Anklage gegen Winterkorn:Deutschland braucht eine Antwort von VW

Einzeltäter oder Bauernopfer? Der Ex-VW-Chef sollte die Betrugsanklage nutzen, um sich öffentlich zu erklären. Es wäre seine Chance, im Diesel-Debakel Rückgrat zu zeigen.

Kommentar von Angelika Slavik, Hamburg

Auch wenn er persönlich das wahrscheinlich anders sieht, ist die Anklage gegen Martin Winterkorn eine gute Nachricht. Denn sie ist der Beweis dafür, dass die Ermittlungsbehörden bei der Aufarbeitung des Dieselbetrugs keine Angst vor großen Namen haben. Volkswagen hat in den vergangenen dreieinhalb Jahren, seit die Manipulationen bekannt wurden, immer wieder versucht, diesen Betrug als die Tat einiger weniger Ingenieure hinzustellen. Ein Prozess gegen Winterkorn, für den selbstverständlich die Unschuldsvermutung gilt, hätte die besten Chancen, der Wahrheit zumindest ein Stück näher zu kommen. Wer wusste was wann? Auf diese zentrale Frage haben alle bisherigen Aufklärungsbemühungen keine zufriedenstellende Antwort gebracht.

Dieses Land aber braucht eine Antwort. Der Schaden, den VW verursacht hat, geht ja weit über finanzielle Fragen hinaus. Klar, da sind die Millionen Kunden, deren Dieselautos massiv an Wert verloren haben. Und die, unabhängig von der Frage, ob und wie sie angemessen entschädigt werden können, zumindest das Recht haben zu wissen, wer für dieses Debakel verantwortlich ist. Noch schwerer aber wiegt die gesellschaftliche Verantwortung, der VW nicht gerecht geworden ist. Seit einiger Zeit wird Konzernen, Politikern und allen anderen, die als Teil der gesellschaftlichen Elite wahrgenommen werden, mit wachsender Skepsis begegnet - und Volkswagen hat zum Bild vom skrupellosen Konzern, der sich um nichts anderes schert als den eigenen Profit, in beschämender Art und Weise beigetragen. Der Umstand, dass sich nun der einst mächtigste Manager der Bundesrepublik vor einem Gericht für diese Vorgänge öffentlich verantworten soll, ist deshalb besonders wichtig - auch um deutlich zu machen, dass man die Verantwortung für den vielleicht größten Industriebetrug der Nachkriegsgeschichte nicht in irgendwelchen Hinterzimmern aufteilen kann.

Für Martin Winterkorn müsste das nicht so schlecht sein, wie es ihm vermutlich gerade vorkommt. Denn Winterkorn würde so die Chance bekommen, sich vor dem ganzen Land zu erklären, sich zu verteidigen - und sich vielleicht auch zu entschuldigen. Unabhängig von der Frage, ob er im juristischen Sinne schuldig ist oder nicht, könnte er mit einem aufrechten Auftritt vor Gericht zumindest einen kleinen Teil des emotionalen Schadens, den VW unter seiner Leitung dem Land zugefügt hat, wiedergutmachen. Dieser einst so stolze, statusbewusste Manager könnte im allerbesten Fall zeigen, was Verantwortungsbewusstsein wirklich bedeutet. Wenn er sich dazu durchringen kann, sich nicht hinter juristischen Scharmützeln und sündteuren Anwälten zu verstecken, sondern stattdessen zu erklären, wie es so weit kommen konnte, dann könnte dieser Prozess zumindest ein kleiner Beitrag zu einer gesellschaftlichen Beruhigung sein. Er könnte beweisen, dass Winterkorn nicht durch Zufall einst der bestbezahlte Vorstandschef des Landes war, sondern dass er auch das Rückgrat besitzt, das man von einem Menschen in so einer Position erwarten kann.

Für Martin Winterkorn brächte ein solcher Prozess vielleicht nicht die Gelegenheit, seine Rolle in der Geschichte vollständig zu korrigieren - aber er könnte ihr zumindest eine Nuance Verantwortungsbewusstsein hinzufügen.

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