Abschiebungen:Die Rolle der Zelle

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Ein Afghane saß einige Zeit in Abschiebehaft, dann kam er per Gerichtsurteil frei. Nun wollte er Entschädigung und scheiterte. Das Urteil hat einen Nebeneffekt: Es hilft Seehofer bei der Umsetzung seiner Pläne zur verschärften Abschiebung.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Erst am Mittwoch hat das Kabinett das sogenannte Geordnete-Rückkehr-Gesetz beschlossen, das in Wahrheit die beschleunigte Rückkehr von Flüchtlingen erreichen soll - mit erweiterten Haftgründen sowie der Möglichkeit einer Unterbringung von Flüchtlingen in einem separaten Gefängnistrakt. Am Donnerstag hat nun der Bundesgerichtshof das dazu passende Urteil verkündet. Die Aussichten von Flüchtlingen, wegen einer rechtswidrigen Inhaftierung eine Entschädigung einzuklagen, sind damit auf ein Minimum geschrumpft.

Geklagt hatte ein Mann aus Afghanistan, der 2013 zusammen mit seiner Frau und der anderthalbjährigen Tochter nach Deutschland gekommen war. Er hatte zuvor bereits in der Slowakei Asyl beantragt, wollte aber nicht zurück - die Situation dort sei "wie ein Gefängnis", man könne dort nicht leben. Die Bundespolizei verfügte gleichwohl seine Abschiebung, die Amtsgerichte in Passau und dann in München ordneten Abschiebehaft an, er wurde in der JVA München-Stadelheim untergebracht. Das Landgericht München I erklärte die Haft auf seine Beschwerde hin für rechtswidrig, weil keine Fluchtgefahr bestehe. Nach einigem Hin und Her - unter anderem verbrachte der Mann einige Zeit im Kirchenasyl - ging die Sache für ihn doch noch gut aus: Er wurde als Flüchtling anerkannt.

Der BGH hat nun geurteilt, dass dem Kläger keine Entschädigung zustehe, und darüber hinaus eine ganze Reihe bisher ungeklärter Fragen entschieden. Die Ergebnisse sind durchaus günstig für die Abschiebepläne von Bundesinnenminister Horst Seehofer. Allen voran für sein Vorhaben, Flüchtlinge bis Ende Juni 2022 auch in Gefängnissen unterzubringen, wenngleich räumlich getrennt von Strafgefangenen. Das verstößt laut Kritikern gegen die europäische Rückführungsrichtlinie. Der BGH hat nun aber entschieden, dass eine Verletzung dieses Trennungsgebots keine Haftentschädigung nach der Europäischen Menschenrechtskonvention auslöst. Denn der in Artikel 5 festgeschriebene Anspruch betreffe "nur die Freiheitsentziehung als solche, nicht den Haftvollzug beziehungsweise die Modalitäten der Haft". Soll heißen: Geld kann nicht fordern, wer in die falsche Zelle gesperrt wurde, sondern nur, wer überhaupt zu Unrecht inhaftiert wurde.

Theoretisch könnte Flüchtlingen in solchen Fällen also eine Entschädigung zuerkannt werden, praktisch hat der BGH die Klagechancen aber dramatisch verengt. Denn nach seiner Lesart haben die Gerichte beim Thema Haft einen "Bewertungsspielraum", weil es um die Prognose gehe, ob ein Abschiebekandidat wegen Fluchtgefahr in Haft genommen werden müsse oder nicht.

© SZ vom 20.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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