Würzburg:"Es löst Mordgedanken in einem aus"

  • Gegen einen 37-jährigen Logopäden aus Würzburg wird wegen des Verdachts des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern ermittelt.
  • Der Mann soll sich in einer integrativen Kindertagesstätte an den Jungen vergangen und Aufnahmen davon im Darknet veröffentlicht haben.
  • Die Mutter eines betroffenen Kindes schildert gegenüber der SZ die Geschehnisse der vergangenen Wochen.

Von Olaf Przybilla, Würzburg

Seit vier Wochen erschüttert ein Kinderporno-Fall die Stadt Würzburg. Ein 37 Jahre alter Logopäde steht im dringenden Verdacht, Buben in einer integrativen Kindertagesstätte im Stadtteil Heuchelhof sexuell missbraucht und Aufnahmen davon gemacht zu haben. Anschließend soll der Beschuldigte diese Aufnahmen im "Darknet" veröffentlicht haben. Über den 37-Jährigen ist inzwischen vieles bekannt. Etwa, dass er damit warb, Kinder "ganzheitlich" zu betrachten, und vor drei Jahren für sein Engagement mit einem Unternehmerpreis ausgezeichnet wurde. Über die Opfer und deren Angehörige dagegen ist wenig bekannt bislang. Die Mutter eines heute sechs Jahre alten Buben mit Schwerbehinderung hat sich nun bereit erklärt, ihre Situation und die ihres Kindes der Süddeutschen Zeitung zu schildern - damit auch über die Perspektive der Opfer berichtet werden kann, nicht nur über die des mutmaßlichen Täters.

Die 29 Jahre alte Mutter aus Unterfranken gibt zu erkennen, dass ihr das Gespräch nicht leicht fällt. Sie möchte, auch im Sinne ihres Kindes, unerkannt bleiben. Sie berichtet, wie sie sich am 21. März - dem Tag, an dem die Polizei über einen Zugriff informierte - umgehend an eine eigens eingerichtete Nummer der Polizei gewandt habe. Zwei Tage später, an einem Samstag, wurde sie von der Kriminalpolizei angehört. "Man hat so ein Bauchgefühl", sagt sie. Und die Art der Fragen habe ihr den Eindruck vermittelt, dass die Beamten da schon einen sehr konkreten Verdacht hatten, dass ihr Sohn betroffen sein könnte.

Die 29-Jährige sollte dann eine Foto-CD zusammenstellen mit Bildern des Buben aus verschiedenen Monaten. "Danach war es dann nur noch Tage zählen", sagt sie. In der Woche darauf kam ein Gerichtsmediziner in die Wohnung und machte Untersuchungen. Vor anderthalb Wochen schließlich baten die Ermittler, die Familie möge abends zusammenkommen. Sie erklärten, dass der Sechsjährige betroffen ist - schwerer sexueller Missbrauch. Details wollten sie nicht nennen, weil diese zu belastend wären. Der Sechsjährige steht auf einer Namensliste, die der Logopäde den Ermittlern übergeben hat. Dass ihr Sohn betroffen ist, habe aber schon vorher festgestanden, sagt die Mutter. Eine ganze Serie von Bildern ihres Kindes ist sichergestellt worden. Und die Aufnahmen sind offenbar eindeutig.

Wie es ihr geht seither? Die Mutter macht keinen Hehl daraus: "Es löst Mordgedanken in einem aus." Sie habe das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. "Täglich ist man damit konfrontiert", sie fühle sich hilflos. Und sie mache sich Gedanken. Schon nach anderthalb Jahren in der integrativen Einrichtung habe sie gemerkt, dass sich ihr schwerbehinderter Sohn "zum Negativen verändert": unregelmäßiger Schlaf, zunehmende Aggressionen. "Er war einfach nicht mehr glücklich." Die Familie bat um Gespräche. Aber die Bedenken der Eltern, dass womöglich etwas in der Einrichtung nicht stimme, seien dort stets abgetan worden. "Für mich ist das unverständlich", sagt die 29-Jährige.

Es gibt zwei Räume, in denen der Missbrauch in der Kita mutmaßlich stattgefunden hat. Der eine hat zwei Fenster, der andere eine ganze Fensterfront. Die Kita befindet sich inmitten eines Wohnhauskomplexes, sie ist von allen Seiten einsehbar. "Eigentlich ist diese Einrichtung gläsern", sagt die Mutter. Irgendwann aber wurden immer Rollos runtergelassen. Gedacht habe man sich nichts dabei, zum Schutz sei das im Sommer ja nachvollziehbar.

Die Mutter durfte bei der Therapie nie dabei sein

Die Logopädiestunden fanden entweder sehr früh oder am späten Nachmittag statt. In einem der beiden Räume gibt es eine Tür, die abgeschlossen werden kann. Ob sie tatsächlich verriegelt war manchmal, das wissen die Eltern des Sechsjährigen nicht. Bei einer der Logopädiestunden zu hospitieren, einfach mal dabei zu sein, gelang der 29-Jährigen nie. Sie hätte das gerne gewollt, in allen anderen Therapiestunden war das auch möglich. Nur in der Logopädie nicht, da habe der 37-Jährige "immer Ausreden gefunden": Kinder seien nicht richtig konzentriert, wenn die Eltern dabei sind. Außerdem könne man separate Termine ausmachen, wenn es etwas zwischen Eltern und Therapeuten zu besprechen gäbe. Für die 29-Jährige war das sehr unbefriedigend. "Als Mutter eines schwerbehinderten Kindes will man ja wissen, wie eine Therapie läuft und was man auch daheim anwenden kann."

Seit September 2018 besucht ihr Sohn eine andere Einrichtung. Die 29-Jährige wollte schon viel früher, dass der Sechsjährige wechselt, eben weil es ihrem Sohn immer schlechter ging, und sie "ein Bauchgefühl" hatte, dass irgendwas nicht stimmt. Nur gab es lange keinen anderen Platz. Wenn sie ihren Sohn heute aus der neuen Kita abholt, "dann strahlt er", erzählt die Mutter. "Er ist wie ausgewechselt."

Der Logopäde war freiberuflich in der Einrichtung tätig, sein 36-jähriger Partner gehörte zum Führungsteam. Auch gegen ihn wird ermittelt, derzeit geht die Staatsanwaltschaft aber eher davon aus, dass er nichts wusste von den Vorgängen in den Logopädiestunden. Er ist vom Dienst freigestellt, die anderen Mitglieder der Kita-Leitung lassen ihr Amt ruhen. Nun werde akribisch ermittelt, ob es weitere Tatorte gebe, sagt der Sprecher der Bamberger Generalstaatsanwaltschaft, Nino Goldbeck. So war der Logopäde auch in einer zweiten Würzburger Kita tätig. Die Zahl der "sicher identifizierten Buben" liege zum jetzigen Zeitpunkt "im einstelligen Bereich", sagt der Staatsanwalt.

Die Ermittler haben Datenmaterial im Umfang von mehreren Terabyte gesichert, bis zu einem möglichen Prozess wird es also noch dauern. Man prüfe, ob die 29-Jährige in einem solchen als Nebenklägerin auftreten wird, sagt ihr Anwalt Bernhard Löwenberg.

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