Modeblogger Carl Jakob Haupt:Einer, der nicht nur in Berlin fehlen wird

Carl Jakob Haupt

Carl Jakob Haupt im Jahr 2018.

(Foto: Regina Schmeken)

Carl Jakob Haupt vom Blog "Dandy Diary" hat der Stadt unvergessliche Momente beschert, von "Fashion-Porno" über eine Hausbesetzung zu exzessiven Partys. Nun ist er gestorben. Unser Autor erinnert sich.

Von Peter Richter, Berlin

Vermutlich muss man exakt im Jahr 2012 aus Berlin weggezogen sein, um erst einmal gar nicht mitbekommen zu haben, wer der Modeblogger Carl Jakob Haupt war und was für eine Bedeutung er hatte. Vermutlich muss man, wie der Autor dieser Zeilen, in jenem Jahr an einen Ort wie New York gezogen sein, von wo aus sich die beiden Worte Berlin und Mode ohnehin wie ein Widerspruch in sich ausnehmen. Und vermutlich hat man dadurch leider eine ganze Menge unvergesslicher Momente verpasst, die Haupt der Stadt zusammen mit seinem Kompagnon David Roth von dem Blog Dandy Diary ab genau diesem Zeitpunkt beschert hat.

Andererseits sind die ja eben wie gesagt unvergessen: Die Leute erzählen einem bis heute davon. Von dem "Fashion-Porno" in dem Neuköllner Sexkino zum Beispiel, bei dem gleich am Anfang ganz explizit das gezeigt wurde, worauf das Versprechen fast aller Mode-Reklamen am Ende hinausläuft: erfolgreicher Beischlaf; die Klamotten waren dann erst zu sehen, als sie wieder angezogen wurden. Oder von einer Hausbesetzung auf der Friedrichstraße und von Nacktflitzern auf den Modenschauen von Mailand. Und immer wieder von Partys, die in ihren detailverliebten Exzessen ungefähr dem entsprochen haben müssen, was man in New York zeitgleich höchstens aus dem Kino noch kannte, als nämlich "The Wolf of Wall Street" Premiere hatte. Und je mehr die Leute davon erzählten, desto mehr mussten einem die Veranstalter wie Wiedergänger von Caligula und Nero vorkommen, nur diesmal in menschenfreundlich und inklusiv.

Als also das Wirken von Haupt und seinem Kompagnon Roth in Berlin bereits das war, was man mangels besserer Vokabeln wohl legendär nennt, konnte man in New York immer noch der festen Ansicht sein, dass Modeblogger im Wesentlichen Leute sind, die während der Fashion Week auffällig angezogene Leute vor dem Lincoln Center fotografieren, eigentlich aber darauf hoffen, selber fotografiert zu werden, weil sie schließlich ebenfalls auffällig angezogen sind. Es muss irgendwann um die Mitte dieses Jahrzehnts herum gewesen sein, als der Designer und Schriftsteller Rafael Horzon ("Das weiße Buch") versuchte, in Manhattan eine Filiale seines Berliner Ladens für sogenannte "Wanddekorationsobjekte" zu eröffnen. Vielleicht ging es auch um eine New Yorker Filiale von Horzons Berliner Laden für "Apfelkuchenhandel". Und vielleicht ging es auch nur um zwei Wochen Stadturlaub in China Town.

Jedenfalls saß der Meister eines Abends angesäuert in einem chinesischen Imbiss südlich der Canal Street, beklagte die kulturfeindlichen New Yorker Immobilienpreise für Ladenlokale und stellte als seinen designierten Bereichsleiter für Nordamerika einen jungen Mann vor, der so aussah wie eine Mischung aus dem Schauspieler Klaus Kinski und dem Popsänger Limahl ausgesehen hätte, wenn man sich die beiden einmal tief entspannt und bester Dinge vorstellt. Auffällig waren Tätowierungen auf den Armen, die er sich selbst gestochen zu haben schien, und zwar während er von etwas Spannendem im Fernsehen abgelenkt war. Dies also war Carl Jakob Haupt.

