Altersvorsorge:Durchblick im Renten-Durcheinander

Mature woman working with computer while sitting at desk Mature woman using laptop at desk Copyright

Kann vielleicht bald weniger Parodien im Netz sehen: mutmaßlicher Satire-Fan vor dem Laptop.

(Foto: Julia Pfeifer/imago/JuNiArt)
  • So wie ein Finanzportal mehrere Konten anzeigen kann, könnte in Zukunft ein staatliches Online-Portal den Rentenstand aus gesetzlicher, betrieblicher und privater Altersvorsorge zeigen.
  • Die Hoffnung: Wenn die Bürger mehr Überblick über ihre finanzielle Situation im Alter haben, bereiten sie sich besser vor.

Von Martin Hogger

Die deutsche Altersvorsorge ist vieles, aber nicht übersichtlich. Zu unterschiedlichen Zeitpunkten im Jahr flattern unterschiedlich gestaltete Auflistungen aus den drei Säulen - der staatlichen, betrieblichen oder privaten Altersvorsorge - in die Briefkästen von Millionen Deutschen. In dieser Gemengelage aus Zahlen einen Überblick zu behalten, ist hart. Dazu kommt, dass die Träger nicht bei allen Vorsorgeprodukten diese sogenannten Standmitteilungen verschicken müssen. Wenn die Rente dann fließt, ist die Zahl auf dem Konto dann oft niedriger als erwartet.

Frühzeitig Handlungsbedarf zu erkennen, soll nun einfacher werden. Union und SPD haben sich deshalb im Koalitionsvertrag auf eine "säulenübergreifende Renteninformation" unter Aufsicht des Bundes geeinigt. Wie eine solche aussehen könnte, zeigt ein Forschungsbericht, den die Universität Ulm und Aon Hewitt, die Beratungstochter des Versicherungsmaklers Aon, vor Kurzem vorstellten.

"Bürger müssen sich einen Überblick verschaffen können", sagt André Geilenkothen. Er ist Partner bei Aon Hewitt und Co-Autor der Studie. In der skizzieren die Verfasser eine Plattform, auf der die Bürger alle erreichten und noch erreichbaren Rentenleistungen abrufen können. Innerhalb der kommenden zwei bis drei Jahre solle und könne bereits mit der Pilotphase des Systems gestartet werden, sagt Geilenkothen. "Mit der Studie lässt sich ein solches System in kürzester Zeit umsetzen. Das ist ein riesiger Fortschritt."

Allerdings hört sich der Plan einfacher an, als er ist. Das Grundproblem: Die Studie strebt an, dass der Versicherte unterm Strich eine konkrete Zahl erfährt, nämlich was er aus allen drei Rentenarten künftig im Monat genau zu erwarten hat. Doch diese Zahl hängt von einer Reihe unsicherer Faktoren ab: Wie entwickelt sich das Einkommen und damit die Beträge des Versicherten, wie entwickelt sich der Zins, wie erfolgreich legt der Versicherungsträger das Geld an? Das Portal soll zwar genau anzeigen, was im Alter jeden Monat ausgezahlt wird. Doch ob es künftig auch so kommt, ist unsicher, weil die Zahl aus einer Menge von mehr oder weniger groben Schätzungen zusammengerechnet worden ist. Deshalb sind Verbraucherschützer nicht nur begeistert von dem Vorschlag.

Das Konzept sieht vor, die einheitliche Plattform schrittweise aufzubauen. Am Anfang sollen die Versorgungsträger freiwillig mitmachen. Um eine Verpflichtung komme man aber irgendwann nicht herum, ist Geilenkothen überzeugt: "Es wird ja nicht einfacher. Die Erwerbsbiografien werden immer kleinteiliger."

