Milliardengewinn trotz Skandaljahr:Facebook ist außer Kontrolle

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Pannen und Skandale scheinen Facebook nichts anhaben zu können - das Unternehmen wächst und verdient Milliarden. (Foto: Claudio Schwarz/Unsplash)

Sogar Mark Zuckerberg fordert Regulierung. Höchste Zeit, ihm seinen Wunsch zu erfüllen.

Kommentar von Simon Hurtz

Es dauert etwa drei Minuten, diesen Text zu lesen. In dieser Zeit wird Facebook mehr als 100 000 Euro verdient haben. Das zeigen die Quartalszahlen, die Mark Zuckerberg am Mittwochabend vorgestellt hat. Seit Jahren läuft es so: Die Zahlen haben viele Nullen, und sie werden immer größer.

Diese Entwicklung macht drei Dinge deutlich: Erstens spielt Datenschutz für die meisten Menschen eine untergeordnete Rolle. Zweitens spielt Datenschutz für die meisten Aktionäre gar keine Rolle. Sie wollen nur wissen, ob ein Unternehmen Geld verdient. Wie, ist egal. Drittens sind Aufsichtsbehörden nicht in der Lage, Facebook zu kontrollieren. Es braucht also andere Formen der Regulierung, und zwar besser heute als morgen.

Die ersten beiden Punkte sind schnell erklärt. Vor einem Jahr wurde bekannt, dass Daten von bis zu 87 Millionen Nutzern an das dubiose Datenanalyse-Unternehmen Cambridge Analytica abgeflossen waren. Die Affäre läutete ein Seuchenjahr für Facebook ein. Kaum hatte sich Mark Zuckerberg für einen Skandal entschuldigt, folgte der nächste. Doch das scheint folgenlos zu bleiben: Nutzerzahlen und Aktienkurs steigen.

Datenschutz-Verstöße
:Bei diesen Zahlen wird Facebook jeder Skandal verziehen

Das Unternehmen rechnet damit, eine Rekord-Strafe zahlen zu müssen. Und die Börse? Ist begeistert. Vom Wert der Treue.

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Die Machtlosigkeit der Aufsichtsbehörden zeigt sich an dieser Summe: drei bis fünf Milliarden Dollar. Das Geld hat Facebook für mögliche Strafzahlungen an die US-Handelskommission zurückgestellt, die wegen Datenschutzverstößen gegen Facebook ermittelt. Die Behörde würde ihre eigene Rekordstrafe um das 200-fache überbieten - und Facebook trotzdem kaum treffen. Das Unternehmen besitzt 45 Milliarden Dollar in bar.

Warum wirksame Regulierung dringend nötig wäre, zeigt ein Blick auf die Schlagzeilen, die Facebook in der vergangenen Woche produziert hat. Bei vielen anderen Unternehmen hätten die Nachrichten einen Aufschrei ausgelöst, bei Facebook rufen sie nur noch ein Schulterzucken hervor. Dennoch lohnt es sich, genauer hinzuschauen. Denn die Meldungen stehen sinnbildlich für zwölf Monate voller Skandale, unglücklicher Öffentlichkeitsarbeit und Ereignissen, die Facebook selbst als "Versehen" beschreibt. Die meisten dieser Missgeschicke enden jedoch damit, dass Facebook "versehentlich" mehr Daten sammelt.

Facebook fragt Nutzer "versehentlich" nach E-Mail-Passwörtern

Der Fernsehsender NBC berichtete über interne Dokumente, die den Eindruck nahelegen, dass Wachstum bei Facebook im Zweifel wichtiger ist als Datenschutz. Am selben Tag veröffentlichte das Magazin Wired eine Titelgeschichte, die unter anderem beschrieb, dass 2018 zwischenzeitlich 90 Prozent weniger Leser von Facebook zu Wired gekommen seien - ausgerechnet, nachdem ein kritischer Bericht über Facebook erschienen war. Erst nach vier Wochen und zahlreichen Beschwerden habe Facebook die Ursache entdeckt, angeblich ein bedauerlicher Fehler. Zufall?

Womöglich war es auch Zufall, dass Facebook einen Blogeintrag aus dem März genau dann aktualisierte, als der Mueller-Bericht veröffentlicht wurde. Darin gab Facebook zu, man habe die Passwörter statt von Zehntausenden von Millionen Instagram-Nutzern unverschlüsselt gespeichert. Garantiert kein Zufall war es, dass Facebook 1,5 Millionen Nutzer nach ihren E-Mail-Passwörtern fragte, die Adressbücher dann "versehentlich" auf seine Server hochlud und für zielgerichtete Werbung und Freundschaftsvorschläge nutzte.

Facebook bedroht nicht nur die Privatsphäre, sondern die Demokratie

Das sind nur die Meldungen einer Woche. Die Jahreschronik der Skandale füllt einen Roman. Hinzu kommen Desinformation, Propaganda und gezielt über Facebook und Whatsapp gestreute Gerüchte, die in mehreren Ländern soziale Unruhen und Lynchmobs ausgelöst haben. Das Unternehmen bedroht nicht nur die Privatsphäre von Milliarden Menschen, sondern auch die Demokratie.

Facebook ist nicht böse, aber es ist sich selbst über den Kopf gewachsen. Eine der wichtigsten Kommunikations-Infrastrukturen der Welt ist in Teilen außer Kontrolle geraten. Ende März hat Mark Zuckerberg vier aufsehenerregende Vorschläge gemacht. Er plädierte für mehr Regulierung im Netz, schärfere Datenschutzgesetze und demokratische Aufsicht für globale Plattformen.

Es ist höchste Zeit, ihn beim Wort zu nehmen. Jahrelang haben Staaten tatenlos zugesehen, wie Technologiekonzerne mächtiger und reicher geworden sind. Wenn Alternativen zu Facebook, Instagram und Whatsapp entstehen, könnte es passieren, dass Facebook während der Lektüre dieses Textes künftig nur noch 50 000 Euro verdient. Das wäre immer noch genug.

© SZ vom 26.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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