Konjunktur:Die Stimmung ist schlechter als die Lage

Daten zum Wirtschaftswachstum Hessens

Wenn der Außenhandel schwieriger werden soll, werden Konjunkturprognosen schlechter.

(Foto: dpa)

Die Situation auf den Märkten wäre lösbar. Doch Politiker fachen sie zur großen Krise an.

Kommentar von Claus Hulverscheidt, New York

Zehn Jahre lang ging es mit der Wirtschaft praktisch nur bergauf, nun jedoch droht dem Konjunkturhoch ein abruptes Ende. In fast allen Weltregionen sind die Wachstumsraten rückläufig, mancherorts, in Italien und Deutschland etwa, kommen sie der Nulllinie mittlerweile so nahe, dass gar ein Rückgang der Wirtschaftsleistung nicht mehr undenkbar erscheint. Kein Wunder also, dass viele Kommentatoren bereits sorgenvoll an 2009 erinnern, als die Welt in die tiefste Wirtschaftskrise seit Kriegsende stürzte.

Doch so schaurig-schön die Reminiszenzen an die "große Rezession" sein mögen, so falsch sind sie. Denn auch wenn sich die Konjunkturaussichten in der Tat eingetrübt haben: Von einem Zustand wie 2009, als Volkswirtschaften dramatisch schrumpften und die Arbeitslosenquoten teils rapide in die Höhe schnellten, ist die Welt heute weit entfernt. So gehen etwa in den USA die Wachstumsraten zwar zurück, sie liegen aber immer noch auf einem Niveau, von dem die überalterten Gesellschaften Europas nur träumen können. China pendelt sich langsam auf Zuwächse ein, die nicht mehr so hoch, dafür im Idealfall aber nachhaltiger sind als früher. Und in Deutschland stagniert das Wachstum ja nicht, weil Löhne, Inflation und Zinsen untragbar geworden wären, sondern weil die Exportnachfrage wegen der allgemeinen politischen Unsicherheit in der Welt schwächelt.

Die andauernde Mischung aus Ignoranz und Unfähigkeit macht die Lage gefährlich

Die Stimmung ist also schlechter als die Lage. Das klingt tröstlich - ist es aber nicht, denn aus einer miesen Stimmung kann rasch eine miese Lage erwachsen.

Ob Firmen nämlich investieren und damit den Grundstein für einen Aufschwung legen, hängt zwar in erster Linie ab von Steuersätzen und Subventionen, Autobahnanschlüssen und Arbeitskräften, Geschäftschancen und Gewinnerwartungen. Genauso wichtig aber sind psychologische Faktoren: Ist ein Land politisch stabil? Herrscht Rechtssicherheit? Sind wichtige Institutionen wie das Kartellamt und die Notenbank unabhängig? Wer wollte es den Investoren der Welt vor diesem Hintergrund verdenken, dass sie zögern, Geld in Großbritannien auszugeben. Dass sie Pläne für den Bau neuer Fabriken in Europa oder Nordamerika auf Eis legen, weil sie Zölle fürchten müssen, die ihre Kostenkalkulation demnächst ad absurdum führen. Dass sie Expansionspläne zurückstellen, weil sie nicht wissen, ob sie in einem Land tatsächlich willkommen sind oder bald schon ins Visier populistischer Regenten geraten.

Die IWF-Frühjahrstagung diese Woche in Washington hätte den versammelten Finanzministern die Chance geboten, die verbindliche Botschaft auszusenden, dass sich die Weltgemeinschaft gemeinsam gegen den Wirtschaftsabschwung stemmt. Stattdessen jedoch war die Debatte einmal mehr von Drohungen, gegenseitigen Forderungen und einer Mein-Land-zuerst-Attitüde überschattet, die vor allem von den USA ausgehen. Hinzu kommt eine Mischung aus Ignoranz und gezieltem Sich-dumm-Stellen, die gerade die Deutschen seit Jahren meisterlich beherrschen und die kaum besser ist als der einfältige amerikanische Wirtschaftsnationalismus. Solange etwa die Bundesregierung Forderungen nach einer aktiveren Rolle bei der Konjunkturbelebung einfach ignoriert und zudem so tut, als ginge sie das Problem hoher deutscher Handelsüberschüsse nichts an, ist sie ebenfalls Teil des Problems statt der Lösung.

Es sind somit nicht die wirtschaftlichen Kennzahlen, die einem Sorge machen müssen - sie ließen sich, zögen alle an einem Strang, vermutlich rasch verbessern. Es sind die politisch Handelnden, ihr Nationalismus und Populismus, ihre Ignoranz und ihre Unfähigkeit, über den eigenen Schatten zu springen, die ein kurzes Gewitter doch noch in eine schwere Unwetterfront verwandeln könnten.

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