Das Portal könnte so funktionieren: Der Bürger gibt bei der Plattform zunächst an, wie und wo er für das Alter vorgesorgt hat. Die Plattform soll Zugriff auf die Standmitteilungen der Träger bekommen. Ein Algorithmus soll aus allen Informationen dann die für den Bürger relevanten herausfiltern und übersichtlich darstellen. Die Informationen würden demnach nur auf Nachfrage gesammelt und könnten allein vom jeweiligen Kunden gespeichert werden. Das soll ausschließen, dass Versicherungen auf eine riesige Datensammlung fremder Kunden zugreifen können. Da das Portal die Zahlen nicht selbst erzeugt, müsste der Staat als Betreiber auch nicht haften, sollten die Zahlen falsch sein.

Geilenkothen sieht in dem Forschungsbericht lediglich eine Skizze für die Machbarkeit einer solchen Plattform, keine fertige Anleitung, die nur noch von Programmierern umgesetzt werden müsste. Wichtige Punkte sind deshalb noch offen: Es ist nicht klar, welche Daten gesammelt, wie sie aufbereitet und den Rentenversicherten genau gezeigt werden sollen. Das festzulegen, sei Aufgabe der Politik, die auch die gesetzliche Grundlage für eine solche Plattform noch schaffen müsse, sagt Co-Autor Geilenkothen. Die wichtigen Werte könnten jedenfalls aus den Standmitteilungen der Träger abgelesen werden. Das wären zum Beispiel Auszahlungszusagen, angenommene Zinsen und Kosten. Diese sollten zusammengerechnet und verständlich dargestellt werden, so transparent wie möglich.

Das Programm soll einen Brutto-Betrag anzeigen

Weil für die meisten Versicherten zählt, wie viel am Anfang jedes Monats aufs Konto überwiesen wird, soll ein Algorithmus die geschätzte monatliche Rente abbilden. Das wäre die entscheidende Zahl, der Wert, an dem sich die Menschen orientieren würden. Das Konzept sieht einen Brutto-Wert vor, in heutiger Kaufkraft berechnet. Steuern werden also nicht abgezogen, trotzdem sollen Versicherte so in der Lage sein, einzuschätzen, wie viel sie sich von ihrer Rente später leisten können. Im Idealfall gibt die Plattform damit den Bürgern eine Orientierung, ob sie mit ihrer Vorsorge auskommen oder doch noch lieber etwas mehr für ihre Rente tun wollen.

Der Knackpunkt aber bleibt die Zahl, die genau diese Orientierung geben soll. Zumindest anfangs wird es keine einheitlichen Regeln geben, wie die Versicherer ihre Beiträge errechnen müssen. Und die hängen stark von Prognosen ab. Ein scheinbar sicherer Wert basiert also auf unsicheren Annahmen. "Eine solche Zahl unterliegt immer einer gewissen Unsicherheit", gibt Geilenkothen zu. Seine Studie empfiehlt trotzdem, die Prognosen der Versicherungen zu verwenden. Es gebe keine vergleichbaren Vorhersagen. So müssten unterschiedliche Gehaltstrends in den Branchen und unterschiedliche Annahmen über die Entwicklung der Kapitalmärkte berücksichtigt werden. In der Studie steht: "Eine nur annähernd umfassende Abbildung all dieser Aspekte existiert aktuell nicht und würde massiven Aufwand an Zeit und Kosten nach sich ziehen." Deshalb solle der Staat für das Portal diese Daten verwenden.

Kritik von den Verbraucherzentralen

Verbraucherschützer finden das nicht gut. "Damit machen es sich die Autoren der Studie zu leicht", sagt Lars Gatschke vom Verbraucherzentrale Bundesverband. Es gebe durchaus einheitliche Daten, die für die gesetzliche Rente oder Riester-Produkte verwendet würden. Zudem ist die Eingliederung von etwa 1,7 Millionen Beamten in das System noch nicht geklärt: Die Beamtenversorgung müsste erst eine Infrastruktur für die Plattform schaffen. Überhaupt kritisiert Verbraucherschützer Gatschke an der Studie, dass sie "auf Versicherungsprodukte ausgerichtet und deshalb mit einer Versicherungsbrille geschrieben worden ist". In der Tat arbeiten neun der elf Beteiligten an der Studie für die Versicherungs-Tochter Aon Hewitt. "Es fehlen Produkte wie Aktienfonds, die der Kunde ebenfalls als Altersvorsorge versteht", bemängelt der Verbraucherschützer.

