TV-Kritik: 10 Jahre "Wer wird Millionär":Endlich die Wahnsinnigen

Wenn nicht jetzt, wann dann? "Wer wird Millionär" wird zehn. Im Fernsehen ist das ein Methusalem-Alter. Grund genug für eine Geburtstagsfeier - exzessiv wie im Altersheim.

Franziska Seng

Was wird mit Günther Jauch? Bleibt er a) Garagennummer, b) Gartenabzeichen, c) Schlossetikett, d) Hausmarke? Oder wird er a) Zaungeschwätz-Twitterer, b) Börsenkrach-Faxer, c) Polittalk-Sender, d) Bettgeflüster-Funker?

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Günther Jauch und seine prominenten Jubiläumsgäste: prominenten Gästen (von links nach rechts) Marcel Reif, Gastmoderatorin Cindy aus Marzahn, Anke Engelke, Alice Schwarzer und Hape Kerkeling.

(Foto: Foto: dpa)

Günther Jauch scheint sich über seine Zukunft nicht ganz sicher zu sein. Während der Anmoderation seiner Jubiläumssendung blickt er sekundenlang irritiert in seine Handfläche, befühlt mit dem Daumen die leere Kuhle, in der üblicherweise die Karteikarte lagert.

Nervosität aus Langeweile

Möglich, dass sich in den vielen Jahren bei RTL Hornhaut an dieser Stelle gebildet hat. Ein juckendes Sediment aus Routine und Unterforderung, das auch bei gründlichem Händewaschen nicht abgeht. Vielleicht fühlt Jauch sich auch einfach nur unwohl ohne seine Pappprothese, die Karteikarte, die sich bei Nervosität, Langeweile oder Nervosität aus Langeweile abwägend hin und her sägen, dynamisch drehen, aber auch konkav knautschen lässt.

Auf jeden Fall musste der bekennende Kontrollfreak Jauch in seiner Show zum zehnjährigen Jubiläum von "Wer wird Millionär" auf die beliebte Moderatorenstütze verzichten: "Du kümmerst dich um nichts, es soll eine Überraschung sein", zitierte er seine Mitarbeiter in der Anmoderation entschuldigend. Keine Karten, keine Ahnung: Eine leichte Verzweiflung darüber, nicht zu wissen, was in den kommenden Stunden auf ihn zukommen sollte, war ihm ins Gesicht geschrieben, allerdings zu Unrecht. Obwohl die Sendung am vergangenen Freitag auf knapp vier Stunden veranschlagt war, länger als noch keine Folge von "Wer wird Millionär" zuvor, hatte der Moderator kaum Grund zur Nervosität, und wie der Zuschauer auch keinen zur Langeweile.

In letzter Zeit hörte man den erfolgreichen Fernsehmann reden von seiner telemedialen Sinnkrise, von der Frage, was nach dem Fernsehen kommen solle, wenn es da denn überhaupt etwas gäbe. Auf jeden Fall sollte es weniger damit werden, die Sorge, ob und wie lange man ihn überhaupt noch quälen wolle. Im ZEIT-Magazin hatte er sich auch über mediokre Kandidaten bei "Wer wird Millionär" beklagt, die nur auf Alterssicherung oder einen Wintergarten spekulierten. Die seien schrecklich, schafften es nie nach oben, "dabei brauche ich doch die Wahnsinnigen".

Wahnwitz und Krawallhumor

Dieser letzte Wunsch wurde, zumindest für eine Sendung, wahr. Als Co-Moderatorin kam ihm nach wenigen Augenblicken Cindy aus Marzahn zur Seite gesprungen, füllte das Studio mit Wahnwitz und Krawallhumor, so dass auch Fachfrau und Kandidatin Alice Schwarzer anerkennend zugeben musste: "Du bist ein scharfer Braten!" Es ist die Kombination von Oberlehrerattitude mit Eskalationstalenten, die - das zeigte sich schon bei "Fünf gegen Jauch" mit Oliver Pocher - Wind bringt in das angestaubte Quiz-Format. Ein besseres Gegenstück als die Plattenbauprinzessin Cindy aus Marzahn hätte man zu dem Potsdamer Gebäudesanierer natürlich nicht finden können.

Auch die Quiz-Kandidaten schienen nach Jauchs Geschmack zu sein. Ein langgezogenes, ungläubiges "Neeeeee!", wie man es etwa von Jungen an der Schwelle zur Tribüne der Allianz Arena hört, gab es von ihm für seinen Überraschungsgast Hape Kerkeling. Ein knappes, fast abgehacktes, aber ebenfalls ungläubiges "Ne!" für Marcel Reif. Alice Schwarzer erntete dagegen ein kryptisches: "Oaahhh, neee!"

Anke Engelkes beglückte alle mit verblüffenden und intelligenten Lösungsansätzen unter vollem Mimikeinsatz, angesichts derer Jauch sich nicht beklagen dürfte, die Kandidaten wären nicht wahnsinnig genug.

Überhaupt erweckte das Programm den Eindruck, dass hier Jauch mal gehörig der Rücken gekratzt, ein ordentliches Wohlfühlfeeling einmassiert bekommen sollte, koste es was es wolle: Lustige Partystrohhalme bis zum Abwinken, Filmchen mit Best-of-Momenten aus zehn Sendejahren, eingeflogene Gewinnermillionäre im Publikum. Als Krönung eine Sondereinlage von switch-Darsteller und Jauch-Imitator Michael Kessler, der das Original beschwört, doch bitte noch lange dranzubleiben, schließlich bräuchte man ihn.

Das alles verlieh der Veranstaltung einen rückblickartigen, fast nostalgischen Touch, was dem Unterhaltungswert kaum Abbruch tat, im Gegenteil. Wer schon mal einen hundertjährigen Geburtstag im Altersheim miterleben durfte, weiß unter Umständen, welch exzessive "Wenn-nicht-jetzt-wann-dann-Stimmung" gerade in solchen Situationen aufkommen kann. Und im Altersheim ist es ja ähnlich wie beim Fernsehen: Urplötzlich ist man weg vom Fenster.

Zunächst durfte jedoch Anke Engelke 125.000 Euro für das Medikamenten-Hilfswerk "action medeor" gewinnen, Hape Kerkeling den gleichen Betrag für die Deutsche Aidshilfe. Marcel Reif kam auf 64.000 Euro für den RTL Spendenmarathon, Alice Schwarzer erkämpfte 500.000 Euro für den Frauennothilfeverein "Hatun & Can". Beinahe wäre es eine Million geworden, aber Schwarzer wusste nicht, dass es vor ziemlich genau zehn Jahren war, als Günter Grass den Nobelpreis zugesprochen bekam.

Schlachten-Schwimmer oder großer Wann-Plantscher

Bleibt die Frage, woher Jauch in Zukunft wieder die "Wahnsinnigen", die er für eine gelungene Ausgabe von "Wer wird Millionär" braucht, hernehmen soll. Gibt es die nicht mehr, ist das jetzt die Zeit berechnender Hans-Martins und vorsorgender Wintergartenbauer? Oder werden mögliche Freaks mittlerweile auch in Castings aussortiert, weil sie beim Publikum anecken könnten? Ist das der Grund, warum uns Game- oder Quizshows heute manchmal so lahm, die "Wetten dass?"-Wetten im Vergleich zu früher so öde vorkommen? Brauchen wir eine Kategorie "Bester Fernsehgast" für den Deutschen Fernsehpreis?

Aber auch Jauch muss sich entscheiden, was er in Zukunft will. Seinen Gästen würde er ein so langes Zaudern bei der Entscheidung nicht durchgehen lassen. Dabei liegen ihm die Möglichkeiten zu Füßen: Wie wäre es mit a) Schlachten-Schwimmer, b) Großer Wann-Plantscher, d) Templin-Surfer, c) Heiligen-Seegler? Oder einem verantwortungsvollen Posten als a) Vorverwüsteter b) Zwischengespeicherter, c) Untergemüllter, d) Abgeordneter?

Worauf wartet er? Vielleicht doch jetzt endlich mal einen Joker...

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