Sterbehilfe:Selbstbestimmt zur Erlösung

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Im Februar 2020 hatte das Bundesverfassungsgericht das Verbot geschäftsmäßiger Sterbehilfe gekippt. Seither sei es für Suizidwillige einfacher, an tödliche Medikamente zu kommen, so die Richter. (Foto: imago stock&people/imago stock&people)
  • Das Bundesverfassungsgericht verhandelt über das Verbot "geschäftsmäßiger" Sterbehilfe.
  • Schwer kranke Menschen, Sterbehilfevereine und Ärzte haben gegen das seit Ende 2015 bestehende Verbot geklagt.
  • Gerichtspräsident Voßkuhle dämpft zu Beginn die Erwartungen.

Von Wolfgang Janisch und Michaela Schwinn, Karlsruhe

Normalerweise ist der Sitzungssaal des Bundesverfassungsgerichts der Ort, an dem aus Gesetzesbüchern und dicken Kommentaren zitiert wird. Das Thema Sterbehilfe aber - das war vorhersehbar - verleitete zu allerlei Anleihen aus Philosophie und Literatur. Sibylle Kessal-Wulf, im Zweiten Senat als Berichterstatterin für das Thema zuständig, gemahnte an Albert Camus, der vom "glücklichen Tod" geschrieben hatte. Rechtsanwalt Gerhard Strate zitierte Goethes "Leiden des jungen Werther", der aus verzweifelter Liebe den Freitod gesucht hatte. Und Andreas Voßkuhle, Präsident des Gerichts, fand eigene Worte, die ebenfalls die Tiefendimension der Materie ausloten sollte. "Wie wir mit dem Tod umgehen, spiegelt unsere Einstellung zum Leben. Das Recht darf hier nicht schweigen."

Voßkuhle geht es in erster Linie um die Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz

Der Zweite Senat verhandelt zwei Tage lang über sechs von insgesamt elf Verfassungsbeschwerden, eingelegt von Ärzten und Sterbehilfevereinen - wie auch von Menschen, die eine Suizidbegleitung möglicherweise selbst in Anspruch nehmen wollen. Sie wenden sich gegen den Paragrafen 217 des Strafgesetzbuches, der seit gut drei Jahren die "geschäftsmäßige" Suizidbeihilfe unter Strafe stellt - nach mehr als hundert Jahren, in denen jede Beihilfe zum Freitod straffrei war. Voßkuhle ging es zu Beginn erst einmal darum, die Erwartungen zu dämpfen. Dem Gericht gehe es ausschließlich um die Frage, ob der 2015 geschaffene Paragraf mit dem Grundgesetz vereinbar sei - und nicht "um die moralische oder politische Beurteilung der Selbsttötung und ihrer Folgen für die Gesellschaft", sagte er. "Es geht nicht um das Pro oder Contra, nicht um unsere Meinung und unsere Standpunkte, sondern allein um die Reichweite des Freiheitsraums, den das Grundgesetz einer staatlichen Strafverfolgung entgegensetzt."

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Pro und Contra, das Für und Wider des Gesetzes wurde zunächst von den Beteiligten noch einmal in Erinnerung gerufen. Aus Sicht der Beschwerdeführer verletzt das nach intensiver Debatte verabschiedete Gesetz das Persönlichkeitsrecht, zu dem auch das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben gehöre. "Will der Staat unheilbar Kranke zum Weiterleben zwingen?", fragte Bernd Hecker, Anwalt des Vereins "Sterbehilfe Deutschland" und dessen Gründers Roger Kusch - auf den das Verbot von 2015 letztlich gemünzt war.

Seit der Geltung des Paragrafen 217 sei es Betroffenen nahezu unmöglich, innerhalb Deutschlands professionelle Hilfe zum Suizid in Anspruch zu nehmen, kritisierte Rechtsanwalt Christoph Knauer, der zwei Betroffene vertritt. Johannes Rauwald, Anwalt des Schweizer Sterbehilfevereins Dignitas, warf dem Gesetzgeber vor, seine eigenen Ziele zu verfehlen. Das Verbot schütze die Selbstbestimmung nicht, sondern gefährde sie - weil wegen der Strafvorschrift zwischen Patienten und Helfern kein Klima des Vertrauens entstehen könne.

