Dubioser Bluttest:Verdacht auf Insiderhandel am Uniklinikum Heidelberg

Dubioser Bluttest: Am 21. Februar 2019 berichtete die Bild-Zeitung über die "Weltsensation". Der Kurs der Firma, die den Test auf den asiatischen Markt bringen sollte, legte daraufhin deutlich zu. Ausriss: Bild

Am 21. Februar 2019 berichtete die Bild-Zeitung über die "Weltsensation". Der Kurs der Firma, die den Test auf den asiatischen Markt bringen sollte, legte daraufhin deutlich zu. Ausriss: Bild

(Foto: Bild)
  • Im Februar berichtete die Bild-Zeitung von einem Bluttest zur Früherkennung von Brustkrebs als "Welt-Sensation".
  • Dann stellt sich heraus, dass der Test nicht hält, was er verspricht, aber dennoch als medizinischer Durchbruch verkauft wurde.
  • Nun mehren sich die Hinweise auf Insiderhandel. Bei einem wichtigen Treffen war nach SZ-Informationen auch Österreichs ehemaliger Finanzminister Karl-Heinz Grasser dabei.

Von Frederik Obermaier und Kathrin Zinkant

Die Runde, die sich an einem Dienstag im November 2017 im exklusiven China Club Berlin trifft, ist prominent und bunt besetzt. Der Heidelberger Unternehmer Jürgen Harder hat, begleitet von seiner Lebensgefährtin Franziska van Almsick, einst Deutschlands erfolgreichste Schwimmerin, in den privaten Club im Adlon-Palais eingeladen. Zu den Gästen zählen vier Mitarbeiter des Universitätsklinikums Heidelberg, darunter ein Chefarzt, sowie nach Informationen der Süddeutschen Zeitung der frühere österreichische Finanzminister Karl-Heinz Grasser. Neben zwei Anwälten und einem Mitarbeiter Harders ist noch Kai Diekmann dabei, früher Chefredakteur der Bild-Zeitung.

Nur ein paar Schritte vom Brandenburger Tor entfernt stößt die illustre Gesellschaft, so erzählen es Zeugen, auf Harders Investition in die neue Heiscreen GmbH an. Die Firma soll einen vielversprechenden Krebstest der Heidelberger Forscher vermarkten. Am Ende wird das junge Unternehmen allerdings eine der renommiertesten Universitäten Deutschlands in Verruf bringen. Mittlerweile ermittelt die Staatsanwaltschaft Mannheim, nachdem das Heidelberger Klinikum selbst Anzeige erstattet hatte. Eine unabhängige Expertenkommission soll den Fall nun untersuchen. Der Verdacht: Insiderhandel und Börsenmanipulation. Und das Treffen in jenem Berliner Privatclub spielt dabei wahrscheinlich eine zentrale Rolle.

Denn am 21. Februar 2019, mehr als ein Jahr nach dem Abend im China Club,erscheint in der Bild eine Titel-Story: "Welt-Sensation aus Deutschland". Im Blatt ist zu lesen, dass Forscher der Uniklinik Heidelberg ein Verfahren zur einfachen Brustkrebsdiagnose entwickelt hätten - eine "medizinische Sensation". Der Test solle noch 2019 auf den Markt kommen.

Tatsächlich arbeitet ein Heidelberger Forscherteam, zunächst unter der Leitung der Chinesin Rongxi Yang, schon seit mindestens 2014 an einer sogenannten Liquid Biopsy. Diese "flüssige Biopsie" soll anhand von Tumorspuren im Blut selbst winzigste Krebsgeschwüre aufspüren. Der Test könnte, falls er treffsicher ist, künftig die schmerzhafte, mit Strahlenbelastungen verbundene Röntgenreihenuntersuchung der Brust ersetzen. Es wäre ein Durchbruch, der vielen Frauen das Leben retten könnte. An jenem Dienstag im November im China Club Berlin sieht es noch so aus, als sei der Heidelberger Test von herausragender Qualität.

