Mileva Marić:Im Schatten Einsteins

Albert Einstein mit seiner ersten Ehefrau Mileva Maric, 1910

Da ist die Ehe schon am Boden: Albert Einstein mit seiner ersten Ehefrau Mileva Marić im Jahre 1910.

(Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)
  • Eine neue Biografie beschreibt Albert Einsteins Ehegattin Mileva Marić als eine Frau, die lange und tapfer gegen enormen Widerstände kämpfte.
  • Zugleich räumen die Autoren mit dem Mythos auf, das Marić der Ruhm für die Relativitätstheorie gebührt. Entsprechende Berichte seien fachlich fragwürdig.
  • Die beiden tauschten sich wissenschaftlich aus, ihre Ehe ging jedoch schnell in die Brüche.

Von Marlene Weiß

Wie wird man einem Leben gerecht, das im Schatten eines Jahrhundertgenies stattfand? Wenn man ausschmückt, beschönigt, hinzudichtet, ist das die ultimative Würdigung? Oder unterstellt es eher, dass die Wahrheit allein zu dürftig wäre? Albert Einsteins erste Frau Mileva Marić umweht der Mythos, dass sie einen großen Anteil an seinen ersten Arbeiten zur Relativitätstheorie hatte, aber wie so viele Frauen in der Geschichte der Wissenschaft um die Anerkennung dafür betrogen wurde. Mehrere Bücher und Artikel haben das behauptet, sodass sie heute vielen als Tatsache gilt. In einem neuen, gründlich recherchierten Buch argumentieren Allen Esterson und David Cassidy, dass dieser Mythos schlecht begründet ist. Trotzdem hat man nach der Lektüre ihres Buches "Einstein's Wife - The real story of Mileva Einstein-Marić" (MIT Press) nicht das Gefühl, dass Mileva Marić schlechter dasteht als vorher - im Gegenteil.

Esterson und Cassidy schildern sie als eine Frau, die lange und tapfer gegen enorme Widerstände kämpfte, in einer Zeit, in der Frauen in der Wissenschaft nicht vorgesehen waren. Im ersten Teil des Buches beschreibt Cassidy Marić' schwieriges Leben mit einem Mann, der sich oft benahm wie ein Ekel. Im zweiten Teil geht Esterson akribisch den Belegen für Milevas angebliche Co-Autorschaft nach. Mileva Marić wurde am 19. Dezember 1875 in Titel geboren, in der vorwiegend serbischen Region Vojvodina im Süden Ungarns. Wegen einer Fehlstellung der linken Hüfte wird sie zeitlebens hinken. Schon in der Grundschule fällt sie als ungewöhnlich kluges Kind auf. Aber nach acht Jahren Schule war das für Frauen vorgesehene Bildungsniveau erreicht. Die auf den Hochschuleintritt vorbereitenden Gymnasien nahmen meist nur Jungen an.

Einstein ist der bessere Schüler, vor allem in Naturwissenschaften

Die folgende Odyssee durch Bildungssysteme zeigt, mit welch bewundernswerter Entschlossenheit Mileva - mit Unterstützung ihres Vater Miloš - dennoch ihre Ausbildung verfolgte. Zuerst knapp zwei Jahre an einem Gymnasium im benachbarten Serbien, das Mädchen aufnahm. Dann zog die Familie nach Zagreb um, und Mileva durfte nach bestandener Aufnahmeprüfung als Gastschülerin an ein dortiges Jungengymnasium gehen. Mit einer Sondergenehmigung des Bildungsministeriums erhielt sie Zutritt zum Physikunterricht.

Nach zwei weiteren Jahren zog Marić weiter in die Schweiz, weil das Land damals in der Frauenbildung weit vorn war. An der Höheren Töchterschule in Zürich absolviert sie ihr letztes Schuljahr. Die Matura legt sie extern ab. Im Herbst 1896 schreibt sie sich am Polytechnikum (der heutigen ETH) in Zürich ein, zugleich mit einem gewissen Albert Einstein, der einen ungleich einfacheren Weg hinter sich hatte. Er ging halbwegs regulär zuerst in München zur Schule, dann in Aarau, wo er die Matura ablegen und mit erst 17 Jahren sein Studium beginnen kann. Anders als viele Biografen behauptet haben, ist Einstein der bessere Schüler, besonders in Mathematik und Naturwissenschaften. Zwar rasselt er zunächst durch die Aufnahmeprüfung des Polytechnikums, allerdings versucht er diese mit gerade einmal 16 Jahren und scheitert wohl eher am Fach Französisch. In seiner Matura ein Jahr später hat er einen ordentlichen Notenschnitt und ausgezeichnete Noten in Physik und Mathematik.

Mileva Marić hingegen hat nach der Grundschule zwar gute, aber selten herausragende Noten. In der Aufnahmeprüfung des Polytechnikums, die sie ablegen muss, wird sie in Mathematik und Darstellender Geometrie getestet. In den sechs Prüfungen bekommt sie Noten zwischen 3,5 und 5, mit einem Schnitt von 4,25: gerade so bestanden (in der Schweiz ist die Sechs die beste Note). Trotzdem wurde ihr später oft nachgesagt, eine hochbegabte Mathematikerin gewesen zu sein, Einstein überlegen. Es war die Grundlage für die Behauptung, sie habe die Relativitätstheorie mit entwickelt, eine gute Geschichte, aber Belege dafür gibt es kaum. Schon 1962 hatte der australische Journalist Peter Michelmore eine kurze Biografie veröffentlicht: "Einstein: Profile of the Man". Darin schreibt er, Mileva Marić habe Einstein schon im Studium mit der Mathematik geholfen. Allerdings nennt Michelmore, dessen Text mit fiktiven Dialogen angereichert ist und nie als historische Analyse gedacht war, keine Quelle für diese Aussage. Spätere Biografen zitieren dann zunächst Michelmore und später einander gegenseitig. Über die Zeit wurde aus der Behauptung ein Fakt.

"Am Sonntag küss' ich dich mündlich"

Eine Mitbewohnerin beschreibt Mileva damals sehr nüchtern ihrer Mutter: "Ein sehr nettes Mädchen, schlau und ernsthaft, sie ist klein, dünn, dunkel, hässlich; hinkt etwas." Albert Einstein hingegen ist fasziniert von der Unabhängigkeit und Intelligenz seiner Mitstudentin und schreibt bald verliebte Briefe an sein "Doxerl", sein "kleines Hexchen", sein "Negermädel". "Am Sonntag küss' ich dich mündlich", schreibt er fröhlich, den sie da schon zärtlich "Johonzel" nennt.

Auch die Physik kommt häufig in seinen Briefen vor. Albert freut sich darauf, mit seiner Freundin Lehrbücher durchzuarbeiten und erwähnt seine neuesten Ideen über den "Äther", der bis zur Relativitätstheorie als Medium für die Ausbreitung des Lichts galt. In den wenigen Antworten von Mileva, die erhalten sind, geht sie allerdings nicht darauf ein. Im Studium haben beide eher mäßige Noten - was bei Einstein wohl auch daran liegt, dass er auf das Kurrikulum pfeift und lieber selbst auswählt, womit er sich beschäftigt.

Anfang des Jahres 1900 beginnen beide ihre Diplomarbeit. Leider haben sie Ärger mit ihrem Professor, der ihnen schlechte Noten gibt. In den Abschlussprüfungen kann Albert sich immerhin auf 4,91 verbessern und besteht. Mileva kassiert eine sehr schwache 2,5 in Mathematik und bleibt insgesamt bei einem Schnitt von 4,0. Das Prüfungskomitee lässt sie durchfallen.

Als sie ein Jahr später erneut zur Prüfung antritt, hat sich ihre Situation dramatisch verschlechtert. Albert und sie wollen heiraten, aber seine Familie ist strikt dagegen; Mileva ist ihnen zu alt, zu intellektuell, "bis du 30 bist, ist sie eine alte Hexe", giftet seine Mutter, der Sohn ist taktlos genug, das brühwarm an Mileva zu schreiben. Diese leidet sehr unter der Zurückweisung. Albert will vor der Hochzeit erst eine Stelle finden, hat aber Mühe damit. Und dann stellt Mileva fest, dass sie schwanger ist. Kurz darauf fällt sie ein zweites Mal knapp durch die Abschlussprüfung. Es ist das Ende ihrer beruflichen Ambitionen. Danach fährt Mileva heim zu ihren Eltern nach Novi Sad; schwanger, unverheiratet, ohne Abschluss. Und ohne Albert, den sie vergeblich gebeten hat, mitzukommen; ihre Eltern lernt er erst Jahre später kennen.

Die Ehe zwischen Mileva und Albert steht unter keinem guten Stern

Mehrere Autoren, allen voran Desanka Trbuhović-Gjurić in ihrer 1969 auf Serbisch erschienenen Mileva-Biografie "Im Schatten Albert Einsteins", verorten in dieser Zeit eine intensive fachliche Zusammenarbeit von Mileva und Albert, die unter anderem in die Spezielle Relativitätstheorie gemündet haben soll. Dafür gibt es Hinweise: In Briefen an Mileva schreibt Einstein mehrfach "unsere Arbeit über die Relativbewegung" oder von "unserem Artikel". In ihren eigenen Briefen an ihre Freundin Helene Kaufler-Savić spricht sie von diesen Arbeiten aber nur als Alberts, auf den sie sehr stolz sei. Warum hätte sie ihren Beitrag verschweigen sollen?

Anfang 1902 bringt Mileva in einer schweren Geburt in Novi Sad eine Tochter zur Welt. Dieser Umstand wurde erst 1986 bekannt, als in einem Tresor in Berkeley 500 Briefe von und an Albert Einstein auftauchten. Darin wird das Mädchen "Lieserl" genannt. Einige Monate später kehrt Mileva in die Schweiz zurück, allein. Im Herbst 1903 reist Mileva nochmals nach Novi Sad, wohl um Lieserls Adoption vorzubereiten. Während sie dort ist, bekommt das Mädchen Scharlach. Danach verliert sich ihre Spur. Ob sie wie geplant adoptiert wurde oder am Scharlach starb, ist bis heute ungeklärt. Aber auf Milevas Leben legte sich ein Schatten, Albert hat seine Tochter wohl nie kennengelernt.

Immerhin sind Albert und Mileva inzwischen verheiratet, auch wenn der Gatte später schreibt, das sei mit "innerem Widerstreben" und "nur aus Pflichtgefühl" geschehen. Die Ehe steht unter keinem guten Stern. Albert erlebt 1905 sein Annus Mirabilis, in dem er einen bahnbrechenden Artikel nach dem anderen veröffentlicht - unter anderem die Spezielle Relativitätstheorie - und wird immer berühmter. Mileva kümmert sich um den Haushalt und bekommt die Söhne Hans Albert und Eduard. Ihr Mann ist anfangs noch recht zufrieden: "Sie sorgt ausgezeichnet für alles, kocht gut und ist immer vergnügt." Mileva hingegen klagt in Briefen an Kaufler-Savić, dass sie fast nichts mehr von Albert zu sehen bekommt, weil er nur mit seiner Arbeit beschäftigt sei. Sie, die einst so ehrgeizig war, findet sich in einer einsamen Hausfrauenrolle wieder.

"Wie eine Angestellte, die ich nicht entlassen kann"

Einige Jahre später ist die Ehe am Boden. In einem Schreiben von 1914 stellt Albert Mileva schließlich Bedingungen, unter denen er bereit wäre, auf seinem neuen Posten in Berlin mit ihr zusammenzuwohnen: Sie soll dafür sorgen, dass Kleider und Wäsche in Stand gehalten werden und dass er drei Mahlzeiten "ordnungsgemäß" vorgesetzt bekommt, sowie jede an ihn gerichtete Rede sofort unterbrechen, wenn er darum ersucht. Mileva willigt zunächst ein, reist wenig später aber doch mit beiden Söhnen zurück nach Zürich und bleibt dort. Einstein hat da schon lange eine Affäre mit seiner Cousine Elsa, die er später heiratet. Über Mileva lästert er mit Elsa; er behandle sie "wie eine Angestellte, die ich nicht entlassen kann".

Auch in den folgenden Jahren bleibt das Verhältnis zu seiner ersten Familie schwierig. Am 24. Oktober 1925 schreibt Albert an Mileva: "Meine Heiterkeit aber hast du entfesselt, indem du mir mit deinen Memoiren drohst (...) wenn man eine Null ist, so ist nichts dagegen einzuwenden, aber man soll schön bescheiden sein und das Maul halten. Das rate ich dir." Mit seinem älteren Sohn Hans Albert, der Ingenieur und Professor an der University of California wurde, überwarf er sich wegen dessen Freundin und späterer Frau Frieda: Er hält sie für zu alt und wegen ihres Kleinwuchses für genetisch minderwertig, wie der Publizist Jürgen Neffe in seiner Einstein-Biografie schreibt. An seinen damals sechzehnjährigen, psychisch labilen Sohn Eduard, Tete genannt, schreibt Einstein 1925: "Die Verschlechterung der Rasse ist gewiss etwas Übles, eines der schlimmsten Dinge. Deshalb kann ich Albert seine Sünde nicht vergessen." Im selben Brief sorgt er sich, dass auch Mileva genetisch vorbelastet sein könnte: "Glaubst du, dass dein Vater da gesündigt hat?

Vielleicht. Dann vergib mir deine Existenz." Wer sich so aufführt, dem traut man ohne Weiteres zu, seine Frau eiskalt um die wissenschaftliche Anerkennung zu betrügen. Aber die Indizien dafür sind dürftig. So sollen Bekannte und Verwandte die beiden bei langen wissenschaftlichen Diskussionen beobachtet haben; Mileva soll in Bern nachts nach der Hausarbeit noch an den mathematischen Problemen ihres Mannes gesessen haben. Diese Berichte sind allerdings nie aus erster Hand, teils inkonsistent. Zudem ist die Geschichte fachlich fragwürdig: Sie beruht auf der Annahme, dass Mileva als die bessere Mathematikerin Einstein geholfen habe. Aber die Mathematik der Speziellen Relativitätstheorie ist sehr einfach; die physikalischen Ideen sind es nicht. Wenn Einstein mit diesen Rechnungen Schwierigkeiten gehabt hätte, wäre die spätere Allgemeine Relativitätstheorie weit außerhalb seiner Reichweite gewesen.

Vielleicht steht Mileva also nicht für die betrogene Forscherin. Vielleicht ist ihre Geschichte einfach nur das ganz normale Drama einer Frau, der ihre Zeit kaum eine Chance gegeben hat. Das macht die Sache banaler. Aber nicht weniger traurig, und nicht weniger unfair.

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