Konjunkturbericht:IWF trifft drastische Prognose für die Weltwirtschaft

Weservertiefung

Der IWF nennt unter anderem internationale Handelsstreitigkeiten als Grund für die gesenkten Wachstumsprognosen.

(Foto: dpa)
  • In seinem halbjährlichen Konjunkturbericht hat der Internationale Währungsfonds (IWF) seine Vorhersagen erneut deutlich gesenkt.
  • Als Gründe dafür nennt er vor allem Handelskonflikte und andere politische und wirtschaftliche Turbulenzen.
  • Prinzipiell hält es der IWF aber für möglich, dass der derzeitige Wachstumseinbruch nur vorübergehend ein Problem bleibt.

Von Claus Hulverscheidt, New York

Sicher, es gibt auch gute Nachrichten auf diesen 54 Seiten, die wohl wichtigste unter ihnen lautet sinngemäß: Eine neue Weltwirtschaftskrise ist noch vermeidbar. Doch damit ist man auch umgehend beim weniger erfreulichen Teil des halbjährlichen Konjunkturberichts, den der Internationale Währungsfonds (IWF) an diesem Dienstag vorgelegt hat. Voraussetzung nämlich, dass es gelingt, den Abwärtstrend zu stoppen, ist aus Sicht der IWF-Experten, dass die großen Industrie- und Schwellenländer künftig auf Streit, Chaos und billigen Populismus verzichten und stattdessen an einem Strang ziehen. Es spricht wenig dafür, dass die Handelskombattanten in Washington, Peking und Brüssel, die Brexit-Hitzköpfe in London und die Schuldenmacher in Rom dem Appell so einfach Folge leisten werden.

Zum dritten Mal binnen weniger Monate hat der Währungsfonds seine Konjunkturprognosen für weite Teile der Welt teils drastisch zurückgenommen. Man muss nur das Beispiel Deutschlands betrachten, um die ganze Dramatik des Wachstumseinbruchs zu erkennen: Noch im vergangenen Sommer sagten die Ökonomen der Bundesrepublik für 2019 einen Anstieg des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 2,1 Prozent voraus. In der jetzigen neuen Schätzung sind es gerade noch 0,8 Prozent, auch die Aussichten für 2020 sind mit plus 1,4 Prozent mau. Allein in diesem Jahr würden damit rund 50 Milliarden Euro an Wirtschaftsleistung fehlen, mit denen Politik und Unternehmen noch vor Monaten fest gerechnet hatten. Das hätte spürbare Folgen für die Firmenbilanzen wie für die Staatskasse.

Mit einer genauso scharfen Abwärtskorrektur müssen unter den Industrieländern nur noch Italien und Mexiko klarkommen. In Italien wird das Wachstum 2019 laut Prognose mit 0,1 Prozent vollständig zum Erliegen kommen, gemeinsam mit der Bundesrepublik ist das Land damit Schlusslicht unter den führenden Volkswirtschaften. In Frankreich, Großbritannien und Japan sieht es mit Zuwächsen von einem Prozent oder knapp darüber kaum besser aus, und selbst in den USA dürfte das Wachstum von knapp drei Prozent im vergangenen Jahr auf 2,3 Prozent in diesem und 1,9 Prozent im nächsten Jahr zurückgehen. Präsident Donald Trump, der die Wirtschaft 2018 mit seiner Steuerreform kräftig befeuert hatte, wäre damit zurück auf jenem Niveau, das er beim Amtsantritt vorgefunden und seinem Vorgänger Barack Obama stets wortreich vorgehalten hatte.

Von einem "heiklen Moment" für die Weltwirtschaft spricht Gita Gopinath, die Chefvolkswirtin des Währungsfonds. Das Tragische an der Entwicklung ist dabei aus Sicht des IWF, dass die plötzliche Talfahrt nicht etwa die Folge finsterer Börsenmächte oder schwer beeinflussbarer Marktkräfte ist, sondern das Ergebnis politischer Fehler. Als Ursachen für den Abschwung nennen die Experten in ihrem Bericht unter anderem die fortgesetzten Handelsstreitigkeiten zwischen den USA, China und Europa, den Rückgang der Autoverkäufe nach der Einführung neuer Abgasnormen in Deutschland, den wochenlangen Stillstand der Regierungsgeschäfte in Washington sowie die politischen und wirtschaftlichen Turbulenzen in Argentinien und der Türkei. Hinzu kommen die geldpolitische Normalisierung in den USA und Europa sowie die striktere Kreditvergabe in China.

Prinzipiell hält es der IWF für durchaus denkbar, dass sich der derzeitige Wachstumseinbruch am Ende nur als Delle erweisen wird. So verweist der Fonds unter anderem auf die Ankündigung der Notenbanken in den USA und Europa, die Geldpolitik vorerst nicht weiter zu straffen. Hinzu kämen die kräftigen Wachstumsimpulse der Regierung in Peking sowie die Hinweise auf ein mögliches Ende des amerikanisch-chinesischen Handelsstreits. "Eine globale Rezession ist deshalb nicht unser Basisszenario", so Gopinath. Zugleich gebe es aber viele Risiken und "Unsicherheitsfaktoren", die Wirtschaft und Finanzmärkte nervös machten. Dazu zählten eine mögliche Verschärfung der laufenden Handelsstreitigkeiten oder gar eine Ausweitung des Konflikts auf wichtige Branchen wie die Autoindustrie, zusätzliche Wachstumseinbrüche in China und Europa sowie noch mehr Chaos beim Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union.

Sollte sich der Abwärtstrend fortsetzen, müsse Deutschland vorangehen

"Angesichts dieser Risiken ist es unerlässlich, dass kostspielige politische Fehler vermieden werden", erklärte Gopinath. Dringend notwendig seien vielmehr "kluges Handeln" und eine sehr viel "engere multilaterale Zusammenarbeit, um Handelskonflikte zu lösen, die Probleme des Klimawandels und der Internetsicherheit anzugehen, und die Effektivität der internationalen Besteuerung zu verbessern". Dass sich viele Staaten bei praktisch allen diesen Punkten nicht einmal in der Ursachenanalyse, geschweige denn in der Frage der richtigen Lösungskonzepte einig sind, erwähnt der Währungsfonds in seinem Konjunkturbericht nicht.

Sollte sich der Abwärtstrend fortsetzen, wäre aus Sicht des IWF eine konzertierte Aktion der großen Volkswirtschaften der letzte Rettungsanker: global abgestimmte, zugleich aber länderspezifische Konjunkturprogramme mit dem Ziel, die Binnennachfrage zu stärken. An vorderster Front marschieren müssten dabei Länder wie Deutschland, die aufgrund weitgehend gesunder Staatshaushalte über mehr finanziellen Spielraum verfügen als andere. Genau gegen eine solch teure Vorreiterrolle jedoch hatten sich die Bundesfinanzminister der jüngeren Geschichte stets gewehrt. Amtsinhaber Olaf Scholz wird in der zweiten Wochenhälfte zur Frühjahrstagung von IWF und Weltbank in Washington erwartet.

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