Eine besondere Messe:Flakons für ein ganzes Museum

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Eine Wohltat für Nase und Auge stellen gefüllte Parfümflaschen dar. Sind sie leer, werden sie zu Objekten der Begierde. Einmal im Jahr treffen sich Sammler auf der Flacon-Börse in der Germeringer Stadthalle. (Foto: Günther Reger)

Karin Tschirpke sammelt seit 40 Jahren Parfumfläschen, mehr als 5000 Stück umfasst ihre Sammlung. Auch auf der Börse in der Germeringer Stadthalle wird die Seniorin wieder fündig. Wie ihr geht es auch den vielen anderen Besuchern, die an den Ständen auf Schatzsuche gehen

Von Jamila Christians, Germering

Obsession ist nicht nur der Name eines Parfums - es ist eine passende Beschreibung für den Wahnsinn, der sich früher oder später in das Leben eines jeden Parfumsammlers einschleicht. Beobachten kann man das an diesem Sonntag auf der Parfumbörse "Ein Quäntchen Duft" in Germering.

Eine dieser obsessiven Sammlerinnen ist die 80-jährige Karin Tschirpke aus Dachau. Der Besuch der Germeringer Börse ist deshalb für sie ein alljährlicher Pflichttermin. Auf der Suche nach neuen Flakons flaniert sie durch die Reihen der Aussteller. Immer parat hat sie ihr kleines Köfferchen, gefüllt mit Flakons, die sie zu tauschen hofft. Sie verweilt an jedem der kleinen Stände, die Hunderte der kleinen und besonderen Miniaturen präsentieren: Chanel, Moschino, Prada, Avon. Tschirpke beugt sich über die Miniaturausgaben, die in kleine bunten Kartons stehen. Für die Raritäten gibt es Glasvitrinen. Die Augen wandern akribisch mit. Von oben nach unten. Von rechts nach links. Auf der Suche nach etwas Neuem, Unbekannten, längst Vergessenem. Zu groß scheint die Gefahr, ein Fläschen zu übersehen. Tschirpke will den Duft erspähen, bevor es ein anderer Sammler tut.

"Ausgerechnet heute sehe ich so schlecht", sagt sie. Nur die Augen können die winzigen Details erfassen, die am Ende zählen. Jede Aufschrift, Gravur, jeden Defekt. Die passionierten Sammler machen den Wert der Flasche an winzigen, fast unscheinbaren Kleinigkeiten fest. Für Laien ist das kaum sichtbar. Tschirpke dagegen hat ein geschultes Auge. Begonnen hat ihre Leidenschaft vor 40 Jahren. Damals arbeitet sie als Sekretärin einer Hausverwaltung. Nach einer Entrümpelung bringt ihr Chef ein Fläschen Farina mit. Ein Fundstück - und der Anfang einer Leidenschaft, der über die Jahre wuchs und bis heute blieb. Sie gehört zu den Sammlern, die um jeden Preis jede einzelne Version eines Duftes haben müssen - dabei hätte sie längst genug Flakons, um ein ganzes Museum zu füllen: 5000 Parfumflaschen zählt sie zu ihrem Eigentum. Mal mehr, mal weniger. Ungefähr 1000 bewahrt sie in extra für sie angefertigten Vitrinen auf, der Rest ist in Kartons gelagert. Ohne Tageslicht, aber alphabetisch sortiert. Sie warten auf ihre Wiederentdeckung.

Auf die Börse kommt Tschirpke bereits seit fünf Jahren. "Die Formen, das Glas. Mir gefallen kleine Dinge, vor allem aber Parfumflakons", sagt sie. Die Sammler, die sich ganz dem Duft verschrieben haben, wissen, dass der Schatz oft im Verborgenen liegt. "Deshalb ist es so interessant, in den Kästchen der anderen zu stöbern", sagt Tschirpke und lacht.

