Flossenbürg:Die letzten Seiten eines Krimis

Grabungen nach Mädchenleiche

Einsatzkräfte der Polizei suchten am Dienstag erneut nach der Leiche von Monika Frischholz. Am Montag gruben sie nahe Waldkirch das Wrack eines VW Käfer aus. Doch der Wagen scheint mit dem Vermisstenfall nichts zu tun zu haben.

(Foto: Armin Weigel/dpa)

Der Fall der vor mehr als 40 Jahren verschwundenen Monika Frischholz könnte kurz vor der Aufklärung stehen. Die Polizei gibt sich zurückhaltend, doch die Suche geht weiter.

Von Andreas Glas, Flossenbürg

Johann Werner weiß noch genau, wie er das halbe Dorf zusammengetrommelt hat. Damals, im Mai 1976. Die Feuerwehrleute, die Schützen, die Fußballer, alle hat Werner in die Ortsmitte bestellt und hinausgeschickt in die Wälder und die Steinbrüche rund um Flossenbürg. Ein Mädchen war verschwunden, zwölf Jahre alt, "alle wollten suchen", sagt Werner. An mehreren Tagen waren die Suchtrupps unterwegs, immer nach Feierabend, stundenlang. Am Ortsausgang sind sie losmarschiert, in Richtung Floß. Nach Floß wollte das Mädchen ja, bevor sich seine Spur verlor. In Waldkirch zu suchen, fünf Kilometer entfernt, in einer ganz anderen Richtung, "auf diese Idee sind wir nicht gekommen", sagt Werner.

Nun, fast 43 Jahre später, sucht die Polizei genau dort nach der Leiche von Monika Frischholz, die am 25. Mai 1976 verschwunden ist: an einem Waldrand bei Waldkirch in der Oberpfalz. "Polizei findet ein Autowrack" steht auf der Titelseite der Lokalzeitung, die am Dienstagmorgen bei Johann Werner, 79, auf dem Esstisch liegt. Auf dem Foto sind die rostigen Überreste eines grünen VW Käfer zu sehen. Ist es das Auto des Mörders? Wurde das Auto vergraben, um Spuren zu vernichten?

Das Auto habe "keine Bedeutung", sagt Werner, der früher Grenzpolizist war und bis 1999 Bürgermeister in Flossenbürg, 21 Jahre lang. Es ist nur eine Vermutung, die er da äußert. Aber im Laufe des Dienstags verdichten sich die Anzeichen, dass das am Montag ausgegrabene Auto tatsächlich keine große Rolle spielt für die Ermittler, die den Fall im vergangenen Jahr neu aufgerollt haben. Man hört das zwischen den Zeilen, wenn man mit den Polizisten spricht. Man kann es aber auch daran sehen, dass ein Polizeibagger das Autowrack am Dienstagmittag etwas unsanft zur Seite räumt. Geht man so mit Beweismaterial um? Eher nicht.

Die Frage ist: Was hat die Spurensicherung noch gefunden in dem Graben am Waldrand? "Einen Haufen Müll", sagt Polizeisprecher Florian Beck am späten Dienstagnachmittag. Und, auch das sagt er jetzt: "Kleine Knochen", wahrscheinlich Tierknochen. "Man kann das aber nicht abschließend beurteilen", sagt Beck, das sei Aufgabe der Rechtsmedizin. Auch am Dienstag schaufeln und hacken uniformierte Polizisten in dem Loch, das immer größer wird. Rund um das Loch stehen zwischenzeitlich drei Bagger. Immer wieder fällen Männer mit Schutzhelmen Bäume, um mehr Platz für die Grabungen zu schaffen. Um 17.30 Uhr sagt Polizeisprecher Beck, dass die Arbeiten "für diese Woche durch" seien. Aber: "Es geht weiter", sagt Beck, womöglich in der kommenden Woche.

Grabungen nach Mädchenleiche

Monika Frischholz war zwölf Jahre alt, als sie verschwand, damals suchten viele nach ihr.

(Foto: Polizeipräsidium Oberpfalz/dpa)

Wird die Polizei hier am Waldrand fündig werden? "Das fragen sich alle", sagt Manuela Schreiber, während sie ein dickes Stück Leberkäs vom Laib abschneidet. Die 49-Jährige trägt Schürze und Kurzhaarfrisur. Sie ist Verkäuferin in der Metzgerei Witt, direkt neben der Flossenbürger KZ-Gedenkstätte. Seit Montagmittag gebe es im Laden kein anderes Thema mehr, sagt Schreiber. "Das wühlt die Leute schon auf. Alle wollen erfahren, was passiert ist. Das ist wirklich ein Krimi."

