21. Jahrhunderts vorweg und animierte Psychoanalyseliebhaber wie Slavoj Žižek zu Lobeshymnen. Nur an der Kinokasse räumte er damit nicht ab, was aber wiederum ein Glücksfall war. Denn seine Erfahrungen mit dem Mainstreamkino und dem Kunstkino bündelte er in "Der Pate II" schließlich zu einer beeindruckenden Synthese. So wie im Film die Macht der alten Mafiageneration auf den jungen Michael Corleone übergeht, vollzog Coppola auch ästhetisch den Übergang vom alten zum neuen Hollywood, von der Vergangenheit zu den Obsessionen der Gegenwart. Bei der Oscarverleihung 1975 gewann er dafür drei Oscars als Regisseur, Drehbuchautor und Produzent.

Das Geld und der Ruhm trugen allerdings auch dazu bei, dass Coppola, der seine Kindheit wegen einer Polioerkrankung und adoleszenter Schüchternheit als stiller Außenseiter verbracht hatte, der Hollywoodhybris verfiel. Und die trieb ihn Ende der Siebzigerjahre in den Dschungel, um sich auf einen Teufelsritt mit dem Wahnsinn einzulassen.

Den Plan, Joseph Conrads Erzählung "Herz der Finsternis" als Grundlage für einen Film über den Vietnamkrieg zu machen, hatte Coppola schon lange. Allerdings vollzog er die Nachstellung eines zum Scheitern verurteilten Dschungelkrieges nicht nur vor, sondern auch hinter der Kamera. Nach nur einer Woche beschloss Coppola, seinen Hauptdarsteller Harvey Keitel durch Martin Sheen zu ersetzen, der dann im Stress wiederum einen Herzinfarkt erlitt. Fast alle Schauspieler und Crewmitglieder, inklusive Coppola, waren high: Marihuana, Acid, Speed und Alkohol gehörten zu diesem Dreh wie der tägliche Mittagslunch. Weil der echte Vietnamkrieg ja noch lief, drehte Coppola auf den Philippinen, wo ihm das Militär eine ganze Hubschrauberflotte zum Kriegspielen auslieh. Nur mussten die Helikopter immer wieder vom Set abgezogen werden, weil die philippinischen Machthaber echte Rebellen im Hinterland jagen mussten.

Die Zeitungen in den USA titelten hämisch "Apocalypse when?"

Dann setzte die Regenzeit ein und spülte die Kulissen weg. Und Coppola musste mit seinem Privatvermögen für das hoffnungslos überzogene Budget haften. Schließlich kam noch Marlon Brando ans Set, der bei Vertragsabschluss hoch und heilig versprochen hatte abzunehmen, aber fetter eintraf als jemals zuvor. Außerdem weigerte er sich strikt, auch nur einen Satz zu sagen, der im Drehbuch stand. Die Dreharbeiten zogen und zogen sich, die Zeitungen in den USA titelten hämisch "Apocalypse when?".

Die Dreharbeiten sollten mal gute drei Monate dauern und knapp zwanzig Millionen Dollar kosten, aber Coppola brauchte anderthalb Jahre und knapp vierzig Millionen. Auf der Pressekonferenz beim Festival in Cannes sagte er: "Dieser Film handelt nicht von Vietnam, er ist Vietnam." Und das Werk entpuppte sich tatsächlich als Fiebertraum, wie es ihn in der Filmgeschichte kein zweites Mal gibt.

Seine Ehefrau Eleanor Coppola hat die Zeit damals mit einer 16-mm-Kamera dokumentiert, woraus später die Doku "Hearts of Darkness" entstand. Ein beeindruckendes Denkmal des Größenwahns, von dem Coppola noch länger getrieben wurde. Nach "Apocalypse Now" wollte er aus Goethes "Wahlverwandtschaften" einen zehnstündigen 3-D-Film machen, der aber nie zustande kam.

Jahrelang kämpfte er mit Depressionen und manischen Schüben. Von Großprojekten ließ er nach "Apocalpyse Now" fast ganz die Finger, was nicht nur gesundheitlich, sondern auch künstlerisch eine gute Entscheidung war. Man merkt dem Spätwerk Coppolas deutlich an, dass er immer dann noch mal richtig gut wurde, wenn er auf den ganz großen Apparat verzichtete und sich auf seine Geschichten anstatt auf die Logistik konzentrierte. Dazu gehören ein paar wilde Coming-of-Age-Storys aus den Achtzigern - "The Outsiders", "Rumble Fish" -, vor allem aber ein paar fiese kleine Filme aus der letzten Zeit.

Die Horrorkomödie "Twixt" zum Beispiel, die Coppola 2011 mit kleinem Team und handlichen Digitalkameras drehte. Darin zeigt sich noch mal die geballte Experimentierlust eines Mannes, der erst im fortgeschrittenen Alter durch die Möglichkeiten der Digitalisierung jene Filme drehen konnte, die er gerne als junger Mann gemacht hätte. Schon in den Siebzigerjahren sagte Coppola, der an diesem Sonntag 80 Jahre alt wird, dass das Kino erst dann vollends zur Kunstform werden könne, wenn es jegliche Form von Professionalität hinter sich lasse: "Dann wird vielleicht ein kleines, dickes Mädchen aus Ohio der nächste Mozart des Kinos, indem es einen wunderschönen Film nur mit dem kleinen Camcorder seines Vaters dreht."

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