Co-Autor Geilenkothen hält dagegen, dass Fonds in der Darstellung der Übersicht von der dritten Säule, der privaten Altersvorsorge, abgedeckt wären. Allerdings könne man nicht jeden Fonds berücksichtigen: "Wir denken, dass ein Fonds dann der Altersvorsorge dient, wenn eine Auszahlung zeitnah zum Ruhestand stattfindet." Es gibt also noch viel zu klären, bevor die Plattform überhaupt programmiert werden kann: Welche Daten nimmt man, wie verarbeitet man sie, was sind die Annahmen für den Rentenwert? Für Co-Autor Geilenkothen steht jedenfalls fest: "Wegen der Unsicherheiten sollte die Zahl, die den Versicherten übermittelt wird, vorsichtig geschätzt werden." Heißt: Lieber zu niedrig als zu hoch, lieber die Menschen warnen, als sie in falscher Sicherheit zu wiegen. Geilenkothen weist darauf hin, dass die Zahl auch nur zur Orientierung da sei. Je näher die Menschen dem Renteneintritt kämen, desto genauer werde auch die Prognose. Ein Wissenschaftler hält die zu starke Vereinfachung jedoch für problematisch.

"Einfache Zahlen können gefährlich werden", sagt Felix Brodbeck, Professor für Wirtschafts- und Organisationspsychologie an der Universität München. "Einmal genannt, klammern sich die Menschen an solche Zahlen", sagt er. "Was wirklich dahinter steckt, wird immer unwichtiger." Auf die zentrale Renteninfo-Plattform bezogen: Wer durchkämmt noch detailliert eine Standmitteilung, wenn die künftige vermeintliche Höhe der Rente online in einer Zahl zusammengefasst steht?

Wie könnte man also einen solchen Betrag verlässlich darstellen? "Gar nicht", ist Brodbeck überzeugt. Eine solche Zahl könne eigentlich nur frustrieren. Er hat den Verdacht, dass die Zahl möglicherweise zu niedrig angegeben werden könnte. Politik und Wirtschaft wollten mehr private Vorsorge: "Eine niedrige Zahl erzeugt das Gefühl, dass man mehr tun muss."

Schweden als mögliches Vorbild

Dabei findet der Wissenschaftler die Grundidee nicht schlecht. Vorausgesetzt, die Renteninfo-Plattform wird gut und transparent organisiert, hat sie eine Reihe von Vorteilen: Die Versorgungsträger werden zu Transparenz gezwungen. Die Bürger bekommen einen Überblick und Orientierung, außerdem können sie die Daten kopieren und dazu nutzen, sich auf deren Basis von Beratern über neue Produkte informieren zu lassen. "Das würde den Service aller Versorgungsträger besser machen", meint Geilenkothen.

Verbraucherschützer Gatschke schlägt vor, sich an Schwedens System zu orientieren. Dort würden einmal im Jahr orangefarbige Briefe verschickt. Sie enthielten Informationen, die denen des geplanten Portals ähneln. "Das schafft ein höheres Bewusstsein und macht so ein System attraktiver", sagt Gatschke.

Denn bei aller Kritik an den Details - grundsätzlich stehen auch die Verbraucherschützer dem Projekt positiv gegenüber. Gatschke sagt: "Noch sind viel zu viele Verbraucher im Blindflug unterwegs. Sie wissen zwar, dass sie etwas tun müssen für ihre Altersvorsorge. Aber nicht was - und wie viel."

Zur SZ-Startseite

Vorruhestand
:Was Sie zur Rente ab 63 wissen müssen

Viele Menschen liebäugeln damit, in Vorruhestand zu gehen. Ist das finanziell sinnvoll? Gerade im Vergleich mit Riester, Rürup oder privater Rentenversicherung? Ein Finanzexperte gibt Antworten.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: