"Avengers: Endgame" im Kino:Wir sind viele

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Iron Man (Robert Downey Jr.) hadert mit seiner Superheldenexistenz vor der finalen Schlacht in „Avengers: Endgame“.

(Foto: Disney)

Der Actionblockbuster "Avengers: Endgame" ist trotz seiner Gigantomanie ein unterhaltsames Superhelden-Klassentreffen und dürfte das Disney-Studio um ein paar Fantastilliarden reicher machen.

Von Juliane Liebert

Der Super-GAU der Superheldenfilme läuft an. Dem 22. Teil des Marvel Cinematic Universe, "Avengers: Endgame", wird der umsatzstärkste Filmstart aller Zeiten im US-Kino prophezeit, vermutlich wird er auch weltweit der erfolgreichste Film des Kinojahres. "Endgame" führt Superhelden aus 21 Filmen zusammen: Iron Man, Spider-Man, Captain America, Captain Marvel, die Guardians of the Galaxy, Black Panther, Hulk. Es spielen so viele Stars mit, dass einem komisch werden kann. Brie Larson, Natalie Portman, Scarlett Johansson, Tilda Swinton und dazu noch ein paar Männer (Robert Downey Jr., Chris Evans, Mark Ruffalo, Chris Hemsworth, Jeremy Renner, Don Cheadle, Paul Rudd, Bradley Cooper, Josh Brolin, Benedict Cumberbatch, Tom Holland, Chadwick Boseman, Samuel L. Jackson und so weiter und so weiter). Das macht, über den Daumen gepeilt, fast 40 Superhelden. Quasi eine Großpackung. 40 zum Preis von 30. Superhelden sind die neuen Socken.

Die Aufgabe, die vielen, vielen Charaktere in einem Plot zu bündeln, haben die Regisseure Anthony und Joe Russo und die Drehbuchautoren Christopher Markus und Stephen McFeely, die als Quartett schon mehrere Marvel-Filme gestemmt haben, erstaunlich gut gemeistert. Die Erwartungen sind hoch, denn der Vorgängerteil, "Infinity War", endete bitter. Der Oberbösewicht Thanos hatte mit einem Fingerschnipsen die Hälfte allen Lebens ausgelöscht. Er fand einfach, das Universum wäre mit der Hälfte seiner Bewohner besser dran. "Infinity War" hinterließ gebrochene Fanseelen. Immerhin hatte man diese Charaktere filmelang kämpfen, leiden und lieben sehen, man hatte sie angefeuert, ihnen gegrollt, sie gehasst und bewundert; und dann kommt so ein Trampel und schnipst sie mit dem Finger, zack, zu Asche.

Der Film balanciert sein Pathos zum Glück mit Witz und Selbstironie aus

Dementsprechend beginnt der neue Film auch recht finster. Fünf Jahre sind vergangen. Die verbleibenden Helden haben Partner, Freunde und Lebenszweck verloren. Clint Barton alias Hawkeye musste zusehen, wie seine Familie sich in Asche auflöst und ist auf Rachefeldzug. Thor ist ein gebrochener Säufer, der verdrängt, rumgammelt und Videospiele zockt (Chris Hemsworth mit Bierbauch ist göttlich!). Die halbierte Weltbevölkerung leidet an kollektiver PTBS. Allein dem Klima geht es wirklich besser. Bis Ant-Man aus dem Quantendingsda, in dem er die fünf Jahre feststeckte, geschleudert wird und den einzigen Vorschlag macht, der noch bleibt: in die Vergangenheit zu reisen. Die Steine aus dem Handschuh, mit dem der Oberverbrecher seinen universalen Genozid beging, aus der Vergangenheit klauen und das große Schnipsen rückgängig machen.

Das einzige Gesetz des Zeitreisens, das man mit hundertprozentiger Sicherheit wissenschaftlich belegen kann, lautet: Zeitreisen zerstören die Logik jedes Plots. In "Endgame" machen sich die Charaktere selbst darüber lustig, was wohl ein subtiler Hinweis darauf ist, es ihnen nach zu tun und die Story nicht allzu ernst zu nehmen. Denn wenn man das versucht, braucht man nicht nur neue Socken, sondern gleich ein neues Hirn. Am Anfang geht es noch, aber sobald der Zeitreiseball richtig ins Rollen kommt, kennt dieser Film keine Gnade. Was unsere Helden in der Vergangenheit und Gegenwart anstellen und welche Auswirkungen das eigentlich haben müsste, aber dann doch nicht hat, darüber könnte Einstein keine Doktorarbeit schreiben, ohne verrückt zu werden. Der Vorteil der Zeitreiserei ist jedoch, dass sie viel Fanservice ermöglicht. Ohne zu viel zu verraten, es gibt Wiedersehen mit längst beseitigten Charakteren, Captain America kämpft gegen sich selbst, Iron Man trifft seinen Vater, für immer getrennte Liebhaber begegnen sich wieder. Der Hauptkampf mutet dann an, als hätte man seinen Kindern zu Weihnachten alle Marvel-Actionfiguren geschenkt und sie würden gemeinsam das Wohnzimmer verwüsten, bis der Baum umfällt und der Teppich brennt. Also: hübsch, chaotisch, anarchisch. Und tatsächlich irgendwie sehr liebenswert. Dabei balanciert der Film sein Pathos mit Witz und Selbstironie aus. Fans werden ihn lieben, auch wenn seine Existenz eine (überbordende und echt witzige) Perversion ist.

Eigentlich symbolisiert "Endgame" natürlich alles, was am Blockbusterkino der Gegenwart verkehrt läuft. Gigantismus. Franchise. Die unendliche Wiederaufbereitung alter Ideen. Die Superhelden retten nicht nur ihre Filmwelt, sondern haben derzeit eine tragende Rolle in der Filmindustrie. Ihre Inflation zeigt die ökonomische Flucht der Studios ins Sichere, Bewährte in einer medialen Umbruchszeit. Die Comicverlage haben ihre Figuren über lange Zeit aufgebaut und kultiviert, die Kernfiguren kennt jeder, die Geschichten um das Grundgerüst herum sind variabel. "Endgame" soll dem Disney-Studio geschätzt 200 Fantastilliarden Dollar einbringen. Warum solche Filme gerade so erfolgreich sind? Natürlich spielt Eskapismus eine Rolle. Die fiktiven Helden sind echte Retter angesichts der Ohnmachtsgefühle in der Welt. Sie mögen abgehalftert sein oder Hardcore-Gegner haben, aber sie besitzen Kräfte, die sie handlungsfähig und, der sprunghaften Vermehrung ihrer Art zum Trotz, einzigartig machen. Insofern spiegeln sie den Trend zum narzisstischen Kreisen um die als individuell zu inszenierende Identität. Alle wollen besonders sein, aber am besten als Gruppe. Auch das haben Superhelden mit Socken gemeinsam: Sie kommen von überall her, es gibt sie in den unterschiedlichsten Farben und Größen, und auch wenn sie nicht das originellste (Film-)Geschenk sind: Man kann sie immer brauchen. Je mehr, desto besser.

Avengers: Endgame, USA 2019 - Regie: Anthony und Joe Russo. Buch: Christopher Markus, Stephen McFeely. Kamera: Trent Opaloch. Mit: Robert Downey Jr., Scarlett Johansson, Chris Evans, Paul Rudd, Brie Larson. Disney, 181 Minuten.

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