Brand in Notre-Dame:"Als ich die Bilder sah, dachte ich, der Dom ist verloren"

Wie löscht man ein Feuer in einem historischen Gebäude? Welche Schäden können Löschflugzeuge anrichten? Das erklärt Albrecht Broemme, Brandschutzexperte und Präsident des Technischen Hilfswerks.

Interview von Friederike Zoe Grasshoff

Albrecht Broemme war 22 Jahre alt, als er der Freiwilligen Feuerwehr beitrat, seit 13 Jahren ist er Präsident des Technischen Hilfswerks. Im Interview spricht er über die Löscharbeiten von Notre-Dame und erklärt, vor welche Herausforderungen ein derartiger Brand die Feuerwehr stellt.

SZ: Herr Broemme, was haben Sie gedacht, als Sie vor dem Fernseher saßen und die Notre-Dame in Flammen stehen sahen?

Albrecht Broemme: Diese Bilder aus Paris haben mich sehr berührt. Wenn man sieht, wie Notre-Dame plötzlich lichterloh brennt. Mich trieben vor allem zwei Sorgen um: Brennt die Kirche ganz ab? Und: Schaffen die Feuerwehrleute es, diesen schwierigen Einsatz ohne Unfälle zu überstehen? Beide Sorgen sind Gott sei Dank nicht eingetreten.

Ein Feuerwehrmann wurde bei dem Einsatz am Montagabend verletzt.

Wenn bei 400 Feuerwehrleuten, die zwölf Stunden lang einen schwierigen Einsatz meistern, einer verletzt wird, ist das einer zu viel, aber es ist ein sehr gutes Indiz für den hohen Ausbildungs- und Trainingsstand der Pariser Feuerwehr, die übrigens eine Militärfeuerwehr ist. Die werden schon sehr stark gedrillt, nur die Besten können dort bestehen. Und sie haben einen wunderbaren Job gemacht.

Was macht den Einsatz an einem Monument wie der Notre-Dame besonders schwierig?

Die Notre-Dame liegt auf einer Insel, wir reden hier von einem Bauwerk mit monumentalen Ausmaßen, mit Höhen von an die hundert Meter, wo keine Drehleiter mehr hinreicht und man erst mal die Treppen hochlaufen muss. Der Farbe der Flammen nach zu urteilen müssen die Temperaturen bei 800, 900 Grad gelegen haben. Außerdem fand der Einsatz unter den Augen der Weltöffentlichkeit statt. Das sind mehrere Stressfaktoren, die hier zusammenkamen.

Und die baulichen Faktoren?

Bei Kirchenbränden hat man normalerweise riesige Dachstühle aus Holz und wenn so ein Holz wie in der Notre-Dame 800 Jahre alt ist, ist es total trocken. Das heißt nicht, dass es leicht entzündlich ist, aber wenn es einmal brennt, brennt es wie Zunder. Und in der Kathedrale sind mehr als 200 Tonnen Blei verbaut, das bei solchen Temperaturen schmilzt und flüssig abtropft. Beim Einsatz selbst muss man die Balance halten zwischen beherztem Löschen und möglichen Schäden durch Wasser, oft macht die Statik da nicht mit.

Wie läuft so ein Einsatz logistisch ab? Man ist im Dienst und dann kommt der Notruf: In einem der bedeutendsten Wahrzeichen Europas brennt es...

Für solche Fälle liegen in den meisten Feuerwehrautos Notfallpläne, die beziehen sich etwa auf das Objekt Notre-Dame oder auf die Kulturgüter in diesem Objekt; da steht auch drin, wo und in welcher Reihenfolge sie aus dem Feuer geholt werden sollen. Offenbar hat das gut funktioniert, die Dornenkrone, die Jesus am Tag seiner Kreuzigung getragen haben soll, ist gerettet worden. So ein Plan ist aber bloß ein Plan. Ob das dann so abläuft, wie es mal geplant war, ist immer die andere Frage. Ich war auch erstaunt, wie ausgesprochen schnell sich dieser Brand ausgebreitet und durch den Dachstuhl gefressen hat.

