NGO:Auf zur nächsten Krise

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Patrice McMahon rügt die Friedenshelfer-Szene. Die US-Professorin hält viele Nichtregierungsorganisationen für ungeeignet, beim Wiederaufbau nach Kriegen zu helfen. Lösungsmöglichkeiten zeigt sie allerdings leider nicht auf.

Von Judith Raupp

Für Paddy Ashdown war der Wiederaufbau der Alten Brücke in Mostar ein "Beweis für den Triumph der Hoffnung über die Barbarei". Der frühere Hohe Repräsentant der Vereinten Nationen (UN) in Bosnien-Herzegowina feierte das Werk als Zeichen der Versöhnung. Dagegen betrachteten viele Einheimische die Brücke bestenfalls als einen Transportweg über die Neretva. 2004, ein Jahrzehnt nach dem Krieg, lebten Kroaten und Bosniaken noch immer auf "ihrer" Seite des Flusses. Die Kinder gingen in ethnisch getrennte Schulen, Patienten in verschiedene Krankenhäuser.

So beschreibt die Politikwissenschaftlerin Patrice McMahon in ihrem Buch "Das NGO-Spiel" die Lage auf dem Balkan. Ihr Fazit: "Die Menschen fühlen sich allein gelassen." Und das, obwohl Hunderte Nichtregierungsorganisationen (NGO) nach den Jugoslawienkriegen in die Region zogen. Sie versprachen Aussöhnung und Frieden. Aber das haben sie nicht gehalten. So sieht das jedenfalls McMahon.

Die Politik-Professorin der amerikanischen Universität Nebraska-Lincoln trägt eine lesenswerte Analyse zur Debatte bei, ob Hilfsorganisationen helfen oder eher Krisen verschlimmern. Sie pickt sich allerdings einen besonders komplizierten Aspekt der Entwicklungszusammenarbeit heraus: die Friedenskonsolidierung. Das sind jene Bemühungen, die Ländern nach Kriegen oder internen Konflikten helfen sollen, dauerhaft Gewalt zu verhindern. In der Regel ist das ein langwieriger Prozess, weil er einen Wandel gesellschaftlicher Einstellungen verlangt.

Pazifisten haben es schwer, überall, auch in New York 2013. (Foto: Andrew Burton/AFP)

McMahon analysiert fundiert, wie Hilfsorganisationen zu wichtigen Akteuren in der Friedenskonsolidierung wurden. Ihr Aufstieg kam mit dem Ende des Kalten Kriegs. Staaten und die UN intervenierten in Konfliktregionen überall auf der Welt. Aber sie stellten fest, dass Frieden auf Dauer einen gesellschaftlichen Wandel, viel Zeit, interkulturelles Verständnis und Geld erfordert. Dieses komplexe Unterfangen übertrugen sie professionellen Helfern.

McMahon hat vor allem in Bosnien und Kosovo geforscht. Kriege wie in den Neunzigerjahren seien dort zwar nicht mehr ausgebrochen. Aber die politische Teilhabe der Bevölkerung sei gering und die Gesellschaft gespalten, kritisiert sie.

Die Autorin erklärt den mangelnden Erfolg mit dem "NGO-Spiel". Das geht so: Internationale Hilfsorganisationen strömen in großer Zahl in ein Krisengebiet. Sie brauchen einheimische Helfer. Diese sollen Kenntnisse der Sprache und der lokalen Gepflogenheiten beisteuern. Lokale Organisationen schießen wie Pilze aus dem Boden. Wer wem mit welchen Methoden helfen will, wird unübersichtlich. Nach einer Weile ziehen die internationalen Organisationen zur nächsten Krise weiter, das Geld versiegt, viele einheimische Organisationen verschwinden. Aber die Lebensbedingungen für die Bevölkerung bleiben schwierig.

Nicht immer ist transparent, welche Ziele die NGO in den Konfliktländern verfolgen

McMahon wirft den Ausländern vor, sie bemühten sich zu wenig, um die betroffenen Gesellschaften zu verstehen. So stülpten sie den Einheimischen Lösungen über, ohne ausreichendes Wissen. Die einheimischen Helfer ihrerseits täuschten vor, die Ideen der internationalen Organisationen zu stützen, selbst wenn sie selbige für nutzlos oder gar schädlich halten. Schließlich gibt es gut bezahlte Jobs bei den NGO. Die Autorin räumt ein, dass jede Krise ihre Besonderheiten hat. Aber tendenziell sei das NGO-Spiel häufig zu beobachten. Erfahrungen aus vielen Regionen geben ihr recht. Mehr konkrete Beispiele hätten dem Buch trotzdem gutgetan. Stattdessen wiederholt die Wissenschaftlerin ihre Argumente mehrmals.

Patrice C. McMahon: Das NGO-Spiel. Zur ambivalenten Rolle von Hilfsorganisationen in Postkonfliktländern. Aus dem Englischen von Ursel Schäfer. Hamburger Edition, Hamburg 2019. 312 Seiten, 35 Euro. E-Book: 27,99 Euro. (Foto: N/A)

In der Sprache bleibt die Autorin unentschieden. Mal schreibt sie akademisch, mal eher populär. In der deutschen Version nutzt die Übersetzerin Ursel Schäfer die Form mit Unterstrich, die Frauen einschließt, also "Politiker_innen" oder "Forscher_innen". Dafür hätte es elegantere Lösungen gegeben.

Schade ist, dass die Autorin konkrete Vorschläge schuldig bleibt, wie das Engagement für den Frieden größere Wirkung entfalten könnte. Die Wissenschaftlerin fordert lediglich, man müsse noch mehr forschen. Dabei kennen die meisten Geldgeber und Helfer die Mängel der Friedenskonsolidierung. Evaluatoren schreiben zuhauf Wirkungsanalysen, seit die Hilfsorganisationen in die Kritik geraten sind.

Auch werden Entwicklungshelfer vor ihrem Einsatz auf die Strategie "Do no-Harm" eingeschworen. Sie lernen, dass sie zum Nutzen der Bevölkerung arbeiten müssen und keinen Schaden anrichten dürfen. Die Frage lautet also, weshalb sich wenig ändert, obwohl die Beteiligten Bescheid wissen. Dazu liefert die Autorin am Ende des Buches einen kurzen Hinweis. Sie schreibt von der "Motivationslücke". Damit meint sie den mangelnden Willen, die Arbeitsweise zu ändern. McMahon sieht die Schuld vor allem bei den westlichen Helfern und Geldgebern. Die Westler hätten kein wirkliches Interesse an Partnerschaften mit den Einheimischen.

Das ist allerdings eine einseitige Sichtweise. Auch vielen einheimischen Helfern ist ein gut bezahlter Job bei einer NGO wichtiger als das Wohl der Allgemeinheit, zumal in Krisenregionen die Arbeitslosigkeit hoch ist. Manche blockieren sogar jene, die ernsthaft für bessere Verhältnisse kämpfen. Das NGO-Spiel basiert auf einem langjährigen Interessenkartell von Geldgebern, einheimischen und ausländischen Helfern. Ideen, wie das zu ändern ist, hätten dem Buch gut angestanden.

© SZ vom 23.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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