Graphic Novel:Neues Erinnern an Anne Frank

Graphic Novel: Warum eine Graphic Novel über Anne Frank? Weil junge Leser das Mädchen neu kennenlernen sollen, sagen Ari Folman (links) und David Polonsky.

Warum eine Graphic Novel über Anne Frank? Weil junge Leser das Mädchen neu kennenlernen sollen, sagen Ari Folman (links) und David Polonsky.

(Foto: Robert Haas)

Filmregisseur Ari Folman und Zeichner David Polonsky erhalten Preis des NS-Dokuzentrums

Von Jürgen Moises

"Eines Tages", so hatte Anne Frank am 11. April 1944 noch hoffnungsfroh in ihr Tagebuch geschrieben, "wird dieser schreckliche Krieg vorbei sein, eines Tages werden wir wieder Menschen sein, und nicht nur Juden." Diese Hoffnung hat sich später auch erfüllt, für Anne aber leider zu spät. Sie starb, genauso wie ihre ältere Schwester Margot, kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs im KZ Bergen-Belsen. Auch ihre Mutter Edith hat den Krieg nicht überlebt. Nur ihr Vater Otto entkam durch Glück dem Tod im Konzentrationslager, und dank ihm wurde 1947 "Das Tagebuch der Anne Frank" verlegt. Heute ist Anne Frank eine Ikone, und durch ihre Aufzeichnungen haben sich vermutlich mehr Menschen mit der NS-Zeit auseinandergesetzt als durch jedes andere historische Zeugnis.

Ob das auch in Zukunft noch so sein wird, diese Frage hat sehr viel damit zu tun, warum der 1963 von ihrem Vater gegründete, in Basel angesiedelte Anne Frank Fonds "Das Tagebuch der Anne Frank" 2017 noch einmal neu als "Graphic Diary" herausgegeben hat. Und warum der israelische Filmregisseur Ari Folman und der Zeichner David Polonsky für ihre Comic-Umsetzung des Tagebuchs am vergangenen Dienstag den erstmals vergebenen Preis des NS-Dokumentationszentrums München bekommen haben. Verliehen wurde ihnen der mit 8000 Euro dotierte Preis von Kulturreferent Hans-Georg Küppers. Die Laudatio hielt Hanno Loewy, Direktor des Jüdischen Museums Hohenems. Grußworte sprachen die Generalkonsulin des Staates Israels in München Sandra Simovich und Mirjam Zadoff, die Direktorin des NS-Dokumentationszentrums.

Ebenfalls eingeladen war Yves Kugelmann vom Anne Frank Fonds, der die Comic-Adaption initiiert hat. Sein Anstoß für das Projekt: "Wir waren davon überzeugt, dass wir für die fast 400 Seiten eine neue Sprache finden müssen." Wieso? Weil der Buchmarkt sich verändert hat. Weil, so wiederum Hans-Georg Küppers über den Preis, die Kultur der Erinnerung neue Ausdrucksformen brauche und man gegen die Zunahme rechtspopulistischer Strömungen ein Zeichen setzen müsse. Und weil, erläuterte Mirjam Zadoff, heutzutage neue pädagogische Mittel nötig seien, um vor allem junge Menschen zu erreichen, die nur noch wenig bis gar nicht über die NS-Zeit und die Shoa Bescheid wüssten.

Auf dem Comic als einem "demokratischen und leicht zugängigen Medium" (Sandra Simovich) scheinen dabei allgemein sehr große Hoffnungen zu lasten. Aber es gibt auch konkrete, künstlerische Gründe, warum sich eine sechsköpfige Fachjury zusammen mit dem Stadtrat für Folman und Polonsky als Preisträger entschieden hat. Denn genauso wie Film- und Theater-Adaptionen hat es bereits zahlreiche Comic-Umsetzungen des Tagebuchs von Anne Frank gegeben. Aber laut Hanno Loewy dienten diese meist "rein kommerziellen Zwecken". Folman und Polonsky nähmen Anne Frank dagegen "endlich ernst", setzten ihre Geschichte mit Scharfsinn und Souveränität um, "auf eine Art und Weise, in der dies zuvor niemand gewagt hatte".

Dass Folman und Polonsky das Talent dazu besitzen, hatten die beiden bereits mit dem Trickfilm "Waltz with Bashir" bewiesen, der ein Massaker im ersten Libanonkrieg thematisiert und 2009 für den Oscar nominiert war. Tatsächlich arbeitet Ari Folman seit 2013 auch an einem Zeichentrickfilm über das Tagebuch, der 2020 fertig werden und Annes Geschichte mitder Gegenwart verbinden soll. Protagonistin ist Kitty, Annes imaginäre Freundin aus dem Tagebuch. Diese erwacht nach einem langen Schlaf durch einen Sturm in Amsterdam, entsteigt dem Tagebuch und geht auf die Suche nach Anne. "Where is Anne?" lautet dementsprechend auch der Titel des international produzierten Kinderfilms, der ebenfalls einen spannenden, aber wie Folman bereits gemerkt hat, nicht ganz unumstrittenen Versuch darstellt, die Erinnerung an Anne Frank, an die Shoa zu bewahren.

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