Streit um den Bon:Alarm an der Kasse

Streit um den Bon: Niemand verbietet es den Händlern, wieder auf eine Analogkasse umzusteigen.

Niemand verbietet es den Händlern, wieder auf eine Analogkasse umzusteigen.

(Foto: Jörg Buschmann)

Bis auf wenige Ausnahmen soll jeder Apotheker, Kneipier und Eisverkäufer den Kunden bald einen Bon in die Hand drücken. Außerdem muss er seine Einnahmen vor Manipulationen schützen. Doch noch herrscht Chaos.

Von Michael Kläsgen

Gastwirte, Apotheker und Händler sehen in dem Gesetz ein Monster, das es zu verscheuchen gilt. In den vergangenen 20 Jahren, seitdem es diskutiert wird, ist ihnen das immer wieder gelungen. Dabei will es nur Gutes bewirken, nämlich Umsatzsteuerbetrug verhindern. Jetzt steht es wieder vor der Tür, und selbst bei Konzernen wie Lidl und Edeka steigt die Nervosität. Sie könnten ungewollt zu Steuerhinterziehern werden. Denn jeder, der eine elektronische Registrierkasse nutzt, muss diese bis Ende dieses Jahres technisch so umrüsten, dass die eingegebenen Daten nachträglich nicht mehr manipuliert werden können.

Darüber ist wenige Monate vor dem geplanten Inkrafttreten des Kassengesetzes ein Streit zwischen Bundesregierung und Gaststätten- beziehungsweise Handelsverband ausgebrochen. Es ist offen, ob das Gesetz Anfang Januar 2020 kommt.

Die Verbraucher spielen dabei einstweilen keine Rolle, dabei sind auch sie von dem "Gesetz zum Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen" betroffen. Denn es hat mehrere Facetten. Eine ist die "Belegausgabepflicht". Sie hat zur Folge, dass jede Kassiererin und jeder Kassierer dem Kunden einen Bon aushändigen muss. Sie dürfen ihn auch digital aufs Handy schicken, aber das nutzen die wenigsten. In Supermärkten und Kaufhäusern ist es zwar schon die Regel, eine Quittung zu reichen. Die Pflicht besteht aber auch für Apotheken, Eisdielen, Wochenmärkte, Discos oder Pommesbuden.

Ausnahmen sind vorgesehen, dennoch stellt sich die Frage: Steckt bald ein Kassenzettel im Eis oder dem Ketchup? Das ist nicht zu hoffen, denn die Bons bestehen in der Regel aus Thermopapier, das meist die gesundheitsschädliche Chemikalie Bisphenol A enthält. Aber auch hier hat der Gesetzgeber vorgesorgt. Von Januar 2020 an sollen Händler und Gastwirte nicht nur Bons verteilen müssen, diese sollen zudem frei von Bisphenol A sein, so schreibt es eine EU-Verordnung vor, die in Deutschland in Kraft treten soll.

Das deutsche Gesetz sieht aber noch etwas anderes vor: Die Kunden müssen den Bon, der ihnen gereicht wird, gar nicht annehmen. Das Gesetz will ja den Umsatzsteuerbetrug auf Seiten der Gewerbetreibenden unterbinden, nicht beim Kunden. "Für Verbraucher wird sich nichts ändern", sagt Ulrich Binnebößel, Experte für Zahlungssysteme beim Handelsverband HDE. Nur, dass an der Kasse wahrscheinlich öfter ein "Nein, Danke" zu hören sein wird, es sei denn, der Verbraucher braucht den Beleg für die eigene Steuererklärung.

"Der HDE fordert deshalb den Finanzminister dazu auf, den Startzeitpunkt zu verschieben."

Bei Händlern, Kneipiers, Apothekern, Hoteliers und sogar bei den Kassenherstellern herrscht hingegen Alarmstimmung. Muss bald für jede Cola in der Disco ein Beleg gereicht werden? Und wie werden Medikamente auf Rezept abgerechnet, für die nur eine Zuzahlung fällig ist? Über ihre Verbände und Anwälte ließen die betroffenen Berufsgruppen Brandbriefe an Bundesfinanzminister Olaf Scholz verschicken. Der Tenor in allen Schreiben: Wir schaffen es nicht. Es fehle an klaren Vorgaben, wie die technische Lösung zur Verhinderung von Manipulationen genau aussehen soll. Am deutlichsten wird der Hauptgeschäftsführer des HDE, Stefan Genth. Die Frist zum Stichtag Januar 2020 sei nicht zu halten, teilte er dem Ministerium Mitte der Woche mit: "Der HDE fordert deshalb den Finanzminister dazu auf, den Startzeitpunkt zu verschieben."

Die Kritik aller Verbände zielt besonders auf das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik. Es habe versäumt, klar festzulegen, ob ganze Kassen ersetzt oder nur Updates für einzelne Teile installiert werden müssen und ob die Kassen dann zertifiziert seien. Ungeklärt sei auch, ob die Finanzverwaltungen am jeweiligen Ort technisch in der Lage sind, die dann aufgerüsteten Kassen auszulesen. Für die Verbände liegt das Versagen klar bei der Regierung. "Der Handel darf nicht Leidtragender der verzögerten Umsetzung der Behörden sein", sagt Genth.

Noch hat Scholz nicht entschieden, was nun passieren soll. Solange herrscht Rechtsunsicherheit, und die könnte bis Ende des Jahres andauern.

Das Ministerium teilt mit, "die vorgetragenen Befürchtungen ... sehr ernst" zu nehmen. "Sollten nicht alle technischen Voraussetzungen bis zum 31. Dezember 2019 umgesetzt werden können", werde es "kurzfristig - vor dem 1. Januar 2020 - angemessene Lösungen für alle Betroffenen finden."

Falls das Gesetz am Ende doch greifen sollte, ohne dass die Apotheker, Gastwirte und Händler ihre Kassen umgerüstet haben, kann es teuer werden. Das Gesetz sieht Geldbußen von bis zu 25 000 Euro nicht nur für die Manipulation von Registrierkassen vor, sondern auch für den Vertrieb von manipulationsfähigen Kassen. Da es bislang an einer klaren Definition derselben fehlt, könnten auch die Kassenhersteller sanktioniert werden. Da könnte theoretisch eine hohe Summe zusammenkommen.

Nach Angaben des Ministeriums müssen 1,7 Millionen Kassen ausgetauscht und 400 000 umgerüstet werden. Die Verbände schätzten, dass in Wirklichkeit viel mehr Kassen betroffen sind. Ursprünglich sprachen Kritiker von einem Gesetz zur Konjunktur der Kassenfirmen, jetzt wird es zur finanziellen Gefahr für sie.

Auch Start-ups hatten sich auf das Gesetz eingestellt und wissen nun nicht, ob es kommt

Schlechte Nachrichten auch für Start-up-Gründer wie Amir Karimi. Er hat eine App entwickelt, um Kassenbons zu digitalisieren und die Berge von Thermopapier überflüssig zu machen. In der Annahme, das Ende 2016 beschlossene Gesetz würde 2020 kommen, gründete er mit einem Partner die Softwarefirma A&G in Bremen. Die Arbeit und das investierte Geld könnten sich erst mal nicht auszahlen, wenn das Gesetz verschoben wird.

HDE-Kassenexperte Binnebößel warnt aus datenschutzrechtlichen Gründen aber ohnehin davor, Bons zu digitalisieren, wenn eine App die Kassenzettel mehrerer Unternehmen speichert. Dann könne der Anbieter "Rückschlüsse auf die Person" ziehen.

Das Monster ist noch gar nicht richtig da, hat aber schon Chaos angerichtet.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: