"Staatsstreichorchester":Münchner Polizei ermittelt wegen rechter Hetzmails

  • In Drohmails verbreiten Unbekannte seit Monaten bundesweit rechte Hetze und Morddrohungen. Nun sind auch in München E-Mails dieser Art aufgetaucht.
  • Die Schreiben enthalten Massenmordszenarien gegen Juden, Menschen mit Behinderung und Kinder. Manchmal sind kinderpornografische Bilder beigefügt.
  • Die Münchner Polizei hat wegen der Mails, die mit "Staatsstreichorchester" unterzeichnet sind, Ermittlungen aufgenommen.

Von Martin Bernstein

Jetzt sind auch in München rechtsextreme Drohmails einer bundesweiten Serie aufgetaucht. Schon seit Monaten werden in ganz Deutschland Gerichte, Anwälte, Journalisten, Politiker und engagierte Bürger in E-Mails mit dem Tod bedroht. Zugleich verbreiten die Verfasser Massenmordszenarien gegen Juden, Menschen mit Behinderung und sogar gegen Kinder. "Sicherlich haben Sie von uns schon in der Presse gehört", schreiben der oder die Absender einer am Donnerstag in München aufgetauchten Mail - und erklären ganz offen ihr perfides Kalkül: Es gehe ihnen darum, potenzielle Nachahmer von Attentätern wie dem OEZ-Mörder David S. zu ermutigen. Die Münchner Polizei hat wegen der Mails, die mit "Staatsstreichorchester" unterzeichnet sind, Ermittlungen aufgenommen. Dem Münchner Staatsschutz seien derartige Mails bekannt, twitterte die Polizei am Donnerstag.

Die Drohungen des "Staatsstreichorchesters" schließen nahtlos an eine Serie von Hunderten Mails mit Absendern wie "Nationalsozialistische Offensive", "Wehrmacht" und "NSU 2.0" an, die vor einem Jahr begonnen hat. Am 15. Januar bekam das Münchner Oberlandesgericht eine mit "Nationalsozialistische Offensive" unterzeichnete Bombendrohung. Anfang April glaubten die Ermittler, einen Einzeltäter identifiziert zu haben - der vorbestrafte André M. aus Schleswig-Holstein wurde festgenommen. Doch schon kurz darauf folgten weitere Mails. Inzwischen soll es einen zweiten Verdächtigen geben.

"Der ganze Dreck liegt jetzt beim Staatsschutzdezernat K 44 (und wegen eines kinderpornographischen Anhangs auch beim K 15)", twitterte die Gruppe Union-Watch, Empfängerin einer oder mehrerer Drohmails, am Donnerstagmittag. "Wir haben heute Nacht neben 2 Dutzend PolitikerInnen und Redaktionen eine Morddrohung des 'Staatsstreichorchesters' erhalten", hatte ein Münchner Mitglied des linken Zusammenschlusses am Morgen der Polizei mitgeteilt. "Ich nehme das zwar nicht sonderlich ernst, aber nachdenklich stimmt mich das schon."

Die Verfasser der Drohmails hatten schon vor knapp einer Woche angekündigt: "Es wurden auch einige Bürgerrechtsorganisationen kontaktiert und auch Initiativen, die sich (...) gegen Rechtsextremismus und Faschismus einsetzen und wir werden noch weitere anschreiben, um uns Gehör zu verschaffen." Die Schreiben schließen regelmäßig mit "Sieg Heil" und dem Hitlergruß. Manchmal sind kinderpornografische Bilder beigefügt. In der Botschaft vom Donnerstag kündigt das "Staatsstreichorchester" einen Anschlag auf den Frankfurter Flughafen an, aber auch die Unterstützung und Finanzierung von "Helden", die David S. nachahmen wollen. Der 18-Jährige hatte am 22. Juli 2016 am und im Olympia-Einkaufszentrum (OEZ) aus rassistischen Motiven neun zumeist junge Menschen ermordet, die er für Türken oder Albaner hielt. Mit solchen "Pädoterroristen" - gemeint sind wohl jugendliche Attentäter wie S. - werde man "den Weg in eine neue faschistische Weltordnung" bereiten, heißt es in den Mails.

Vor allem die jüngsten Mails aus der inzwischen weit mehr als 200 Drohschreiben umfassenden Serie wirken auf den ersten Blick wirr und widersprüchlich. Oder - wie ein Twitter-User meint - fast schon "parodistisch". Doch sie treffen exakt den Ton, der in gewalt- und waffenaffinen rassistischen Internetforen angeschlagen wird. Einiges deutet darauf hin, dass auch die Verfasser aus diesem Milieu stammen, in dem sich die Grenzen zwischen Gewaltfantasien und real verübten Morden auf erschreckende Weise verwischen können.

So war David S. auf der Spieleplattform "Steam" Mitglied einer Gruppe namens "Anti Refugee Club" - zusammen mit einem 15-Jährigen aus Baden-Württemberg, der einen Anschlag auf seine Schule geplant haben soll, mit dem 21-jährigen Neonazi William A. aus New Mexico, der zwei Menschen erschoss, und mit einem Mann, der sich "Ivan Der Judenjäger" nennt und bis heute im Netz aktiv ist. "He did it. ... fucking did it", jubelte "Ivan" zwei Tage nach dem Münchner OEZ-Anschlag. Für S. gibt es Fan-Seiten, seine Pseudonyme werden von Bewunderern fortgeführt. Mit "NSU 2.0" unterzeichnete Drohmails der jüngsten Serie erhielt auch eine Frankfurter Anwältin, die Opferfamilien in den Münchner Prozessen gegen den NSU und gegen den Waffenhändler von David S. vertreten hat. Die Drohmails ebenso wie Äußerungen des inzwischen festgenommenen André M. aus Schleswig-Holstein ähneln in ihrer Diktion den "Manifesten", die der Münchner OEZ-Attentäter hinterließ.

"Wir werden alles daran setzen, dass es bald wieder Pogrome in diesem Land gibt", schreiben der oder die Verfasser in einer Mail. Ist das "Staatsstreichorchester" das - zumindest virtuelle - Netzwerk, als das es sich ausgibt? Oder sind es Einzeltäter, vielleicht auch Trittbrettfahrer oder Nachahmer? Sie wollen jedenfalls Nachahmer ermutigen. "Wir zielen auf Klientel a la David S. (...) und möchten solchen und Helden, die es werden möchten, eine Plattform anbieten", schreiben sie.

Die Ermittler halten sich bedeckt. Eine Sprecherin der federführenden Berliner Staatsanwaltschaft bestätigte vor Kurzem lediglich, "dass es sich um einen größeren Ermittlungskomplex von über 200 Drohschreiben handelt". Unbeantwortet blieb die Frage, ob der Serie ausschließlich Mails zugerechnet werden oder ob auch Briefe darunter sind. Die wilden Drohungen, die muslimfeindlichen und antisemitischen Formulierungen, der offene Bezug auf den Nationalsozialismus und nicht zuletzt der erkennbare Hass auf Kinder und Jugendliche finden sich nämlich auch in einer Serie von 30 Drohbriefen, die im Juli 2018 an Kindergärten im Münchner Südosten verschickt wurden. Auch deren Urheber ist noch nicht gefasst.

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Gedenkort für die Opfer des Anschlags vor dem Olympia-Einkaufszentrum in München

Kontakte des OEZ-Attentäters
:Das Netzwerk der Todesschützen

Vor den Anschlägen in München und New Mexico: OEZ-Attentäter David S. tauschte sich mit einem jungen US-Amerikaner aus, der im Dezember zwei Schüler ermordete.

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