Führung im Zeichen der Revolution:Frontstadt Dachau

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Ein Rundgang mit Gästeführerin Brigitte Fiedler zu Schauplätzen der Revolution von 1919 gibt Einblick in eine politische Umbruchphase voller Gewalt - und einen veränderten Umgang mit der Geschichte

Von Dorothea Friedrich, Dachau

Ziemlich versteckt und ziemlich unscheinbar findet sich in einer Ecke des Alten Friedhofs in Dachau ein verwittertes Mahnmal. Vordergründig erinnert es an vier Tote des preußischen Freikorps Görlitz. Sie fielen am 30. April 1919 in der Endzeit der Räterepublik. Viele Jahre hat die Stadt dieses Mahnmal gehegt und gepflegt. "Heute distanziert sich die Stadt Dachau von diesem Mahnmal. Sie lehnt es ab, ein Freikorps zu ehren, dass in der Weimarer Republik mit anderen Trägern rechtsradikaler Gewalt zum Wegbereiter des Nationalsozialismus geworden ist. Das Grabmal bleibt jedoch erhalten, weil sich die Stadt Dachau nicht dem Verdacht aussetzen möchte, Belastendes aus ihrer Geschichte zu löschen". So steht es auf einem Hinweisschild neben dem - 1934 vom damaligen Bürgermeister Georg Seufert entworfenen - Gedenkstein. Er ist der Schlusspunkt einer Themenführung der besonderen Art. "April 1919 - Revolution in Dachau - Sieg der Roten Armee und das schnelle Ende" hat Gästeführerin Brigitte Fiedler den Rundgang zu den Orten des dramatischen Geschehens genannt. Viele Details machen diese Führung so spannend. Denn Revolution wurde in Dachau etwas anders gemacht als im benachbarten München.

Während sich dort die Ereignisse überschlagen, lässt man es in der Marktgemeinde eher geruhsam angehen: Frauen und Männer wählen zwar einen Arbeiter- Bürger- und Bauernrat. Doch der redet der Verwaltung nicht groß ins Tagesgeschäft rein. Im Max-Joseph-Zimmer des Hörhammerbräu gründet sich der "Rat der geistigen Arbeiter"; darunter sind 44 Künstler, aber auch Schriftsteller, Ärzte und Architekten. Aus dem Rat entstand die Künstlergruppe Dachau, der Vorläufer der Künstlervereinigung Dachau (KVD), die heuer ihr hundertjähriges Bestehen feiert. Allerdings löste sich die Künstlergruppe 1924 "in Antisemitismus, Parteienhass und Gezänk" auf, und "endete recht erbärmlich", wie Schriftsteller Eugen Mondt schreibt.

Nach der Ermordung des ersten bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner am 21. Februar 1919, der Ausrufung der zweiten Räterepublik in München am 7. April 1919 und der Flucht der Regierung Hoffmann nach Bamberg ist es aber auch in Dachau vorbei mit der äußeren Ruhe. Die Arbeiter der Papierfabrik beschließen, von der "privatkapitalistischen" zur "gemeinsamen" Wirtschaftsordnung überzugehen. Im Katholischen Gesellschaftshaus, dem heutigen Ludwig-Thoma-Haus, beschließt eine Volksversammlung, erst einmal abzuwarten und stimmt gegen die Entlassung der Hälfte der Arbeiterräte wegen "Knierutschei" - vor der Gemeindeverwaltung. Lehrer und Gemeindebeamte entscheiden am 12. April 1919 im Zieglerbräu, vorsichtshalber der Räterepublik gegenüber neutral zu bleiben. Weil die Regierung Hoffmann München einschließen und aushungern will, wird Dachau endgültig zur Frontstadt, als hier 500 Mann der Regierungstruppen mit 100 Pferden ankommen - und über Dachau der Belagerungszustand verhängt wird.

Der Gedenkstein am Alten Friedhof gilt den reaktionären Freikorpssoldaten. (Foto: Toni Heigl)

Die Dachauer haben Angst - und Chuzpe. Sie erreichen, dass auf dem Schlossberg platzierte Kanonen abgebaut und auf einer Wiese nördlich des Bahnhofs aufgestellt werden. Sie schicken Parlamentäre zu den Roten und Weißen Truppen, in der vergeblichen Hoffnung, Schlimmes zu verhindern. In der Schlacht von Dachau am 16. April entwaffnen Arbeiterinnen und Arbeiter der Pulver- und Munitionsfabrik die Weißen Truppen und treiben sie aus dem Markt, auch wenn die Roten diesen völlig überraschenden Sieg für sich reklamieren. Die Arbeitersoldaten nehmen 36 Soldaten und fünf Offiziere der Weißen Truppen gefangen. Sie lassen ihnen die Wahl, sich den Revolutionären anzuschließen oder nach Hause zu gehen. Das Leben in der Marktgemeinde geht unter anderen Vorzeichen weiter. Auf dem Marktplatz wird eine Feldküche eingerichtet. Weil etliche Soldaten sich aber ohne Essensmarken in den Gaststätten versorgen wollen, bekommen diese Sonderzuweisungen an Lebensmitteln. So erhält etwa das Café Brüller einen Zentner Mehl und 30 Pfund zusätzlich. Das Amtsgericht wird zum Armeehauptquartier. Ausgangssperren und harte Strafandrohungen sollen Raub und Plünderungen verhindern. Das zeigt Wirkung. So haben sich die Verantwortlichen eher mit Bagatellen wie etwa der unrechtmäßigen Beschlagnahme von Fahrrädern und Taschenlampen und eines Schweins zu beschäftigen.

Brigitte Fiedler leitet sachkundige Führungen zu den Orten des dramatischen Geschehens. (Foto: Dorothea Friedrich)

Brigitte Fiedler hat recherchiert, dass die Revolutionäre ein Faible für korrekte Buchführung hatten und selbst Rechnungen für Nägel sorgsam abhefteten. So wird nach der Niederschlagung der Räterepublik Guido Kapfenberger, Zahlmeister der Roten Armee, vom Vorwurf der Betrügereien freigesprochen. Die Revolution in Dachau endet mit der Ankunft des Freikorps Görlitz am 30. April 1919. Es gibt keine Straßenkämpfe, weil sich die Roten Truppen bereits zurückgezogen haben. Doch es gibt Opfer: Die Weißen erschießen drei junge Rotarmisten, die sie hinter dem Bahnhof aufgegriffen haben. Der jüngste ist 17 Jahre alt. Ein Denkmal, das an ihn erinnert, gibt es nicht.

© SZ vom 16.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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