Studie: Kindernamen und Vorurteile:Von wegen Schall und Rauch

Eine Befragung unter Grundschullehrern zeigt: Die gedankliche Trennung von Name und Person ist alles andere als einfach. Das war schon bei den alten Griechen so.

Martin Zips

Astrid und Julia haben das untersucht, und jetzt sind viele irritiert. Kevin, Chantal, Mandy und Justin zum Beispiel. Auch ihre Eltern. Lehrer sind auch irritiert. Aber der Reihe nach.

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Hoffentlich heißt dieser fleißige Schüler nicht Kevin oder Justin - denn dann halten ihn seine Lehrer für weniger leistungsstark.

(Foto: Foto: dpa)

In ihrer Master-Arbeit hat die 24-jährige Oldenburger Lehramtsabsolventin Julia Kube mit der Pädagogikprofessorin Astrid Kaiser Grundschullehrer übers Internet zu ihren Namensvorlieben befragt. "Welche Vornamen würden Sie Ihrem Kind auf keinen Fall geben?" "Nennen Sie Namen, die bei Ihnen Assoziationen zu Verhaltensauffälligkeit hervorrufen!" Außerdem sollten die Lehrer verschiedene Namen bewerten.

Nach der Sichtung der Antworten von 500 Pädagogen stellten Kaiser und Kube fest: Grundschullehrer halten Kinder mit den Namen Kevin, Chantal, Mandy, Justin oder Angelina für weniger leistungsstark, dafür aber verhaltensauffälliger als alle Charlottes, Sophies, Maries, Hannahs, Alexanders, Maximilians, Simons, Lukas' und Jakobs dieses Landes. Schon der Name offenbare nach Lehrermeinung die Herkunft und den sozialen Status eines Kindes. Eine Pädagogin habe gar geschrieben: "Kevin ist kein Name, sondern eine Diagnose."

Dies zeige: Grundschullehrer hätten Vorurteile, die sie unbedingt einmal hinterfragen sollten. Die Namensfalle schnappe nämlich bereits zu, sobald der Lehrer die Klassenliste in der Hand halte. So gesehen dürfte die Schule für die beiden Oldenburger Expertinnen ein Kinderspiel gewesen sein. Schließlich leitet sich der Vorname Astrid von den altnordischen Begriffen "áss"/oss" (dem Göttergeschlecht Ase) und "frior" (Schönheit) ab, bedeutet also: "Die göttlich Schöne". Julia wiederum nimmt Bezug auf das angesehene altrömische Patriziergeschlecht und wurde dank Shakespeare zum Médoc unter den Mädchennamen.

Aus Thusnelda wird eine Tussi

Die gedankliche Trennung von Name und Person ist alles andere als einfach. Schon bei den frühen Völkern bildeten sie eine Einheit. Oft entsprach der Name einem Segenswunsch: Im alten Griechenland nannten Eltern, die sich von ihrer Tochter zum Beispiel wünschten, sie möge "fleissig wie eine Biene" werden, das Mädchen "Melissa". Nannten sie ihren Sohn "Alopex", so war schon dem Wortsinn her nach klar: Dieser Junge wird sich in seinem Leben "listig wie ein Fuchs" verhalten.

Heute verweisen Kindernamen statt auf Bienen oder Füchse gerne auf als bedeutend eingeschätzte Personen der Zeitgeschichte. Die sind als Namenspaten freilich nicht unbedingt eine sichere Bank, wie das Beispiel "Thusnelda" zeigt: War der Name noch im 19. Jahrhundert eher positiv besetzt - man dachte an die Frau des Cheruskerfürsten Arminius, Sieger der Schlacht im Teutoburger Wald, so muss man davon ausgehen, dass es eine Thusnelda Maier in der Grundschule heute noch schwerer haben dürfte, als jeder Kevin Schmidt. Schuld daran ist wohl Heinrich von Kleist, mit dessen "Hermannsschlacht" sich viele Schülergenerationen bis zur völligen Erschöpfung auseinandersetzen mussten, worauf sie Thusnelda zur Tussi werden ließen.

Bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft jedenfalls gibt man mit Blick auf die Oldenburger Studie zu bedenken, dass doch gerade Grundschulkinder mit besonders unzeitgemäßen Namen von einer weitaus besseren Förderung profitieren könnten - aus Mitleid der Lehrer sozusagen. Das wiederum würde alle Alexanders, Hannahs und Maries schwer vor den Kopf stoßen.

So oder so: Den Erstellern der Studie, das haben wir schon verstanden, geht es generell um die Bevor- oder Benachteiligung von Kindern aufgrund persönlicher Vorlieben oder Abneigungen ihrer Pädagogen - der Name ist da nur ein Beispiel. Ein wichtiges Anliegen! Denn tatsächlich sollten doch alle Kinder die gleichen Chancen besitzen, egal ob sie - um mit den Protagonisten aus dem "kleinen Nick" zu sprechen - Fettfinger haben wie Otto, einen reichen Vater wie Georg oder eine Brille wie Adalbert.

Würde dieser Idealzustand tatsächlich einmal eintreten, Kinder, das wäre ja eine Überraschung!

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