Geschlechterklischees in der Schule:Ekel vor Büchern, Angst vor Mathe

Die Schule verstärkt die Leistungsunterschiede zwischen Jungen und Mädchen, das zeigt eine neue Auswertung der Pisa-Studie. Schuld sind rückständige Geschlechterklischees.

In der Schule nehmen die Leistungsunterschiede zwischen Jungen und Mädchen im Laufe der Jahre zu. Eine Grund dafür sind geschlechtsspezifische Vorurteile, wie die jüngste Pisa-Sonderuntersuchung zeigt. Die Daten für die am Dienstag in Paris veröffentlichten Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung stammen aus den internationalen Untersuchungen der Schulleistung (Pisa) und andern Studien in den OECD-Industrieländern.

Unterricht in einer Grundschule

Jungen und Mädchen im Unterricht: Mädchen lesen deutlich lieber als Jungen, sind aber gleichzeitig stärker um ihre Leistungen in Mathematik besorgt.

(Foto: Archivfoto: DPA-SZ)

Danach erzielen Jungen und Mädchen in Mathematik gegen Ende der Grundschulzeit fast die gleichen Ergebnisse. Im Alter von 15 Jahren zeigt sich jedoch ein anders Bild: Dann schneiden Jungen in fast allen untersuchten Ländern besser ab als Mädchen. Beim Lesen sind Mädchen bereits in der Grundschule überlegen.

Dieser Unterschied verstärkt sich in der weiteren Schullaufbahn und ist in den Ergebnissen der Pisa-Studie ebenfalls deutlich zu erkennen. Dieses Muster spiegelt sich laut Sonderuntersuchung auch in der Motivation und den Einstellungen zu den verschiedenen Fächern wider: Mädchen lesen deutlich lieber als Jungen, sind aber gleichzeitig stärker um ihre Leistungen in Mathematik besorgt.

Zweifel der Mädchen

Dass diese Unterschiede eher auf Stereotype als auf unterschiedliche Begabung zurückzuführen sind, legen die Ergebnisse aus dem Bereich "Problemlösung" nahe: Hier schneiden 15-jährige Mädchen ähnlich gut ab wie ihre männlichen Altersgenossen, während sie beim Lösen mathematischer Probleme hinter den Jungen zurückliegen. Die Studie schreibt diesen Unterschied dem Kontext zu, in dem mathematische Probleme in der Schule präsentiert werden, aber auch den Zweifeln der Mädchen an ihren mathematischen Fähigkeiten.

Wie sehr Elternverhalten das spätere Lerninteresse von Jugendlichen beeinflussen kann, wird bei einer Begleitumfrage deutlich. Danach sehen sich in Deutschland Eltern mit ihren 10-jährigen Söhnen fast doppelt so häufig wissenschaftliche Fernsehsendungen an als mit ihren Töchtern.

Auch die Entscheidung über den weiteren Bildungsweg und Beruf scheint mehr von Stereotypen als von den tatsächlichen Fähigkeiten abhängig zu sein. So studieren zum Beispiel Mädchen deutlich häufiger Lebenswissenschaften wie Biologie als Jungen, obwohl sich die Leistungen in diesem Bereich kaum unterscheiden.

Bildungspotential geht verloren

"Viele Länder können mit Recht stolz darauf zu sein, dass Jungen und Mädchen in den schulischen Kernfächern die gleiche Leistungen erbringen", sagte OECD-Generalsekretär Angel Gurria. "Wir dürfen aber nicht akzeptieren, dass Vorurteile wie 'Lesen ist nichts für Jungen' oder 'Mathe ist nichts für Mädchen' weiterbestehen. Solche Ansichten führen dazu, dass unseren Gesellschaften wichtiges Bildungspotential verloren geht."

Der Bericht zeigt auch, dass Lehrkräfte deutlich mehr für die Gleichberechtigung der Geschlechter tun können. Sie brauchen dazu aber auch die Unterstützung aus der Gesellschaft. Lehrer müssten sich der Erwartungen, die sie gegenüber ihren Schülern haben, bewusstwerden, fordern die Autoren der Studie. "Sie müssen Strategien entwickeln, um das Selbstbewusstsein und die Motivation der Schülerinnen und Schüler in ihren schwachen Fächern zu stärken."

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