World Press Photo Award:"Ich hörte sofort die Angst in der Stimme des Mädchens"

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Im Juni 2018 nahm John Moore das Bild "Crying Girl on the Border" an der US-Grenze zu Mexiko auf. Das Time-Magazin hob es auf die Titelseite. (Foto: John Moore/Getty Images/AP)

John Moore hat das Pressefoto des Jahres aufgenommen. Mit seinen Bildern versucht er, die menschliche Seite der US-Einwanderungspolitik abzubilden.

Interview von Florian Sturm

SZ: Herr Moore, die Komposition Ihres Fotos ist außergewöhnlich. Warum haben Sie beschlossen, die Köpfe der Mutter und des Polizeibeamten nicht zu zeigen?

John Moore: Ich hatte nur wenige Augenblicke Zeit. Da ich die Situation aus der Perspektive eines Kindes fotografieren wollte, kniete ich mich automatisch hin.

Warum waren Sie an diesem Tag an der Grenze zwischen den USA und Mexiko?

Ich fotografiere seit mehr als zehn Jahren zum Thema Einwanderung - sowohl in den USA als auch in Mexiko und Mittelamerika. Dafür bin ich immer wieder mit amerikanischen Grenzbeamten unterwegs. Diese Aufnahme entstand, nachdem Trump seine "Zero-Tolerance"-Politik an den Grenzen einführte.

Können Sie sich noch an die Entstehung dieses Fotos erinnern?

Am Abend des 12. Juni 2018 bekam einer der Grenzbeamten über sein Funkgerät die Nachricht, dass Leute den Grenzfluss überqueren, um in die USA zu gelangen. Wir fuhren dorthin und sahen, wie etwa zwölf Personen, hauptsächlich Frauen und Kinder, aus der Dunkelheit erschienen. Kaum auf amerikanischem Boden, wurden sie von der Polizei auf einem Schotterweg zusammengeholt. Die Beamten prüften Dokumente und nahmen den Einwanderern Brieftaschen, Schmuck, Rucksäcke, selbst Schnürsenkel ab. Das ist normales Prozedere.

Getty-Fotograf John Moore lebt in New York. Bei den World Press Photo Awards wurde er bereits vier Mal ausgezeichnet, nun zum ersten Mal in der Hauptkategorie. (Foto: Abby Kraftowitz)

Und unter ihnen waren Sandra Sanchez und ihre Tochter Yanela.

Genau. Bevor die Personen in Auffanglager gebracht wurden, gab es eine Leibesvisitation durch die Polizei. Ich konnte kurz mit der Mutter, Sandra, sprechen. Sie hielt ihre Tochter die meiste Zeit auf dem Arm, musste sie für die Durchsuchung jedoch kurz absetzen. Yanela fing sofort an zu schreien. Ich hörte sofort die Angst in der Stimme des Mädchens. Glücklicherweise waren Mutter und Tochter nur kurz getrennt. Kaum nahm Sandra sie nach der Leibesvisitation wieder auf den Arm, hörte sie auf zu weinen.

Das Foto wurde, unter anderem vom Weißen Haus, als "Fake News" kritisiert. Der Vorwurf: Es suggeriere, dass Mutter und Kind getrennt wurden - was nicht stimmt.

Genau deswegen ist es so wichtig für uns Fotojournalisten, die Informationen zu den Bildern fehlerfrei zu halten. Ich verweise immer darauf, dass die ursprüngliche Bildunterschrift korrekt ist. Aber sobald die Bilder im Internet kursieren, können sie extrem schnell ein Eigenleben entwickeln. Das kann kein Fotograf kontrollieren. Bei ausdrucksstarken Fotos zu kontroversen Themen wird es immer unterschiedliche Perspektiven und Interpretationen zu ein und demselben Bild geben.

Ihre gesamte Bildsprache lebt von einem sehr emotionalen, humanistischen Ansatz und setzt weit weniger auf die harschen, schockierenden Fotos, die viele Kollegen aus Krisenregionen mitbringen. Hat sich die Art und Weise, diese Geschichten zu erzählen, verändert?

Mein oberstes Ziel war es immer, die menschliche Seite dieser Geschichten zu zeigen. Meistens werden sie nämlich anhand von Zahlen und Statistiken erzählt. Doch wir sollten uns daran erinnern, dass jede Zahl, die dort auftaucht, ein Mensch ist.

Bei den World Press Photo Awards thematisieren sowohl Ihr Foto als auch die Photo Story of the Year die Einwanderung in den USA. Zufall?

Die Einwanderungspolitik der USA war in den letzten Jahren unwahrscheinlich widersprüchlich und inkohärent. Ein Grund dafür war, dass die Behörden sich des Ausmaßes und der Folgen dieser Trennungssituation von Eltern und ihren Kindern nicht bewusst waren. Vielleicht helfen diese beiden Auszeichnungen, den Fokus noch mehr auf dieses Thema zu richten. Auch wenn es natürlich sehr viel verlangt ist, dass sich die Politik der USA dadurch tatsächlich ändern wird, bleibt es unsere Aufgabe als Journalisten, auf diese Missstände aufmerksam zu machen.

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