Künstliche Intelligenz:Das Parfüm, das aus dem Computer kam

Lavendelfelder Lavandula angustifolia Valensole Département Alpes de Haute Provence Provence Al

Lavendel ist nur eine von unzähligen Ausgangssubstanzen, um daraus einen Duft zu kreieren. Kein Parfümeur hat alle Kombinationen im Kopf.

(Foto: imago/imagebroker)
  • Die Herausforderung bei der Suche nach neuen Parüms ist die schier unendliche Anzahl an Möglichkeiten, Ausgangsstoffe zu verbinden.
  • Forscher haben eine künstliche Intelligenz darauf trainiert, sinnvolle neue Kombinationen zu finden.
  • Ihre ersten beiden Kreationen kommen in Kürze auf den Markt.

Von Joachim Laukenmann

Zum "Dia dos Namorados", dem brasilianischen Valentinstag, kommen im Juni zwei neue Parfüms auf den Markt des südamerikanischen Landes. Deren Entwicklung stelle eine Jahrhundert-innovation in der Parfümerie dar, jubeln Fachleute euphorisch. Beide Produkte basieren auf klassischen Duftfamilien.

Das eine auf den sogenannten Fougère-Noten. Charakteristisch dafür ist die süßliche, an Heu erinnernde Duftnote Cumarin, ein Bestandteil des ätherischen Öls von Lavendel. Weitere Komponenten sind die Duftnoten von Eichenmoos, Bergamotte und Geranium. Das andere Parfüm basiert auf der Duftfamilie der blumigen Noten - so weit, so normal. Die beiden Parfüms sind Abwandlungen dieser klassischen Formeln. Warum also die Begeisterung? Der kreative Kopf hinter diesen Düften war kein Mensch, sondern die vom IT-Konzern IBM entwickelte künstliche Intelligenz "Philyra", benannt nach der griechischen Göttin des Duftes, der Schönheit und der Heilung.

Der deutsche Duft- und Aromahersteller Symrise hat beide Parfüms mithilfe von Philyra entwickelt. "Philyra hat die traditionelle Süße in der Fougère-Struktur mit einer einzigartigen Kombination von Gewürzen wie Kardamon und Bockshornklee ersetzt, mit einer Basisnote von warmer Milch", sagt David Apel, ein Chefparfümeur von Symrise in New York, der seit mehr als 35 Jahren als Düfte kreiert. "Diese Struktur wäre mir niemals in den Sinn gekommen. Das ist eine einzigartige Kombination von Materialien."

Die letzte große Innovation in der Parfümerie stammt aus späten 19. Jahrhundert statt, es war die Einführung synthetischer Duftmoleküle. "Die nächste große Innovation ist nun der Einsatz von künstlicher Intelligenz bei der Kreation neuer Düfte", sagt Apel.

Die Herausforderung in der Suche nach neuen Wohlgerüchen ist die schier unendliche Anzahl an Möglichkeiten, Ausgangsstoffe zu verbinden. Nimmt man vier Grundstoffe, lassen sich diese auf 24 Arten miteinander kombinieren. Natürlich spielt auch die jeweilige Dosis eine Rolle. Acht Grundsubstanzen ergeben 40 320 Kombinationsmöglichkeiten. "Wir machen Parfüms mit vielleicht 60 oder 70 Zutaten", sagt Apel.

Insgesamt gebe es aber etwa 3500 Ausgangsstoffe, die für die Herstellung eines Dufts infrage kommen. "Die Möglichkeiten, diese Stoffe zu kombinieren, sind quasi endlos. Und um deren Zusammenwirken ranken sich noch viele Rätsel", sagt Apel. Unbekannte Kombinationen zu finden, sei jedoch der Schlüssel zu jedem wirklich großen Duft.

Das System kann auf die Erfahrung unzähliger Parfümeure zurückgreifen

Auch die Zahl der bekannten und bereits charakterisierten Duftkombinationen ist riesig. Allein in der Datenbank von Symrise finden sich etwa 1,7 Millionen Duftformeln. "Als Parfümeur habe ich ein begrenztes Gedächtnis, eine begrenzte Erfahrung", sagt Apel. "Wenn wir jedoch künstliche Intelligenz verwenden, können wir auf die kombinierte Erfahrung von Hunderten Parfümeuren zurückgreifen, quasi auf das kollektive Gedächtnis, das unsere Firma in den letzten 200 Jahren aufgebaut hat."