Am Stand von Hildegard Fahnler, einer Sammlerin aus Wien, wird sie fündig. Vier Düfte landen schließlich in Tschirpke Körbchen, zwei davon sind Teil einer seltenen zwölfteiligen Serie. Ihr Ziel ist es, die Serie zu komplettieren, die Parfumfamilie zu vervollständigen, wie Tschirpke sagt. Auch Fahnler hat seit 1994 Tausende Parfumflaschen zusammengetragen. Die 48-Jährige wird im Koffer von Tschirpke fündig: das Vintage-Parfum "Riachi Prestige". Schnell sind sich beide einig. Im Tausch dafür erhält Tschirpke "Green Water" von Jacques Fath. Eine französische Puderdose wird von Tschirpke inspiziert. "Damit fange ich lieber nicht auch noch an", sagt sie. Den Überblick behalten, das könne sie nicht mehr wirklich. "Aber ich weiß, was mir noch fehlt", sagt sie. Jeden Duft kann sie beim Namen nennen.

Wie Tschirpke geht es vielen der Sammler. Die Börsen bieten zumindest die passende Gelegenheit, Doppeltes zu tauschen. Die Besucher und Aussteller kennen keine Grenzen, wenn es um die Objekte ihrer Begierde geht. Einige von ihnen kommen sogar extra aus Holland, Frankreich und Österreich. Sie nehmen auch die längste Fahrt in Kauf, um Gleichgesinnte zu treffen, um gemeinsam ihre Leidenschaft zu frönen. Bei ihrer Suche trifft Tschirpke regelmäßig auf alte Bekannte. Sie grüßen sich beim Vornamen, kennen ihre heimlichen Vorlieben. "Ich habe da einen Duft, der dir gefallen könnte", sagt Freundin Erika zu Tschirpke . Sie öffnet ihren silberfarbnen Aktenkoffer und zeigt ihr das neu ersteigerte Fundstück: Gucci Bloom Acqua Di Fiori. Die rosafarbene Flasche ist verziert mit Jasminblüten und Schmetterlingen. "Die Flasche brauche ich unbedingt", sagt Tschirpke. Sie läuft geradewegs zu dem Stand von Karin Straßecker, die aus Freudenstadt angereist ist. Auch sie kennt Tschirpke bereits aus den Vorjahren. Und die 80-Jährige hat Glück. Noch ein letztes Gucci-Fläschen hat Straßecker übrig, für zwölf Euro wechselt es den Besitzer. Es ist das zweite Gucci-Parfum an diesem Tag für Tschirpke. Doch damit nicht genug. Sie zieht eine weitere kleine Parfumverpackung aus einem Korb. "Den Duft habe ich schon, die Verpackung nicht". Die Verpackung sei genauso wertvoll, wie das Fläschen selbst.

Die Börse mit ihren 15 Ausstellern ist für die Sinne der Besucher eine Herausforderung. Nur einer von ihnen bleibt außen vor: der Geruchssinn. Denn, so unerwartet das auch klingt, der Duft ist uninteressant. Ohnehin verdampft er im Laufe der Zeit, verliert an Charakter. "Es ist ein bisschen so wie mit Wein, der wird auch irgendwann schlecht." Nicht aber die Flasche.

Und so widmet manch ein Flakon-Sammler seinen Schätzen ein eigenes Zimmer. So wie Tschirpke aus Dachau, Straßecker aus Freudenstadt oder Fahnler aus Wien. Die zierlichen Flakons werden in Räumen gehortet - und verehrt. "Viele der Flakons sind hier schon ab einem Euro zu haben. Da schmerzt einem das Herz. Früher waren sie noch 20 bis 30 Euro wert. Heute werden sie verscherbelt. Sie haben an Sammlerwert verloren", sagt Straßecker. Das liege vor allem daran, dass es immer weniger Sammler gibt. "Es kommen einfach keine jungen Leute nach", sagt sie. Auch das Internet spielt eine Rolle, das exquisite Einzelstück wird dort zur Massenware.

Nicht aber für den wahren Sammler, der tauscht nicht über das Netz. Er geht auf Börsen. Er begutachtet und betrachtet. Für Tschirpke gibt es das Internet nicht. Kein Handy oder Computer. Deshalb hofft sie auch zukünftig auf viele weitere Börsen. Trotz des stetigen Zuwachses, des Platzmangels für die vielen Flakons. Ein Ende ist nicht in Sicht. "So lange ich noch gehen und sehen kann, sammle ich weiter", sagt die 80-Jährige, dreht sich um - und nimmt schon den nächsten Stand ins Visier.

© SZ vom 16.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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