Essstörungen:Henrike Iglesias an den Kammerspielen

Von Egbert Tholl

Gemessen an dem, was sie zuletzt am gleichen Ort gezeigt haben, ein halbes Jahr ist das her, sind die fünf Damen von Henrike Iglesias diesmal im Werkraum geradezu dezent. Drei stehen in roten Kostümen von verspielter Abenteuerlust auf der Bühne, eine macht sich erst in einer Mikrowelle Popcorn und dann das Licht, eine macht Musik. Der Abend heißt "Fressen" und darum geht es auch. Um Essstörungen, evoziert durch den öffentlichen Zwang zum optimierten Körper, um den Horror Vacui einer leeren Kuchenschüssel, wenn man nicht weiß, wie man einen Kuchen bäckt, um Chips mit Mayonnaise. Am Ende gibt es für Wagemutige im Publikum einen Smoothie aus vielerlei Zutaten, der wie eine Biotonne im Spätherbst riecht.

Sie erzählen gute Geschichten, vom Vater, der abnehmen musste, deshalb gab es abends nur noch Rucola, doch vor dem familiären Trennkosterlebnis machte der Vater einen Umweg über den Würstelstand. Eine der drei performenden Henrikes stopft lustvoll Spaghetti in sich hinein und behauptet, seit zehn Jahren auf keiner Waage mehr gestanden zu haben. Eine andere sagt, sie habe keinen Bock mehr darauf, dass ihr Körper schön und schlank sein müsse - sie redet sich allerdings da auch leicht. Es ist nicht Vieles neu hier, aber das macht nichts, weil das Leiden unter dem Druck zur körperlichen Effizienz alt und immerwährend ist und hier mit lustigem Trotz bekämpft wird. Und wenn einem eine Tiefkühlpizza besser schmeckt als eine superfrische in Neapel, dann ist das halt so und schämen muss sich deswegen niemand. Denn "Girls just wanna have fun", so wie sie wollen.

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