Es wäre ein Durchbruch, der vielen Frauen das Leben retten könnte

Am 21. Februar 2019, als die Bild ihre Titelgeschichte bringt, ist dies nicht mehr der Fall. Und dennoch präsentiert am selben Tag auch der Ärztliche Direktor der Frauenklinik am Heidelberger Universitätsklinikum, Christof Sohn, auf einem Gynäkologenkongress in Düsseldorf den spektakulären Bluttest. In der Bild-Zeitung wird Sohn interviewt als derjenige Forscher, der den Test "maßgeblich" entwickelt habe. Tatsächlich ist er erst 2017 so richtig eingestiegen. Und auch das Uniklinikum verschickt am selben Tag eine Pressemitteilung. Von einem "Meilenstein in der Brustkrebsdiagnostik" ist darin die Rede. Die Bunte feiert Sohn wenig später als den Mann, der "die Medizin aus den Angeln hebt". Es ist das ganz große Kino für den Mediziner. Von der Chinesin, die den Test einst erfunden hat: kein Wort.

Sohn ist nun berühmt, wichtige Freunde hatte er schon vorher. Einer ist der in Heidelberg lebende Jürgen Harder. Der Multimillionär hat mit dem Bau von Industriehallen ein Vermögen gemacht. Viele Deutsche kennen ihn aber eher als Lebensgefährten von Franziska van Almsick. Harder stand 2017 wegen einer Verurteilung in einem Korruptionsprozess noch unter Bewährung. Es gibt auch Verbindungen ins angesehene Milieu Heidelbergs: Dietmar Hopp, SAP-Gründer und einer der wichtigsten Mäzene der Uniklinik, gilt als Freund Harders. Christof Sohn, der Chefarzt mit dem Test, soll die Kinder von Harder und van Almsick entbunden haben.

Harder erfährt vermutlich 2017 erstmals Details zum vermeintlichen Wundertest. Er bekommt den Businessplan der Erfinderin Rongxi Yang zugeschickt, der dem Test eine Genauigkeit von 100 Prozent bescheinigt. Eine solche Perfektion ist wissenschaftlich nicht glaubhaft, jedes System versagt einmal, weshalb die Treffsicherheit eines Tests im besten Fall bei 99 Prozent plus ein bisschen liegt. Doch das ficht Sohn offenbar nicht an - und den Geschäftsmann Harder auch nicht.

Um den Test zu vermarkten, will die Uniklinik eine Firma gründen, an der sie selbst beteiligt ist und in die auch externe Geldgeber investieren sollen: die Heiscreen GmbH. Harder steigt im November 2017 als Investor über eine Beteiligungsgesellschaft ein, mit 39,21 Prozent. Die Mehrheit der Anteile ist im Besitz einer Tochtergesellschaft der Universität. Auch die Ärzte Christof Sohn und Sarah Schott erhalten Anteile. Parallel wird eine zweite Firma gegründet, die heutige Heiscreen NKY, sie soll den Krebstest in Asien zusammen mit der börsennotierten chinesischen Firma NKY Medical vermarkten. Gefeiert wird passenderweise im Berliner China Club.

Der Test sei als Diagnostikum ungeeignet, heißt es in einem internen Schreiben

Dass die Klinikverantwortlichen mitfeiern, leuchtet ein. Aber was haben Karl-Heinz Grasser und Kai Diekmann auf dieser Party zu suchen? Sind sie jene stillen Investoren, über deren Existenz Harder laut einem Klinik-internen Schreiben, das der SZ vorliegt, Andeutungen gemacht hat? Harder bestreitet auf Anfrage, dass es stille Beteiligungen gibt. Er sei mit Diekmann befreundet, lässt er mitteilen.

Diekmann ist offenkundig auch anwesend, als im April 2018 die Forscher in Heidelberg dem Investor Harder neue Forschungsergebnisse präsentieren. Es ist ein denkwürdiges Treffen. Christof Sohn hat schlechte Nachrichten. Der Test erreicht nur noch 70 bis 80 Prozent Treffsicherheit. Die angekündigten 100 Prozent ließen sich "nicht im Ansatz halten", heißt es später in einem internen Schreiben. An anderer Stelle heißt es auch, der Test sei als Diagnostikum ungeeignet.

Harder fühlt sich getäuscht, es gibt Streit, sogar Anwälte werden aktiv. In den darauffolgenden Monaten wird der Test nachjustiert, die Werte werden tatsächlich besser, aber bei weitem nicht so gut, wie einst angekündigt. Dennoch beschließt der Rat der Heidelberger Medizin-Fakultät am 30. Januar 2019, den Test bei dem Kongress in Düsseldorf vorzustellen. Mit der Vorbereitung der Pressekonferenz wird laut einem internen Schreiben, das der SZ vorliegt, Kai Diekmann betraut, Kommunikationsprofi - und Freund des Investors Harder.

