Pop:Wohlig warm

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Was hat Stärke eigentlich mit Härte zu tun? Kehlani Parrish alias Kehlani. (Foto: Arturo Torres/Atlantic Records)

Wie eine Umarmung, die einem von jedem anderen zu lang vorkäme: die neue Platte der Sängerin Kehlani.

Von Janne Knödler

Es gibt Menschen, bei denen es einem sehr schwer fällt, sie nicht zu mögen; denn wenn man es täte, würde man irgendwie nicht gut dastehen, als missgünstig, als zynisch, vielleicht sogar als herzlos. Es sind diese Menschen, die nicht nur schön und talentiert, sondern auch noch irre nett sind, deren Erfolge nerven würden, wären sie nicht so gute und bodenständige Typen. Die amerikanische R'n'B-Sängerin Kehlani Parrish alias Kehlani ist so eine Person. Mit 15 war sie schon Teil der extrem populären Talentshow American Idol im amerikanischen Fernsehen, mit einer Pop-Coverband, sie ging daraus aber künstlerisch unbeschädigt hervor. Dann war sie kurz obdachlos, aber jetzt, mit gerade einmal 23 Jahren, singt sie mit Stars wie Chance the Rapper, Cardi B oder Hayley Kiyoko. Für ihr Label Atlantic ist sie ein sogenannter "Mindie Artist", was bedeutet, dass sie zwar bei einem bösen großen Majorlabel ist, aber auch immer noch irgendwie eine gute, integre Indie-Künstlerin. Man kann also doch alles haben.

"While We Wait" heißt ihr neues Album, und es fühlt sich an wie eine Umarmung, die bei jeder anderen Person etwas zu lang wäre, nur eben bei ihr nicht. Es sind neun Songs mit allerlei poetischen Beobachtungen darauf, die schon allein deshalb wahr sein müssen, denkt man, weil sie doch sonst unmöglich so schön klingen würden. Um die Liebe geht's, ums Verlangen und um emotionale Wirren aller Art, und wie R'n'B es so gut kann, wird das unerfüllte Verlangen in der Musik greifbar, in Kehlanis Stimme, in den sinnlichen Basslines, den verhallten Instrumentals, als könnte man dazu nicht tanzen ohne ganz viel, aber auch ganz langsamen Hüfteinsatz.

"Footsteps", der erste Song, beginnt mit dem Geräusch brechender Wellen und einer dezenten akustischen Gitarre. Dann setzt Kehlanis Stimme ein, behutsam, aber fordernd, und singt davon, dass Ehrlichkeit weh-, aber auch guttut: "Cheers to being honest". Und man stellt sie sich vor, wie sie als barfüßige Halbgöttin in einem wallenden Kleid durch das flache Wasser watet, während der Wind ihr durch die Haare fährt. Pausen füllt sie mit einem sanften "Oooh-Aaah", unaufgeregt in mittlerer Tonlage, genau dort, wo sich alles weich, warm und wohlig anfühlt.

Sie hat zweifellos etwas Ätherisches an sich, oft ist die Rede von Selbstliebe, Heilung oder ihrer bevorstehenden Mutterschaft. Dass sie auf "Butterfly" auch über Astrologie singt, passt dazu: "Virgo moon, I'm so used to your dance". Weil im Internet scheinbar gerade alle über Sternzeichen und Aszendenten reden wollen, lohnt es sich, das nachzuschlagen: Der Mond im Zeichen der Jungfrau steht für die "weiblichen, mütterlichen Anteile, die für andere sorgen, aber gleichzeitig verletzlich sind". Im dazugehörigen Video tritt die Sängerin als Fruchtbarkeitsgöttin mit fragilen, durchsichtigen Schmetterlingsflügeln auf, die ihren kugelrunden Bauch streichelt, während sie über Conga-Trommeln und einer sehnsüchtig-jaulenden E-Gitarre flüsternd deklamiert, dass Stärke nicht an Härte geknüpft sein muss.

Das ist womöglich etwas zu viel mystische Weiblichkeit, und als moderne Feministin könnte man darüber meckern, dass diese Feier von Fruchtbarkeit die Frau an eine konstruierte Essenz kettet. Aber zum Glück zerlegt Kehlani diesen Eindruck gleich selbst schon wieder. Sie ist nämlich nicht nur die nach Salbei duftende Seelenheilerin, sondern auch ein Tomboy. Von oben bis unten mit Tattoos bedeckt, XXL-Kapuzenpullover tragend, mit drei Zentimeter langen künstlichen Fingernägeln ausgestattet und mit von dunklem Lipliner umrandeten Lippen rappt sie auf "Morning Glory" dass sie niemanden braucht, schon gar keinen Mann. Der Text, die funkige Bassline, der stolpernde Beat und das sich wiederholende "Bye-Bye-Bye" klingen nach dem R'n'B der späten Neunziger, aber man merkt, dass dieser Sound mehr sein kann als eine Vorlage für ironische Referenzen, dass Plattenkratzen und Glitzergeräusche nicht nur nostalgisch gemeint sein können, sondern aufrichtig ehrfürchtig. Vor allem, wenn es so vergnügt klingt wie auf "Morning Glory". "While We Wait" ist dabei keine große, ausladende Platte, die die Lage der Welt analysieren möchte, sondern eher eine, die der Lage der Welt etwas entgegensetzen will: Wärme etwa und ein bisschen Poesie. Ein Werk, das anerkennt, wie hart und kompliziert alles ist und doch den Eindruck erweckt, als säße Kehlani, unerreichbar schön und doch ganz bodenständig, direkt neben einem, mit ihrer Gitarre, einem Räucherstäbchen, einem offenen Ohr und vielen weisen, poetischen Ratschlägen.

© SZ vom 11.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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