Champions League:Ajax bricht alle Regeln

Champions League: Lasse Schöne gerät nach dem Sieg über Juventus in Exstase.

Lasse Schöne gerät nach dem Sieg über Juventus in Exstase.

(Foto: AFP)

Amsterdam gelingen gerade viele Dinge, von denen man glaubte, sie seien nicht mehr möglich. Denn das moderne Fußball-System will solche Außenseiter-Triumphe eigentlich verhindern - und wird hart zurückschlagen.

Kommentar von Martin Schneider

In diesem Moment, in dem sich ganz Europa vor Ajax Amsterdam verneigt, lohnt es sich, nach Trondheim zu blicken. Trondheim ist ein malerischer norwegischer Küstenort, es gibt dort bunte Häuser, die Schiffe der berühmten Hurtigruten fahren in die Fjorde hinaus und im Sommer steht die Sonne sehr lange am Himmel. An einem dieser langen Sommertage, am 24. August 2017, spielte Amsterdam beim örtlichen Klub Rosenborg im Europapokal. Bei Rosenborg spielen Dänen, Norweger, Isländer, der bekannteste Spieler ist Nicklas Bendtner, der mal beim VfL Wolfsburg rausflog und den man "Lord Bendtner" nennt, was genauso hämisch gemeint ist, wie es klingt. Rosenborg als Europas zweite Liga zu bezeichnen, wäre ein bisschen hoch gegriffen und dennoch scheiterte Ajax in der Qualifikation zur Europa League. Rosenborg war in zwei Spielen zu stark für Matthijs de Ligt, Donny van de Beek, Lasse Schöne und Hakim Ziyech. Frenkie de Jong saß auf der Bank, Lord Bendtner schoss ein Tor.

Der Fußball erzeugt oft extreme Geschichten und die Berichterstattung um den Fußball nimmt diese Extreme nur allzu gerne auf. Aber in einem Jahr in der Europa-League-Quali klar gegen Trondheim zu verlieren und im nächsten Jahr Real Madrid und Juventus Turin klar aus der Champions League zu werfen - so einen Gag erlaubt sich der Fußball dann doch nicht ständig.

Ajax Amsterdam hat etwas geschafft, von dem man dachte, dass es nicht mehr möglich ist: als Außenseiter in der Champions League zu brillieren. Wenn man "Außenseiter" als Mannschaft definiert, die nicht in einer der Top-5-Ligen in Europa (England, Spanien, Deutschland, Frankreich, Italien) spielt, dann ist Ajax der erste Außenseiter seit dem PSV Eindhoven 2005, der unter den letzten Vier steht. Das ist 14 Jahre her. In den vergangenen Jahren teilten sich die immer gleichen Mannschaften diese Plätze auf. Barcelona, die beiden Madrids, der FC Bayern, Juventus Turin plus ein Gast-Team der Kategorie Manchester City/FC Liverpool. Es galt die Regel: Die reichsten Klubs Europas spielen die Titel aus.

Das Besondere an Ajax ist nicht nur, dass sie diese Phalanx aus Geld durchbrochen haben, nein, es ist auch die Art und Weise wie sie es getan haben. Außenseiter, so will es eine weitere ungeschriebene neue Fußball-Regel, müssen Außenseiter-Fußball spielen, um gegen die Großen erfolgreich zu sein. Außenseiter-Fußball bedeutet: Verteidigen und auf Konter spielen, denn Verteidigen, so die Lehrmeinung, kann fast jeder und drei unfallfreie Pässe nach vorne muss man dann eben schaffen.

Das Unerhörte an dieser Amsterdamer Mannschaft ist, dass sie auch diese ungeschriebene Regel einfach bricht. Ajax spielt Fußball, Ajax will den Ball haben, Ajax hat keine Angst, Fehler zu machen. Ajax spielt im Geiste von Johan Cruyff, der König Johan genannt wird, dem Erfinder des modernen Ballbesitzspiels, und die Größten der Großen, Real Madrid und Juventus Turin, kommen damit nicht klar. Was erlaubt sich dieser Frenkie de Jong, einfach einen Pass nach dem anderen zu spielen? Sollten die nicht Angst vor uns haben? Was ist hier eigentlich los?

Für Zyniker ist es nur eine Ausnahme der Regel

Wer nun beseelt glaubt, dass der Fußball dank Ajax wieder so wird wie früher, der kennt die Kräfte schlecht, die mittlerweile am Werk sind. Amsterdam rebelliert gegen das Imperium und das Imperium wird zurückschlagen. Der europäische Geldadel wird über diese Mannschaft herfallen wie ein Rudel Hyänen über ein besonders gutes Stück Fleisch. Frenkie de Jongs Wechsel zum FC Barcelona steht schon fest und angesichts seiner Klasse muss man wohl die absurde Aussage treffen, dass 86 Millionen Euro ein ganz guter Preis sind. Matthijs de Ligt wird ihm wohl bald nach Katalonien folgen, der FC Bayern hat ein Auge auf Hakim Ziyech geworfen, Dusan Tadic ist zwar schon 30 Jahre, hat aber gegen Real Madrid getroffen und David Neres ist erst 22 und auch nicht so schlecht. Dass Trainer Erik ten Hag nun alle Optionen hat, ist selbstverständlich.

Wenn sich der Pulverdampf wieder gelegt hat, wird von dieser Mannschaft kaum noch etwas übrig sein. Bestehen bleiben wird die Erkenntnis, dass es, wenn alles passt, immer noch möglich ist, die zementierte Ordnung des europäischen Fußballs zu durchbrechen. Und dass es sich lohnen kann, dem schönen Fußball eine Chance zu geben. Wer an das Gute im Fußball glaubt, der sieht in Ajax die Hoffnung. Wer einen zynischen Blick auf die Welt hat, der muss nur darauf hinweisen, dass eine Überraschungs-Mannschaft in 14 Jahren nicht mehr ist, als die sehr seltene Ausnahme der Regel.

Ajax ist aktuell übrigens punktgleich Erster in der niederländischen Eredivisie. Sollte das Team aus Amsterdam noch verdrängt werden und sollte Ajax nicht die Champions League gewinnen, dann müsste Ajax im kommenden Jahr wieder in der zweiten Qualifikationsrunde gegen die Trondheims dieser Welt starten, weil die großen Ligen ihre vier sicheren Champions-League-Plätze haben wollen. Viele mögen sich im Moment an Ajax erfreuen - aber das System Fußball tut eigentlich fast alles, um Ajax zu verhindern.

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