Wahlen in EU-Staaten:Warum Spanien ein europäisches Dilemma widerspiegelt

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Ein Mann küsst ein spanische Flage. (Symbolbild) (Foto: dpa)

Der Bruderkuss mit Populisten endet oft tödlich, doch ein Mitte-Bündnis verleiht den Extremisten Auftrieb. Zwischen den moderaten Parteien in Europa wächst der Wunsch nach Konfrontation.

Kommentar von Stefan Kornelius

Welch ein hübscher Zufall, dass der Europawahlkampf jetzt in seine heiße Phase tritt, da in Spanien das Ergebnis der Parlamentswahl vorliegt. In diesem Europawahlkampf treten ja die großen Parteienfamilien mit der Botschaft an, dass sie eine Allianz der Mitte in Teufels Namen vermeiden wollen: Sozialisten und Volkspartei - sie gäben viel dafür, wenn sie im Europaparlament ihr ewiges Bündnis beerdigen könnten. Die Botschaft der spanischen Wähler heißt nun aber: Eine Mehrheit der linken oder rechten Blöcke gibt es nicht, wieder muss es die Mitte richten.

Spanien spiegelt ein europäisches Dilemma wider, das die Deutschen in der dritten Auflage der schwarz-roten Koalition schon eine Weile kennen. Wo bitte bleiben die Mehrheiten, wenn man Koalitionen mit extremen Parteien ausschließt?

Immerhin, dieser Obersatz aus dem Lehrbuch für Parteistrategie gilt noch: Meidet die Radikalen. Dort, wo moderate Parteien ihren Treueschwur gebrochen haben und mit Extremisten koalieren, werden sie am Nasenring durch die Manege geführt.

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Besonders eindrucksvoll macht das die schwarz-blaue Koalition in Wien vor, wo die sogenannten Freiheitlichen jeden Tag demonstrieren, wie viel Unfreiheit in einem kleinen Land stecken kann. Dito Italien, wo die Vermählung der Populisten nicht zu einer Verdopplung, sondern zu einer Quadratur des Extremismus führte. Selbst im bisher recht stabilen Estland paktieren die Konservativen nun mit den Rechtspopulisten - sie werden den Sündenfall schnell bezahlen.

Die Sehnsucht nach einer klaren Links-Rechts-Polarisierung kann nicht einmal das auf extreme Stabilität angelegte britische Wahlsystem bedienen. Regierung oder Opposition - so einfach liegen die Dinge nicht mehr. Das Unterhaus hat den Europäern in den vergangenen Monaten bis zur Erschöpfung demonstriert, dass ein festgezurrtes Lagersystem zum Fluch werden kann, wenn die Parteidisziplin jede Vernunft unterdrückt.

Die Spanier haben die Gefahr erkannt

Dennoch wächst in den moderaten Parteienfamilien der Wunsch nach Konfrontation und nach Unterscheidbarkeit in der Mitte. Die Sehnsucht nach dieser Dualität, die den demokratischen Pendelschlag zwischen Regierung und Opposition bestimmte, diese Sehnsucht schlummert bei Christdemokraten wie Sozialisten gleichermaßen. Auch ein simpler Überlebensinstinkt treibt sie zu dieser Erkenntnis: Wenn der Bruderkuss mit den Populisten tödlich ist und ein Mitte-Bündnis lediglich den Extremisten Auftrieb verleiht, dann bleibt nur die Konfrontation zwischen den Moderaten.

Übrigens haben die Spanier die Gefahr erkannt und reagiert: durch eine hohe Wahlbeteiligung. Auch wenn keines der Lager eine eindeutige Mehrheit bekommen hat, so zeugt das Ergebnis doch von einer wachen Bevölkerung. Wählen hilft also. Zwar sind im Europaparlament handlungsfähige Mehrheiten links oder rechts der Mitte fast undenkbar, denn dazu sind die Parteiensysteme auf dem Kontinent zu heterogen. Aber immerhin haben Sozialisten und Christdemokraten erkannt, dass ihre ach so pragmatische Allianz in der Mitte angreifbar ist. Der Feind steht nämlich außen.

Die spanische Botschaft für die Europawahl heißt also: Polarisiert die Mitte. Volksparteien und Sozialisten haben weniger gemeinsam, als Extremisten behaupten.

© SZ vom 30.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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