Etwa zeitgleich mit der Entscheidung, an die Öffentlichkeit zu gehen, beginnt der Kurs der NKY Medical - jener Firma, die den Test auf den asiatischen Markt bringen soll - zu steigen. Es ist ein klares Zeichen, dass jemand verstärkt Aktien des chinesischen Unternehmens kauft.

Zur Vorbereitung der Pressekonferenz werden zwei Firmen angeheuert. Bei einer arbeitet die frühere Büroleiterin von Kai Diekmann, sie wird später auf der Pressekonferenz neben Chefarzt Sohn sitzen. Der Ex-Bild-Chefredakteur, die Ex-Bild-Büroleiterin - und wenig später weiß auch die Bild-Zeitung von der vermeintlichen medizinischen Sensation. Eine Journalistin des Blatts interviewt Sohn und schickt ihm das Interview zwei Wochen vor der Pressekonferenz zur Freigabe zu. Es macht im Klinikum die Runde, wird ergänzt, korrigiert - und bejubelt: "Prima, leicht verständlich und dennoch wissenschaftlich", zitiert die Rhein-Neckar-Zeitung später aus einer E-Mail.

Wer früh Aktien der Vertriebsfirma gekauft hat, konnte mit Gewinn verkaufen

Eine Pressekonferenz auf einer Fachtagung, dazu eine Titelstory in der auflagenstärksten deutschen Boulevardzeitung: Der 21. Februar 2019 scheint zunächst ein Erfolg zu sein. Zwar werden kurze Zeit später sieben ärztliche Fachgesellschaften die Veröffentlichung der Heidelberger Forscher heftig kritisieren, weil die Schlussfolgerungen "verfrüht" seien und "ohne Evidenzgrundlage Hoffnungen bei Betroffenen" geweckt würden. Doch das interessiert den Finanzmarkt zunächst nicht: Mit einem Schlag steigt der Kurs der an der Börse von Shenzhen gehandelten Aktien der NKY Medical stark. Die Rechnung scheint einfach: In China, Hongkong, Taiwan und Macau leben rund 700 Millionen Frauen, viele potenzielle Kundinnen.

Der Kurs der NKY Medical erreicht Ende März seinen bisherigen Höhepunkt. Wer am 30. Januar 2019 Aktien der Firma gekauft hat - am Tag, an dem der Fakultätsrat entschied, mit dem Krebstest an die Öffentlichkeit zu gehen -, kann diese nun mit gewaltigen 82 Prozent Gewinn verkaufen. Der einzige Haken: Sollte jemand das Wissen von der bevorstehenden Veröffentlichung genutzt und aus diesem Grund Aktien gekauft haben, wäre das illegal. Experten sprechen in solchen Fällen von Insiderhandel - und mit diesem Verdacht ermittelt laut Rhein-Neckar-Zeitung gerade die Staatsanwaltschaft.

Für Insiderhandel kommt jeder in Frage, der von der geplanten Veröffentlichung wusste. In Frage kämen alle, die eingeweiht waren. Jürgen Harder ließ mitteilen, er verfüge "über keinerlei Hinweise", die "auf Börsenmanipulation, Insiderhandel oder anderweitig illegale Handlungen im Zusammenhang mit der Ankündigung des Blutestests schließen lassen". Auch Kai Diekmann wies Spekulationen zurück: "Das ist der größte Quatsch der Welt." Er habe "zu keinem Zeitpunkt" direkt oder indirekt Anteile an irgendwelchen Firmen besessen, die etwas mit dem Heidelberger Bluttest zu tun haben.

Der ehemalige FPÖ-Politiker Grasser, der in Österreich in einem anderen Fall wegen des Vorwurfs der Untreue vor Gericht steht, berät laut Investor Harder die Beteiligungsgesellschaft, mit der Harder in Heiscreen investiert hat. Laut FAZ war Grasser sogar als Geschäftsführer im Gespräch. Grasser selbst ließ die SZ-Anfrage, ob er im Zusammenhang mit dem Heidelberger Bluttest an einer Firma beteiligt sei, bis Freitagnachmittag unbeantwortet.

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