Es sollen auch Roboter zum Einsatz gekommen sein.

Ja, aber meines Wissens keine Löschroboter, sondern Roboter mit Kameras, die ohne Risiko ein Bild von der Lage im Inneren geben können. Wir sind leider noch nicht so weit, dass es intelligente Löschroboter gibt - da brauchen wir noch fünf, sechs Jahre. Beim Einsatz selbst waren keine Roboter im Einsatz, da hat man sich auf die Brandbekämpfung von innen und außen durch die Feuerwehrleute beschränkt.

Wie angebracht war da Donald Trumps Vorschlag, mit Löschflugzeugen über die Notre-Dame zu fliegen?

Auf der einen Seite finde ich es gut, wenn alle möglichen Leute der Feuerwehr Ratschläge geben. Sie dürfen nur nicht erwarten, dass man die auch befolgt. Wenn man den Dom mit Löschwasser bombardiert hätte, wäre er kaputtgegangen. Die Pariser Feuerwehr hat große Teleskoplöscher eingesetzt, das war sehr umsichtig.

Wie werden solche komplizierten Großeinsätze koordiniert?

So ein großer Einsatz mit Hunderten Feuerwehrleuten kann nur funktionieren, wenn man Einsatzabschnitte bildet, das heißt: Abschnitt Dach, Abschnitt Süd, was auch immer. Je schneller man die wichtigen Abschnitte bildet, desto schneller kann man einen schwierigen Einsatz ordnen. Die Einsatzleitung sitzt im Kommandowagen, die Einsatzbefehle werden über Funk nach außen gegeben, bei Großlagen in Kirchen oder Monumenten haben die Polizei und Denkmalschutz eine wichtige Funktion, vor allem bei der Beratung.

Broemme

Albrecht Broemme, 65, Präsident des Technischen Hilfswerk und ehemaliger Landesbranddirektor von Berlin

(Foto: Foto: Johann Schwepfinger)

Wie legt man bei solchen Einsätzen die Prioritäten?

Wenn es ein bewohntes Haus wäre, würde die Priorität auf Menschenrettung liegen, sie geht dann vor der Brandbekämpfung. Hier haben wir ein historisches Gebäude und da gilt der Grundsatz Rettung von Kulturgut geht vor Brandbekämpfung. Denn wenn man nicht möglichst rechtzeitig Kulturgüter bergen kann, würden sie den Flammen zum Opfer fallen, wie zum Beispiel die Hostie mit dem Dornenkranz. Bei Wohnhausbränden hat die Feuerwehr mehr Übung, das passiert ja viel öfter als ein Feuer in einer Kirche. Deshalb muss man die Einsatzpläne auch immer wieder durchgehen und üben.

Könnte so ein Brand in ähnlicher Form auch im Kölner Dom ausbrechen?

Der Dachstuhl des Doms hat einen wesentlichen Unterschied: Es ist eine Stahl- und keine Holzkonstruktion. Doch er ist auch mit Blei eingedeckt, würde es brennen, hätte man auch dort das Problem mit dem abtropfenden Blei.

Haben Sie es bei diesen infernohaften Bildern für möglich gehalten, dass die beiden charakteristischen Türme der Notre-Dame stehen bleiben?

Als ich die Bilder sah, dachte ich, der Dom ist verloren. Es hätte nicht viel gefehlt, dann hätte der Dachstuhl weiter gebrannt und dann wären die beiden markanten Türme auch von den Flammen erfasst worden - und dann wären die Glocken runtergekommen. Man ist sehr umsichtig mit der Situation umgegangen.

Haben Sie als Feuerwehrmann schon einmal ein ähnliches Szenario erlebt wie Ihre Kollegen in Frankreich?

Der Brand im Deutschen Dom am Gendarmenmarkt, ein wichtiges Denkmal in Berlin, wenn auch nicht Notre-Dame. Das war 1994, wir haben es damals geschafft, dass der Brand nicht zum Einsturz der Kuppel führte. Wir hatten viel Glück.

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