Im Rückblick scheint immer noch bemerkenswert, dass eine offensichtlich so mythische Gestalt des Berliner Nachtlebens dermaßen freundlich, offen, zugewandt und absolut unarrogant sein kann, dass man sie deswegen erst einmal auf keinen Fall für eine mythische Gestalt des Berliner Nachtlebens halten mag. Das gilt übrigens für Haupts etwas weniger extrovertierten Kompagnon Roth ausdrücklich auch. Die beiden wirkten, je länger der Abend dauerte, immer mehr wie Demokrit und Heraklit, der lachende und der eher traurige Philosoph. Denn der Zustand der Welt, der Künste, Berlins, New Yorks, und am Ende auch der Mode: Das waren alles Dinge, die man so oder so sehen konnte.

Auf alle Fälle machten sich die beiden aber schon sehr lange und sehr ernsthaft Gedanken darüber, auch wenn die oft eher heiter klangen. Denn Haupt hatte Politologie studiert, sein Kompagnon Roth war Modejournalist, und die beiden kannten sich schon von der Schule her.

Dass diese Schule ausgerechnet in Kassel stand, Nordhessen, innerste deutsche Provinz, das führte - man saß inzwischen in einer Bar am East Broadway - zu dem interessanten Thema Hardcore-Punk nach dem Wegfall der Zonenrandförderung. Man darf sagen: Für Jungs, die sich beruflich mit den Modenschauen von Dolce & Gabbana befassten, kannten sie sich ganz gut auch mit Bands wie Ryker's aus, und das tun ja nun nicht einmal viele Leute, die sich beruflich keineswegs mit Dolce & Gabbana befassen.

Hier fehlte, was einem Mode so unerträglich machen kann

Damals in New York machte es den Eindruck, dass sie vielleicht nur ganz froh waren, dass es mal nicht immer nur Mode ging. Zurück in Berlin und in besserer Kenntnis ihres Blogs wurde dann erkennbar, dass sie an das Thema Mode offenbar einfach nur immer schon ähnlich herangegangen waren wie die wichtige Kasseler Hardcore-Band Ryker's an die Welt der Noten und der Harmonien. Was einem das ganze Geschnatter über Mode nämlich so unerträglich machen kann, dieses grundsätzlich affirmative Gehechel, die Speichelleckerei, das irre Gebettel um Teilhabe am Glamour und am Geld: Das alles war hier auf eine wohltuende Weise anders.

Stattdessen ging es, nur zum Beispiel, sehr explizit um die Kinderarbeit in einer Branche, die sich selbst die teuersten Teile oft billig in Asien zusammennähen lässt. Aber die Konsequenz war eben nicht der leider gerade in Berlin verbreitete Irrglaube, dass Mode an sich abzulehnen und die Flucht in Funktionsjacken und Trekkingsandalen eine Lösung wäre, und zwar für was auch immer. Dass Kritik nicht zwingend als Genöle daher kommen muss, sondern dass auch brachialer Hedonismus eine Option sein kann: Hinter diese Erkenntnis kommt seit Dandy Diary keiner mehr zurück, selbst im kritischsten Kreuzberg und Neukölln nicht, wo Haupt und Roth mit ihrem veganen Imbiss "Dandy Diner" zuletzt noch für Aufläufe gesorgt hatten, gegen die selbst die Schlangen vor der Currywurstbude am Mehringdamm mittags ein Witz sind. Wenn die beiden nicht gleich zwei Männer, sondern ein Mann und eine Frau gewesen wären, hätten sie eigentlich exakt die Parteispitze abgegeben, die den Grünen mal zu wünschen wäre.

Vermutlich muss man vor kurzem erst aus New York zurück nach Berlin gezogen sein, um zu erkennen, dass diese Stadt in ihnen auf einmal hatte, was anderen inzwischen fehlt. Und vermutlich hätte es sich gelohnt, Haupt und seinen Kompagnon Roth auch einmal durch das strenge Lorgnon des Feuilletons zu sehen - als die Art von Impresarios, die in Leuten wie Andy Warhol ihre Vorväter hatten.

Aber leider ist es dafür jetzt zu spät, denn Carl Jakob Haupt ist Karfreitag, wie jetzt seine Familie mitteilt, mit 34 Jahren gestorben. Er hatte Krebs. Und auch wenn man ihn also viel zu wenig und allenfalls aus der Halbdistanz erlebt hat, ist seitdem zu spüren, wie sehr so einer wie er jetzt schon fehlt in Berlin, aber eigentlich auch in New York, und in der sogenannten Welt der Mode sowieso.

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Carl Jakob Haupt

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