Ein Krimi. Das trifft es ganz gut. Es gibt ja Krimiserien, die sich ausschließlich mit sogenannten Cold Cases befassen. Mit Kriminalfällen, die seit Langem ungelöst sind und deswegen eine besonders große Faszination haben. Bereits im vergangenen Dezember, als die Kripo Weiden bekannt gab, den Fall Frischholz neu aufzurollen, sei in der Metzgerei viel darüber gesprochen worden, sagt Manuela Schreiber. In Flossenbürg, knapp 1700 Einwohner, "kennt ja jeder jeden".

Auch ihre beiden älteren Brüder seien mitmarschiert, als der halbe Ort loszog, um nach Monika Frischholz zu suchen, erzählt Schreiber. Sie selbst war damals erst sechs Jahre alt. Aber dass "ein Mädchen verschwunden ist", das habe sie schon mitbekommen. Und dass ihre Eltern ihr danach immer eingetrichtert haben: Steig niemals bei Fremden ins Auto! Wer sich zurzeit umhört in Flossenbürg, der kriegt das öfter so erzählt.

Damals waren sich ja alle sicher, dass Monika Frischholz in ein fremdes Auto gestiegen ist. Auch die Ermittler gingen lange davon aus. Auf Youtube gibt es einen Ausschnitt der Fernsehsendung "Aktenzeichen XY..., ungelöst" aus dem Mai 1977. Darin ist nachgestellt, wie Monika Frischholz mit zwei Freundinnen durch Flossenbürg spaziert. Sie erzählt, dass sie sich nachher mit dem 18-jährigen Paul treffen werde, "der will jetzt mit mir gehen". Mitten im Ort trennen sich die Wege der Freundinnen. Dann ist zu sehen, wie Monika Frischholz in Floß in ein gelbes Auto mit dem Ortskennzeichen "LÜ" steigt. Damals gab es dieses Kennzeichen in Lüdenscheid und Lünen, beides Städte in Nordrhein-Westfalen. Eine ältere Frau hatte das so der Polizei erzählt.

Heute wissen die Ermittler: Die Frau hat sich getäuscht. Die neue Ermittlergruppe habe diesen "alten Verdacht ausräumen" können, teilte die Polizei bereits im Januar mit. Man habe eine Zeugin ermittelt, die Monika Frischholz "zum Zeitpunkt ihres Verschwindens zum Verwechseln ähnlich gesehen hatte". Die Hinweise, die eingegangen sind, nachdem die Polizei den Fall neu aufgerollt hat, scheinen dagegen stichhaltig zu sein. Mehrere Dutzend Hinweise sollen es sein. Von "wertvollen neuen Erkenntnissen" ist die Rede. Nach SZ-Informationen wussten die Ermittler bereits vor Beginn der Grabungen, dass sich ein Auto unter der Erde befindet. Trotzdem versucht Polizeisprecher Florian Beck, die Erwartungen am Dienstag ein wenig zu dämpfen. Nein, es habe keine Festnahme gegeben, sagt er. Und dass es auch sein könne, "dass die Grabungsarbeiten zu keinen Ergebnissen führen".

Alfred Faltermeier dagegen ist optimistisch, dass der Fall kurz vor der Aufklärung steht. Faltermeier, 80, war Klassenlehrer von Monika Frischholz. Er weiß noch genau, wie deren Tante am Morgen des 26. Mai 1976 vor seiner Haustür stand und sagte: "Die Monika ist nicht daheim." Faltermeier ist einer der wenigen Menschen, die sich ganz konkret an das Mädchen erinnern. Ihre Eltern, ihre Geschwister, alle sind tot. Zuletzt starb ihr jüngerer Bruder, zwei Monate ist das her. Auch Alfred Faltermeier sitzt am Dienstagmorgen am Esstisch in seinem Haus in Flossenbürg, auch auf seinem Tisch liegt die Lokalzeitung mit dem Foto des grünen VW Käfer auf der Titelseite. "Jetzt kocht es", sagt er. Jetzt sei es nur eine Frage der Zeit, dass "der Deckel hoch" gehe, sagt Faltermeier. Oder besser: Er hofft es. Alle hoffen das in Flossenbürg, fast 43 Jahre nachdem dieser Krimi begonnen hat.

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