Geschäftsmäßig" ist ein unscharfer Begriff

Die SPD-Bundestagsabgeordnete Kerstin Griese, damals federführend an dem Gesetz beteiligt, verteidigte die Regelung als einen wichtigen Schritt hin zu einem Sterben in Würde. Aus vielen Gesprächen habe sie damals gelernt, dass der Wunsch nach einem Suizid oft ambivalent sei. "Es ist nicht der Ruf nach dem Tod, sondern der Ruf nach Hilfe." Wesentlicher Bestandteil der damaligen Reform sei daher der Ausbau der Palliativmedizin gewesen. Der Vorwurf, diese werde mit dem Gesetz kriminalisiert, sei falsch. Dasselbe gelte für die Behauptung, Paragraf 217 bedrohe Helfer beim sogenannten "Sterbefasten" mit Strafe - also dem bewussten Einstellen der Ernährung, das von einem Arzt begleitet wird. Die Bundesärztekammer habe festgestellt, dass Ärzte sich damit nicht strafbar machten. Ihr Kollege Michael Brand von der CDU sagte, das Gesetz habe sich in den Jahren seiner Geltung bewährt: "Das Horrorszenario vom Staatsanwalt am Sterbebett ist nicht eingetreten."

Dennoch: "Geschäftsmäßig" ist ein unscharfer Begriff. Er kann auch Ärzte treffen, die Patienten am Lebensende Hilfe leisten, den letzten Schritt zum Tod zu tun - jedenfalls, wenn sie das wiederholt tun. Weshalb unter den Karlsruher Beschwerdeführern auch Ärzte sind: Wegen Paragraf 217 stehen sie womöglich mit einem Bein im Gefängnis. Die meisten Fragen hatten die Richter an Roger Kusch. Von 2001 bis 2006 war er für die CDU Justizsenator in Hamburg; danach trat er aus der Partei aus. 2009 hatte er den umstrittenen Verein "Sterbehilfe Deutschland" gegründet. Was machte der Verein mit dem Geld? Wie viele nahmen Sterbehilfe in Anspruch? Alle acht Richter hatten Nachfragen. 250 Suizide seien von 2010 bis 2015 begleitet worden, antwortete Kusch. Der Mitgliedsbeitrag, der am Ende bis zu 7000 Euro betrug, habe nur die Fixkosten wie Mitarbeiter und EDV gedeckt: Er selbst habe durch den Sterbeverein "keinen Euro verdient", sagte Kusch.

Mancher bittet um Hilfe und findet wieder Freude am Leben

Mehrmals schilderten die anwesenden Ärzte oder Vertreter der Sterbehilfevereine in ihren Ausführungen Geschichten von schwerkranken Menschen, die nicht weiterleiden wollten. Aber es ging auch um andere Fälle. Der Schweizer Ludwig Amadeus Minelli, Gründer der Sterbehilfeorganisation Dignitas, erzählte von einem jungem Mann aus Deutschland. Er sei zu ihm gekommen, weil er keinen Sinn mehr im Leben sah, er wollte sofort sterben. Minelli hörte ihm zu, die Sterbehilfe aber verweigerte er ihm. Und der Mann fand wieder Freude am Leben.

Einer der Beschwerdeführer, der Autor und Arzt Uwe-Christian Arnold, meldete sich posthum zu Wort. Durch seinen Anwalt Robert Roßbruch ließ er im Gerichtssaal eine Erklärung verlesen - ein Plädoyer für eine Öffnung der Suizidbeihilfe. Er habe Hunderten beim Sterben geholfen - andere wiederum hätten durch die Hilfe wieder Mut zum Leben gefasst. Arnold, schwer krebskrank, hatte sich am vergangenen Freitag das Leben genommen.

© SZ vom 17.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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