Passwörter und Beugehaft:Bis der Widerstand gebrochen ist

Illustration - Computer und Passwort

Eine fiktive Eingabemaske für ein Passwort auf einem Computerbildschirm. Ein Gesetzentwurf soll Polizisten ermächtigen, Passwörter von Verdächtigen zu erzwingen. (Archivbild)

(Foto: dpa)

Ein Koloss von einem Paragrafen: Ein neues Gesetz soll einen Verdächtigen notfalls per Beugehaft zwingen, sein Passwort zu verraten. Ermittler sollen durch seine Augen blicken, mit seiner Stimme sprechen - und andere reinlegen.

Kommentar von Ronen Steinke

Post von der Polizei. "Sehr geehrte Dame, sehr geehrter Herr. Sie werden einer Straftat verdächtigt. Bitte übergeben Sie uns Ihren Ausweis, Ihren Schlüsselbund, Ihre Kleidungsstücke und Ihre Brille. Ein Polizeibeamter wird sich in den kommenden Tagen als Sie verkleiden. Er wird sich unter Ihrem Namen bewegen, Geschäfte tätigen, Ihre womöglich kriminellen Freunde und Bekannten näher kennenlernen. Er wird Sie dazu imitieren; er wird Ihre Identität übernehmen. Sie haben vorerst keine Kontrolle darüber. Hochachtungsvoll, ..."

Eine Polizeibehörde, die so etwas schriebe, würde man für verrückt erklären; in der analogen Welt gibt es Derartiges natürlich nicht. In der digitalen Welt aber soll es etwas Vergleichbares künftig geben: Die Polizei soll die Accounts von Verdächtigen bei Facebook oder anderswo zwangsweise übernehmen dürfen. Sie soll in ihre "virtuelle Identität" schlüpfen. Das möchte das Bundesinnenministerium von Horst Seehofer in die Strafprozessordnung hineinschreiben lassen.

Es ist ein Koloss von einem Paragrafen, den das Ministerium entworfen hat, 163g soll er heißen. Der Paragraf ist eine Warnung an alle Menschen, die eines Delikts verdächtigt werden, das in einem bestimmten Katalog aufgelistet ist. Dort stehen Tatbestände, vom Mord über die "Verleitung zur missbräuchlichen Asylantragstellung" bis hin zum Sport-Doping; es geht darüber hinaus aber auch um jegliche Tat, die "mittels Telekommunikation begangen wird". Eine Betrügerei bei Ebay, eine Beleidigung per Mail: Das können ganz beliebige Delikte sein, die Alltagskriminalität des 21. Jahrhunderts.

Und dann: Sobald "bestimmte Tatsachen den Verdacht" begründen, sollen Staatsanwaltschaft und Polizei sich die "virtuelle Identität" des Verdächtigen greifen können. Sie sollen durch seine Augen blicken, mit seiner Stimme sprechen und andere Nutzer hereinlegen können.

Das Gesetz sagt: Her mit den Passwörtern

Man denkt da zunächst an Kinderporno-Plattformen, auf denen sich Täter hinter Anonymisierung verschanzen, sich aber womöglich von Vertrauten aus der Reserve locken lassen. Die Polizei soll dieses Spiel aber eben auch bei leichteren Delikten betreiben dürfen. Das ist der Plan: Es ist nicht einmal vorausgesetzt, dass der Account etwas mit der Straftat zu tun hat. "Der Verdächtige ist verpflichtet, die zur Nutzung der virtuellen Identität erforderlichen Zugangsdaten herauszugeben."

Sprich: Her mit den Passwörtern. Was passiert, wenn einer sich weigert, das buchstabiert der Koloss von einem Paragrafen auch gleich aus, nämlich drohend durch einen Verweis auf Paragraf 70 der Strafprozessordnung. Das ist eine alte, ziemlich unangenehme Vorschrift, mit der normalerweise schwierige Zeugen vor Gericht zum Reden gebracht werden. Mit dem Instrument wird ihr Widerstand gebrochen; vornehmer ausgedrückt wird ihr Wille "gebeugt". Erst: Ordnungsgeld. Dann: Beugehaft nach richterlichem Ermessen von bis zu sechs Monaten.

Das ist also das Ergebnis: Künftig soll ein Verdächtiger gezwungen werden, der Polizei beim Ermitteln gegen andere zu helfen. Zwar ist auch in Seehofers Ministerium klar, dass niemand sich selbst belasten muss. Die gewonnenen Erkenntnisse über Straftaten des Accountinhabers sollen daher "nur mit Zustimmung des Verdächtigen verwendet werden". Vor einer Ausforschung seines Privatlebens und seines sozialen Umfelds schützt ihn aber niemand mehr.

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