Champions League:Die unerhörte Leichtigkeit des Spiels

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Frenkie de Jong feiert den Sieg gegen Juventus. (Foto: AFP)
  • Ajax Amsterdam schlägt Juventus Turin mit 2:1 und steht im Halbfinale der Champions League.
  • Wie schon gegen Real Madrid kommt das Team von Erik ten Hag dank seiner fußballerischen Klasse weiter.
  • Turin setzte alles auf Cristiano Ronaldo - das war gegen die Unbeschwertheit des jungen Teams aber nicht genug.

Von Birgit Schönau, Turin

Lasset die Kinder spielen und wehret ihnen nicht, denn ihrer ist das Himmelreich. Oder doch jedenfalls das Fußball-Paradies der Champions League, deren Olymp gerade von der lustigsten, frechsten und talentiertesten Mannschaft seit Jahren erstürmt wird. Man kann gar nicht anders als hingerissen zu sein von Ajax Amsterdam, einem Klub, der nach einem denkbar humorlosen griechischen Helden benannt ist, aus dessen Blut der göttliche Ovid Hyazinthen statt Tulpen sprießen ließ. Und doch hätte auch der altrömische Dichter seine Freude gehabt an den Metamorphosen dieses jungen Teams, das die Granden des europäischen Fußballs entthront, nicht mit Kampfeswut und teuren Heroen, sondern mit unerhörter Leichtigkeit und Spielfreude. Auf Real Madrid folgte am Dienstag abend Juventus Turin, im eigenen Tempel hinweggefegt von den wirbelnden Ajax-Besen, die beim 2:1 erneut derart Funken stoben, dass der Halbfinal-Gegner vermutlich schon im Geiste Brandmauern errichtet.

Helfen wird es vermutlich nichts, denn mit Taktik ist der Truppe des listigen Erik ten Hag kaum beizukommen. Außer dem puren und entfesselten Talent seiner Spieler verfügt Ajax nämlich über eine Waffe, der die Konkurrenz wenig entgegen zu setzen hat. Diese Waffe ist die Unbeschwertheit des Außenseiters, der sich um nichts scheren muss als um das Spiel selbst. Frenkie de Jong ist auf dem Sprung zum FC Barcelona - Andrea Pirlo gestand, ihn beizeiten auch Juventus empfohlen zu haben, wo sie sich wahrscheinlich ob dieser verpassten Chance in die Hände beißen. Donny van de Beek wird ebenfalls von halb Europa umworben, ebenso wie Kapitän Matthijs de Ligt. Dieses Ajax hat keine Zukunft, es spielt weder für eine glorreiche Vergangenheit, noch für ein strahlendes Morgen, sondern nur im Hier und Jetzt. Aber natürlich konstruiert man eine solche Mannschaft nicht in einer Saison. Mit Peter Bosz hatten die Amsterdamer vor zwei Jahren das Finale der Europa-League erreicht, um dort dem Manchester United des alten Zynikers José Mourinho zu unterliegen.

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Die Juve versuchte es gar nicht erst mit Zynismus, sie probierte ihr altbewährtes Konzept aus Kampf und Kontrolle plus Cristiano Ronaldo. Eine gute halbe Stunde lang ging diese Rechnung tatsächlich auf. Ajax tat sich schwer gegen die aggressiv aufspielenden Routiniers und als der unvermeidliche CR7, der sich für diesen Auftritt einen neuen, messerscharf gezogenen Scheitel zugelegt hatte, die Konfusion im holländischen Strafraum für einen seiner gnadenlosen Kopfbälle nutzte, schien das Schicksal der jungen Wilden besiegelt. Juve führte 1:0 (28.) und würde dieses Minimalergebnis in der verbleibenden Zeit so ausgekocht verwalten, wie man das von diesen Hohepriestern des Vernunftfußballs gewöhnt ist.

