Klimaschutz:So kann man anfangen

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Protestieren, wie hier bei einer Aktion gegen die Luftverschmutzung in Berlin fällt leichter als konkrete Verhaltensänderungen im persönlichen Lebensumfeld. (Foto: picture alliance/dpa)

Hundert Haushalte in Berlin haben versucht, ihren CO2-Ausstoß drastisch zu senken. Dabei lernten sie, was hilft: digitales Tracking, Unterstützung durch die Gruppe - und die richtige Ausrüstung.

Von Mareen Linnartz

Wann beginnt Fieber? Bei 38,2 Grad. Wie schnell darf man in geschlossenen Ortschaften fahren? 50 km/h. Wie groß ist der CO2-Ausstoß eines Deutschen jedes Jahr? Eben. Das weiß kaum einer und vielleicht ist genau das schon ein Teil des Problems. Denn was man nicht sieht und nicht riecht und was deswegen irgendwie nicht existiert, ist keine konkrete Gefahr und damit auch keine feste Größe im Bewusstsein.

Der jährliche CO2-Ausstoß eines Deutschen beträgt: 11,6 Tonnen. 11,6 Tonnen, das ist ein sehr hoher Wert. Wollte man klimaneutral leben, dürfte man etwa eine Tonne ausstoßen. Wollte man persönlich das von der Bundesregierung gesetzte Ziel erreichen, bis zum kommenden Jahr den CO2-Austoß um 40 Prozent zu verringern, müsste man ausgehend vom Durchschnitt bei sieben Tonnen landen. Die Bundesregierung hat dieses Vorhaben längst kassiert, es ist unerreichbar. Aber knapp hundert Berliner Haushalte wollten es im vergangenen Jahr trotzdem schaffen. Als Selbstversuch - und als Teil der Studie "Klimaneutral leben in Berlin" (KliB), federführend geleitet vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung.

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Es ist ein bemerkenswertes Projekt, der Lackmustest: Was kann ein Einzelner in einem hochindustrialisierten Land wie Deutschland überhaupt bewirken? Reicht es, kein Fleisch mehr zu essen, nicht zu fliegen, auf Ökostrom umzusteigen? "Wir wollten niemandem Schuldgefühle bereiten, aber wir haben schon gesagt: Es gibt ein Problem, und ihr seid ein Teil davon - auch wenn wir natürlich durch noch so viele private Maßnahmen nie klimaneutral werden, solange die Politik so wenig unternimmt", sagt Fritz Reusswig, der Leiter des Programms.

"Die ersten Wochen sind die Hölle"

Der Weg führt über Veränderungen von Gewohnheiten. Aber wie verändert man sie? Das, sagt Reusswig, war neben den Zahlen der fast noch interessantere Teil ihrer Versuchsanordnung. Einem der Teilnehmer fiel es schwer, wirklich jeden Tag mehrere Kilometer mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren, häufig schob er es auf das schlechte Wetter. Also kaufte er zur Motivation eine gute Regenhose. Ökologisch eigentlich nicht optimal, doch mit den Monaten wurde aus der Überwindung Gewohnheit. Oder wie Reusswig sagt: "Das ist wie bei einer Diät. Die ersten Wochen sind die Hölle. Man kämpft, man will hinschmeißen, überall Versuchungen. Und irgendwann hat man sein Verhalten geändert und vermisst nichts mehr."

Den Studienteilnehmern half auch der wöchentliche Tracker: Jeden Sonntag dokumentierte jeder Haushalt am Computer, wie die Mitglieder in der vergangenen Woche gelebt hatten, bezogen auf Ernährung, Mobilität, Wohnen und Konsum. Das habe einen interessanten Effekt gehabt, sagt Karin Beese, die mit ihrer Familie mitmachte: "Uns wurde der Spiegel vorgehalten." Weil der Tracker Verläufe anzeigt - wo geht's gut voran, wo eher nicht? - und Prognosen erstellt: Wenn ich weiterhin so wenig Auto fahre wie jetzt, was heißt das dann für meine Jahresbilanz?

Karin Beeses Familie hatte vor dem Versuch 6,7 Tonnen CO2-Ausstoß pro Kopf. Vergleichsweise wenig - sie, ihr Mann und die drei Kinder sind alle Vegetarier, haben vor ihrer Erdgeschosswohnung einen kleinen Garten, in dem sie Gemüse anbauen, fahren im Urlaub an die Ostsee zum Zelten. Aber diesen Ausgangswert wollten sie verbessern. "Jeder Supermarktbesuch bedeutete plötzlich nachzudenken. Ist die importierte Biogurke besser als die Nicht-Biogurke aus Deutschland?" Und sie bekamen bemerkenswerte Informationen direkt von den Projektleitern, dass beispielsweise 100 Milliliter Biomilch aus Deutschland einen höheren CO2-Ausstoß verursachen als 100 Gramm einer importierten Banane - die Kuh, der Klimakiller.

Während der ersten vier Wochen, sagt Karin Beese, seien sie voller Enthusiasmus gewesen, dann kam das erste Tief. Ernüchternde Reaktionen im Freundeskreis ("Kriegt ihr Geld dafür?"), das Gefühl, allein mit dem Vorhaben zu sein. In dieser Phase half ein psychologischer Kniff der Studienleiter, sie trommelten regelmäßig die Teilnehmer zu Treffen zusammen. "Das ist klassisches Community-Building. Sich durch Gleichgesinnte bestätigt zu fühlen", sagt Reusswig.

Selbst die Siegerin hat das 40-Prozent-Ziel nicht erreicht

Zur Ernüchterung kam bei Karin Beese allerdings irgendwann auch noch die Wut: Warum ist die Politik eigentlich so lahm? Wieso gibt es keine CO2-Besteuerung, wie andere Länder sie schon eingeführt haben? Sie ist dann, nächste Phase, bei den Grünen eingetreten, um politisch etwas zu bewirken, und am Ende des Versuchsjahrs stand die Erkenntnis: "Es ist sehr viel besser, etwas vorzuleben, als zu missionieren." Sie jedenfalls merkte irgendwann, dass bei manchen skeptischen Freunden "etwas zu arbeiten anfing". Vielleicht kann man ja doch was machen. Auch als Einzelner.

In einem Jahr hat die Familie ihren Ausstoß von 6,7 Tonnen pro Person auf 5,3 gesenkt. Das ist gut. Aber weit entfernt von Klimaneutralität. Die KliB-Haushalte haben im Mittel elf Prozent eingespart, weniger als erhofft. Selbst die Siegerin, eine Single­frau Mitte 50, hat das 40-Prozent-Ziel nicht erreicht, obwohl sie im Winter ihren Kühlschrank abschaltete und fast alle Wege zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurücklegte.

Fritz Reusswig denkt jetzt darüber nach, aus dem Tracker, der bisher eher eine "akademische Übung" ist, eine App für alle zu machen. Er hat selbst auch an der Studie teilgenommen und 20 Prozent eingespart. Dafür zog er aus der Altbauwohnung in ein energiesparenderes Holzhaus und hat sein Auto abgeschafft. Es ist noch nicht ­klimaneutral, aber es ist, wie er sagt "ein Anfang".

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