OECD-Studie:Wie man der Mittelschicht helfen könnte

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(Foto: Taylor Wilcox/Unsplash)
  • Die Überschuldung der Mittelschicht ist größer als die der unteren Schichten. Jeder fünfte Haushalt gibt mehr aus als er verdient.
  • Die OECD hat festgestellt, dass den Mittelschichtlern vor allem hohe Mieten schaden. Der Staat solle eingreifen, fordern sie.
  • Außerdem erachtet die OECD es für sinnvoll, mittlere Einkommen zu entlasten und höhere dafür stärker zu besteuern.

Von Alexander Hagelüken

Sich viel mehr leisten können als Oma und Opa - und die eigenen Kinder werden es noch besser haben: Dieses Versprechen vom Aufstieg ließ die Nachkriegsdeutschen wirtschaftlich zufrieden sein. Inzwischen hat sich die Stimmung geändert: Millionen Bürger bemerken, dass ihr Wohlstand stagniert. Neue Daten zeigen: Wer 1983 oder danach geboren ist, gehört seltener zur Mittelschicht als seine Eltern. Von wegen die Kinder haben es besser.

Nur 60 Prozent der sogenannten Millenials verfügen im Alter von 20 bis 29 Jahren über ein mittleres Einkommen, so die internationale Wirtschafts- und Entwicklungsorganisation OECD. Bei den zwischen 1942 und 1982 Geborenen lag dieser Anteil bei 70 Prozent. Die OECD, Denkfabrik der Industriestaaten, nennt ihre neue Studie "Die gequetschte Mittelschicht". Daraus geht hervor, dass viele Bürger zu Recht sagen, ihre finanzielle Situation bessere sich nicht. In den meisten Industriestaaten sind die mittleren Einkommen in den vergangenen zehn Jahren kaum gestiegen, anders als die der Reichen. Wie in Deutschland schrumpfte in den meisten Ländern die Mittelschicht, der weite Teile der Bevölkerung angehören wollen, weil sie Reichtum für unrealistisch halten und kein Mitglied unterer Schichten sein wollen. Nach Ansicht zahlreicher Beobachter hat der Frust über den schwieriger gewordenen Aufstieg politische Konsequenzen. Der Aufstieg der Rechtspopulisten von Donald Trump bis zur AfD "geht einher mit dem Niedergang der Mittelschicht in praktisch allen Industrieländern", analysiert der US-amerikanische Ökonom Branko Milanović, Autor von Büchern wie "Die ungleiche Welt". "Die Mittelklasse gleicht einem Boot in stürmischer See", sagt OECD-Generalsekretär Angel Gurría. "Regierungen müssen den Lebensstandard der Mitte schützen und verbessern. Das schafft nachhaltiges Wachstum und ein stabileres soziales Gefüge."

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Überschuldung größer als in unteren Schichten

Der typische Lebensstil hat sich stärker verteuert als die allgemeine Preisentwicklung. Jeder fünfte Haushalt gibt mehr aus, als er verdient. Die Überschuldung der Mittelschicht ist sogar größer als die der unteren Schichten. Was Mittelschichtler belastet, sind unter anderem die gestiegenen Mieten. 1995 musste ein einschlägiger deutscher Haushalt nur ein Viertel seiner Ausgaben für Wohnkosten aufwenden, inzwischen verschlingt dieser Posten schon 35 Prozent. Dieser Anteil ist überall in den Industriestaaten gestiegen, aber in der Bundesrepublik besonders stark.

OECD-Generalsekretär Gurría fordert mehr bezahlbaren Wohnraum. Dazu stellt er sich Kredite mit staatlicher Unterstützung und Steuervorteile für Eigenheimkäufer vor. Stark belastete Haushalte sollten bei den Krediten entlastet werden.

Es gibt für Deutschland auch gute Nachrichten. Demnach ist der Anteil der Mittelschicht an der Bevölkerung mit 64 Prozent etwas höher als im OECD-Durchschnitt. Andere Forscher definieren enger, wer zur Mitte gehört.

Sie kommen deshalb auf geringere Bevölkerungsanteile. Gurría fordert einen Aktionsplan. Klassische Mittelschichtjobs würden oft durch schlechter bezahlte, unsichere oder befristete Arbeitsplätze ersetzt. Betroffene Arbeitnehmer müssten sozial besser geschützt werden und ihre Gehälter sollten öfter durch Tarifverträge bestimmt werden, sagt er. Außerdem müssten Arbeitseinkommen weniger stark mit Steuern und Abgaben belegt werden. Stattdessen sollten Einkommen aus Kapital, Immobilien und Erbschaften stärker besteuert werden. Außerdem brauche es mehr Investitionen in Aus- und Weiterbildung. Denn die Zukunft bringt weitere Risiken durch den digitalen Wandel: Jeder sechste Arbeitsplatz in der Mittelschicht könnte durch Automatisierung wegfallen, warnen die OECD-Forscher. Dass der Anteil in der Unterschicht mit 22 Prozent noch höher ausfällt, dürfte dabei kein Trost sein.

© SZ vom 12.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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