Zentraler Ausgangspunkt für die Entwicklung eines neuen Dufts sei eine Idee, sagt Apel. "Es braucht eine klare Vorstellung von dem, was man haben möchte: Welchen Duft soll das Produkt verströmen?" Dann gehe es darum, diese Idee zu realisieren. Hier kommt IBM ins Spiel.

Seit einigen Jahren nutzt der Konzern künstliche Intelligenz, also lernfähige Algorithmen, um Geschmackskombinationen und Rezepte zu kreieren. Darauf aufbauend hat IBM Philyra erschaffen. "Philyra nutzt die neuesten Methoden des maschinellen Lernens, um Millionen an Duftformeln und Tausende Rohstoffe zu durchstöbern", sagt Richard Goodman vom IBM Watson Research Center bei New York. Er leitet eine Forschungsgruppe, die sich mit der Anwendung von künstlicher Intelligenz auf kreative Prozesse wie die Erschaffung neuer Düfte beschäftigt.

"Philyra lernt aus den großen, für den Menschen unüberschaubaren Datenmengen, was einen brauchbaren Duft ausmacht, welche Kombination von Zutaten also gut funktioniert", sagt Goodman. "Zudem haben wir Philyra darauf trainiert vorherzusagen, wie Menschen einen Duft wahrnehmen und wie unterschiedlich sie zwei Düfte empfinden." Das sei wichtig, da sich ein neuer Duft immer stark genug von bekannten Düften unterscheiden müsse, um als einzigartig zu gelten.

Mithilfe von Philyra können die Parfümeure auch einzelne Substanzen in einer bekannten Duftformel durch alternative Rohstoffe ersetzen. "Natürlich kann eine Maschine nichts riechen", sagt Goodman. "Sie weiß zunächst nicht wirklich, ob eine neue Duftformel gut ist oder nicht. Aber sie kann anhand der Daten lernen und dann etwas prognostizieren."

Philyra ersetzt den Parfümeur aber nicht. "Meine Aufgabe war es, der künstlichen Intelligenz beim Lernprozess zu helfen zu identifizieren, ob sie alles korrekt macht und ob sie das gewünschte Ziel verfolgt", sagt Apel. Er interpretierte also die Resultate und gab Feedback. "Ich glaube, jeder Parfümeur, der das macht, würde zu einer anderen Schlussfolgerung kommen. Denn die Parfümerie ist ein Handwerk und eine Kunst. Und jeder Künstler hat seinen persönlichen Stil." Heute sei Philyra in der Lage, sehr ausgewogene, einzigartige Düfte zu erschaffen. Oder zu prognostizieren, welches Parfüm in Deutschland funktionieren dürfte, welches in China.

Der maschinell kreierte Duft begeisterte Tester deutlich mehr als ein klassisches Produkt

"Letztlich sind wir aber vor allem an der Entwicklung neuer Parfüms interessiert", sagt Achim Daub, Vorstandsmitglied von Symrise. "Fast jedes Konsumprodukt, von einer Waschseife über ein Haarpflegeprodukt bis zu einer Körperlotion, trägt einen speziellen Duft - es sei denn, es ist explizit als parfümfrei deklariert." Im Idealfall unterstreiche der Duft den Nutzen eines Produkts und bereichere das sinnliche Erlebnis des Kunden.

"Konsumenten schauen immer nach etwas Neuem, nach neuen Erfahrungen", sagt Daub. "Daher besteht immer ein Bedarf für die Kreation neuer Düfte." Hierbei würde Philyra neue Möglichkeiten eröffnen. "Es geht um nichts weniger als die Zukunftsfähigkeit unserer Firma, die wir durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz sicherstellen wollen", sagt Daub. Künstliche Intelligenz werde die Spielregeln in der Branche verändern.

Die beiden neu entwickelten Düfte richten sich an die brasilianischen Millennials. Die Parfüms dienten IBM und Symrise als Machbarkeitsbeweis für den Einsatz von Philyra. Dazu arbeiteten die beiden Firmen mit dem brasilianischen Kosmetikhersteller O-Boticário zusammen. "In einem Konsumententest ließen wir die neuen Parfüms gegen ein führendes Parfüm antreten, das diese Zielgruppe gerne nutzt", sagt Daub. "Zu unserer Überraschung haben die neuen, mithilfe von künstlicher Intelligenz erzeugten Parfüms den Klassiker klar geschlagen."

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