Weltraummedizin:Die Vermessung der Astronauten-Zwillinge

Die Astronauten Mark und Scott Kelly

Mark (r.) und Scott Kelly haben die gleichen Gene und die gleiche Karriere. Während Scott im All war, lieferte Mark Vergleichsdaten von der Erde.

(Foto: Robert Markowitz/dpa)
  • Während der Astronaut Scott Kelly ein Jahr auf der ISS verbrachte, blieb sein Bruder Mark am Boden. Beide ließen sich regelmäßig untersuchen.
  • Die Auswertung ergab, dass Scotts Gesundheit während und nach dem Langzeitaufenthalt im All nicht stärker eingeschränkt war als die seines Bruders.
  • Dennoch gab es Veränderungen an Gefäßen, Augen und Genaktivitäten, deren längerfristige Bedeutung nicht klar ist.

Von Berit Uhlmann

Mit 50 Jahren brach US-Astronaut Scott Kelly ein letztes Mal ins All auf - beauftragt mit einer Mission, für die er geeignet war wie kein anderer. Die Aufgabe: 340 Tage auf der Internationalen Raumstation ISS zu verbringen und dabei Proben vom eigenen Körper zu sammeln, sich selbst zu vermessen sowie immer wieder Tests zu absolvieren. Die Daten sollten Aufschluss darüber geben, wie die Monate in der Unwirtlichkeit des Alls sich auf die Gesundheit des Menschen auswirken.

Scott Kelly war deshalb der beste Kandidat für dieses Vorhaben, weil er einen eineiigen Zwillingsbruder hat, der früher ebenfalls Astronaut war. Während Scotts Reise ließ sich Bruder Mark auf der Erde in gleicher Weise untersuchen und lieferte damit einzigartige Vergleichsdaten. Nun, drei Jahre nach Kellys Rückkehr zur Erde, ziehen die Wissenschaftler im Fachmagazin Science Bilanz.

Alles in allem unterscheidet sich Scotts Gesundheitszustand kaum von dem seines Bruders. Dennoch haben Schwerelosigkeit, Weltraumstrahlung, die gestörte innere Uhr sowie psychischer Stress Spuren hinterlassen. Zehn physiologische Prozesse hatte die Weltraum-Reise zumindest zeitweilig messbar verändert.

Als potenziell riskant stufte das Forscherteam um Francine Garrett-Bakelmann von der Cornell University in New York Veränderungen der Blutgefäße ein, die wahrscheinlich von der Schwerelosigkeit herrühren. Wo die Gravitation fehlt, fließen die Flüssigkeiten des Körpers in Richtung Kopf. Man kann dies, so berichten es die Wissenschaftler, an den angeschwollenen Gesichtern und "Hühnerbeinen" vieler Astronauten beobachten.

Durch die aufsteigenden Flüssigkeiten verändern sich die Druckverhältnisse im Körper. Diese Entwicklung ist vermutlich ein Grund dafür, dass Scotts Halsschlagader sich vergrößerte und ihre Wände verdickten - ein potenzielles Risiko für Schlaganfälle. Veränderte Druckverhältnisse im Körperinneren könnten auch verantwortlich für Auffälligkeiten an den Augen sein, die bei Scott ebenso wie bei etlichen seiner Kollegen beobachtet wurden. Die Augäpfel verformten sich, der Sehnerv verdickte, Sehstörungen traten auf. Geklärt sind weder Ursache noch Prognose dieses Phänomens.

Einige Parameter waren unmittelbar nach der Landung am stärksten verändert. Gerade wieder am Boden wies der Astronaut höhere Stress- und Entzündungswerte auf. In kognitiven Tests schnitt er schlechter ab als zu allen anderen Zeitpunkten. Es dauerte etwa sechs Monate, eher er wieder auf seiner ursprünglichen geistigen Höhe war. Dies könne zum Problem werden, wenn Menschen eines Tages auf dem Mars aufsetzen sollten, warnten die Wissenschaftler.

Zugleich stellten sie Veränderungen der Genaktivität fest. Betroffen waren vor allem Zellen, die für die Immunabwehr und die Reparatur von DNA-Schäden zuständig sind. Mehr als 90 Prozent dieser Veränderungen bildeten sich nach der Landung wieder zurück.

Eine Überraschung brachte die Beobachtungen der Telomere. Das sind Schutzkappen auf den Enden von Chromosomen, die üblicherweise durch Stress oder das Alter schrumpfen. Während Kellys Weltraum-Aufenthalt aber wuchsen diese Kappen. Unmittelbar nach der Rückkehr nahm die Länge wieder ab, einige Telomere waren am Ende kürzer als zuvor. Was diese Veränderungen bedeuten, ist nicht klar.

Insgesamt blieben viele Fragen offen, was die Forscher trocken mit der "limitierten" Größe ihrer Stichprobe begründen. Gemessen daran war der Aufwand beachtlich. Mehr als 80 Wissenschaftler aus zwölf Universitäten haben fünf Jahre lang an dieser Studie gearbeitet. "Wahrscheinlich wurden diese zwei Astronauten gründlicher untersucht als je eine andere Person in der Geschichte der Menschheit", sagt Christopher Mason, Physiologe an der Cornell University.

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