Juves Abwehr ist ein Abklatsch besserer Zeiten

Von wegen. Sechs Minuten später war der Ausgleich da, ein Flachschuss von Van de Beek (34.), der die famose Juventus-Abwehr als das entlarvte, was sie in diesem Jahr ist: Ein müder Abklatsch besserer Zeiten. Grimmigkeit statt Souveränität, Starrsinn statt Empathie - was Leonardo Bonucci und die anderen gegen die Kinder aus Amsterdam aufzubieten hatten, war verstörend wenig. Einzig Torwart Wojciech Szczęsny verhinderte Schlimmeres, nämlich mindestens zwei weitere Gegentore in der zweiten Halbzeit. Dem 2:1 von de Ligt (67.) hatte auch der stoische Pole als einziger Gigant der einst so riesenhaften bianconeri-Hintermannschaft nichts entgegen zu setzen.

Nach der Pause war die Juve in sich zusammengesackt, als hätte sie vorzeitig aufgegeben. Tatsächlich reichte, wie schon im Hinspiel (1:1) die Kondition nicht mehr. Stattdessen wurde vorgeführt, wie erneuerungsbedürftig diese Mannschaft ist, die seit acht Jahren nahezu unumstritten die immer noch schwer reiche Serie A dominiert, während Ajax an der Peripherie Fußballeuropas mit dem Werksklub aus Eindhoven um den Titel ringen muss. In der Juventiner Abwehr fehlte zwar Kapitän Giorgio Chiellini, doch hätte er allein kaum den Untergang abwenden können. Das Mittelfeld braucht dringend einen Regisseur mit Ideen und Energie. Sami Khediras Zeit ist abgelaufen (er blieb auf der Bank), Miralem Pjanic wirkt kraftlos, Blaise Matuidi hat schon lange keinen Geistesblitz mehr gehabt. Emre Can zeigte sich als einziger übermotiviert und versuchte sich an mancher Offensivaktion. Ohne große Unterstützung, denn vorn gibt es nur einen König: Cristiano Ronaldo.

In den letzten drei CL-Spielen hat er allein die Tore für Juventus produziert, drei im sensationellen Achtelfinal-Rückspiel gegen Atlético Madrid, jeweils eins in den Viertelfinals gegen Ajax. Cristiano Ronaldo ist eine Garantie für Juventus, gleichzeitig aber auch ein Problem. Als einziger Weltstar im Aufgebot erdrückt er seine Teamgefährten eher, als dass er sie unterstützt. Um das Gefälle zu verdeutlichen, reicht ein Blick auf die Gehälter: CR7 bekommt 31 Millionen netto im Jahr, der "zweitplatzierte" Paulo Dybala sieben Millionen. Alle anderen liegen abgeschlagen dahinter.

Juve will mit Ronaldo weitermachen

Um nach 23 Jahren endlich wieder die Champions League zu gewinnen, war Cristiano Ronaldo im Sommer engagiert worden. Zu diesem Zweck hatte Präsident Andrea Agnelli sogar das 1. Gebot abgeschafft, nachdem die Juve keine Götter kennt, sondern nur ein Kollektiv. Nun könnte sich diese Ketzerei bitter rächen. Der Portugiese, im Vorjahr noch Titelverteidiger mit Real Madrid, verpasst erstmals seit acht Jahren das Halbfinale. Und Juve fliegt genau wie 2018 wieder im Viertelfinale raus. "Wir gehören zu den Großen in Europa", versicherte Agnelli.

Der Patron, dessen Familie seit 1923 Eigentümerin des Klubs ist, sprach im italienischen Fernsehen als erster nach der Niederlage und sein Auftritt sollte offenbar beruhigend wirken. Man mache auf jeden Fall weiter mit Allegri und auch mit Cristiano Ronaldo. Im übrigen "Komplimente an Ajax, die haben einfach toll gespielt und hoch verdient gewonnen." Den letzten Landesmeister-Pokal hatte Juventus 1996 ausgerechnet im Finale gegen die Holländer geholt, Andrea Agnelli war damals gerade 20 Jahre alt. Jetzt wird der Fiat-Erbe Ajax die Daumen drücken.

Wie er sagt, aus Begeisterung.

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