Gastkommentar:Auf der Welle surfen

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Umweltverschmutzung zu bekämpfen ist ein hehres Ziel. Viele aktivistische Künstler aber bedienen nur den Wunsch nach gutem Gewissen.

Von Wolfgang Ullrich

Was ist nur mit den Künstlern los? Mit Katharina Grosse zum Beispiel. Auf ihrem Instagram-Account veröffentlichte sie kürzlich Videos, auf denen sie Surfbretter durch ihr Atelier trägt. Begleitend erfährt man, dass sie dreißig Bretter bemalen will - als Edition für die Initiative "Parley for the Oceans", die gegen die Verschmutzung der Meere mit Plastikmüll kämpft. Er bedroht das Leben vieler Arten und letztlich das gesamte Ökosystem. Keine Frage, dagegen kann man gar nicht genug tun. Aber warum Surfbretter bemalen - und dann auch noch mit Acrylfarbe in Spraydosen?

Zwar macht es für die Meere und das Klima nicht viel aus, ob Grosse für die Surfbretter noch ein paar Hundert Spraydosen mehr verbraucht, doch hat die Aktion damit nicht einmal ideellen Wert, ist aufgrund des alles andere als umweltfreundlichen Herstellungsprozesses vielmehr gedankenlos, wenn nicht sogar zynisch. Steht dahinter nicht die Haltung, Kunst sei automatisch 'gut', egal was sie tut? Doch die Surfbretter sind selbst Teil des Problems, dass insgesamt viel zu viel produziert wird. Statt das mit ihnen erwirtschaftete Geld herzugeben, wäre es also ökologischer, Grosse würde die Summe direkt spenden.

Gerade Künstler könnten neue, klügere Formen von Symbolpolitik entwickeln - und nicht nur immer weiter ziemlich unnütze Dinge auf den Markt bringen, mit denen man sich höchstens fotogen zu etwas bekennen oder gegen etwas protestieren kann. Die Fotokünstlerin Cindy Sherman ließ Luftmatratzen (natürlich aus Plastik) mit einem Selfie bedrucken, als sie ein Projekt zur Verbesserung der Wasserqualität des Hudson River unterstützen wollte. Und dem Maler und Filmemacher Julian Schnabel fielen zur Ozeanrettung nur Einkaufstaschen mit Surf-Motiven ein: Objekte, welche die Konsumgesellschaft und ihre Ressourcenverschwendung weiter affirmieren. Immerhin sind Schnabels Taschen aus Plastikabfällen recycelt.

Sinnvoll sind etwa Solarlampen für arme Länder. Das jedoch ist Technik, keine große Kunst

Bisweilen wirkt künstlerisches Engagement für ökologische Themen nur wie ein ideenloser Abklatsch der Aktivitäten, mit denen heutzutage viele Unternehmen zu punkten versuchen. So hat etwa auch Adidas zahlreiche neue Produkte mit "Parley for the Oceans" entwickelt: Schuhe, Shirts und Bademode aus aufbereitetem Plastikmüll in großen Mengen. Dagegen gibt es Grosses Surfbretter oder Schnabels Taschen bloß als ,Limited Edition' - so als sei es am wichtigsten, dass die Käufer sich bei der Beruhigung des eigenen Gewissens exklusiv fühlen dürfen.

Doch es geht auch besser. So hat der Künstler Olafur Eliasson seine seit 2012 vertriebene Solarlampe "Little Sun" weniger für westliche Wohlstandsbürger konzipiert als für Menschen in den ärmsten Regionen der Welt, wo es kein Stromnetz gibt. Durch sie lässt sich CO₂ einsparen, vor allem aber arbeitet Eliasson gerade in Ländern Afrikas am Aufbau ökonomischer Infrastrukturen, die kleinen Händlern mehr Selbständigkeit ermöglichen sollen. Schon bis Ende 2016 wurden mehr als eine halbe Million Lampen vertrieben - wobei nicht klar ist, was genau an dem Projekt eigentlich Kunst sein soll. Mimikry gegenüber Markenherstellern kann man ihm nicht vorwerfen, stattdessen aber fällt es bei Eliasson schwer, sein Engagement von dem einer NGO zu unterscheiden.

Die Avantgarden der Moderne wollten aufklären. Ihre Erben fröhnen dem Kapitalismus

Aber lebt bei einem Projekt wie "Little Sun" nicht der Anspruch der Avantgarden fort, mit Kunst gesellschaftliche Missstände zu heilen? Das mag sein, allerdings folgt man dabei inzwischen einer völlig anderen Logik. So sollte Kunst während der gesamten Moderne die Rezipienten aufklären, mit neuen Erfahrungen fluten, kritisches Bewusstsein in ihnen wecken oder sie provozieren. Und über die Veränderung der Menschen sollte dann eine Veränderung und Verbesserung der Welt stattfinden.

Gerade von diesem - gewiss ziemlich idealistischen - Glauben an spezifische Kräfte der Kunst ist jedoch wenig geblieben. Vielmehr vertrauen Künstler jetzt ganz auf Mechanismen, die auch sonst in der Konsumwelt gut eingespielt sind: Sie produzieren Dinge, um Wirtschaftskreisläufe zu etablieren, mit denen sich eines Tages ökologischer produzieren lässt. Diese Kunst funktioniert also nur innerhalb der etablierten Ökonomie - und geht zumeist bis zur Unkenntlichkeit in ihr auf.

Wolfgang Ullrich, 52, ist Kunsthistoriker und Kulturwissenschaftler in Leipzig.

© SZ vom 27.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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