Eigentum:Wem die Stadt gehört

Niemand soll am Wohnen verdienen, findet Helma Haselberger aus Freiburg und verweist auf den Boom des "Mietshäuser Syndikats".

Von Bernd Kastner

Helma Haselberger lebt in einem kaum bekannten Land. Es liegt zwischen zwei Grundrechten, zwischen Eigentum und Vergesellschaftung. Das Land hat einen merkwürdigen Namen: "Mietshäuser Syndikat". Gut 20 Jahre hat Haselberger dort gewohnt, heute berät sie Menschen, die auch so leben möchten. Nicht im klassischen Wohneigentum, aber auch nicht vergesellschaftet, und das alles zu dauerhaft günstigen Mieten. Ein Traumland?

Es war Ende der 90er-Jahre, da suchte Haselberger, gerade fertig mit dem Architekturstudium, in Freiburg nach einer Wohngemeinschaft. Sie zog in ein alternatives Projekt in alten Kasernengebäuden. Haselberger wünschte sich, die Konventionen einer Kleinfamilie zu überwinden. Es war dann auch immer jemand da für ihre Tochter, wenn die Mama mal wegmusste. Haselberger lebte in einem der ersten Syndikatshäuser.

Inzwischen ist die Tochter erwachsen, die Mutter 50 Jahre alt und gerade ausgezogen, wegen einer unerwarteten familiären Konstellation. Weiterhin aber engagiert sich die Architektin als Beraterin im Syndikat. Sie kam 2006 zu diesem Job, damals, als der damalige Freiburger Oberbürgermeister Dieter Salomon von den Grünen die städtische Wohnbaugesellschaft verkaufen wollte. Das löste großen Protest aus, und Haselberger engagierte sich im neu gegründeten Bauverein "Wem gehört die Stadt?". Ein Bürgerentscheid vereitelte den Verkauf.

Es war dies auch die Zeit, als sich das Syndikats-Modell bundesweit verbreitete, inzwischen gibt es 141 Projekte, jeweils um die 20 davon in Berlin und Freiburg. Dahinter steht die Idee, dass niemand am Wohnen verdienen soll, kein Investor, keine Verwaltung. Die Bewohner eines Hauses regeln ihr Zusammenleben autonom, sind aber Teil eines bundesweiten Solidaritätsnetzwerks. Und das geht, vereinfacht gesagt, so: Eine Mieter-Gruppe tut sich zusammen und kauft oder baut ein Haus. Dessen Eigentümer ist eine GmbH mit zwei Gesellschaftern: Ein Verein, dem die Bewohner angehören, und das Syndikat. Im Gesellschaftervertrag ist festgeschrieben, dass die Bewohner den Alltag regeln, von der Miethöhe bis zur Fassadenfarbe. Einem Verkauf des Hauses aber müssten beide Gesellschafter zustimmen. Mit ihrem Vetorecht kann das Syndikat also verhindern, dass die Immobilie auf den Markt kommt und die Mieten steigen. Das Haus wird nicht als Ware gehandelt: So formulieren sie es im Syndikat, und man merkt, dass die Idee im linken Spektrum der 80er-Jahre entstanden ist.

Konsens zu finden ist mühsam: "Manche wollen ihre Ideen durchdrücken."

Haselberger begleitet seit Jahren Syndikatsprojekte, bundesweit gibt es etwa 60 Berater wie sie. Weil die Nachfrage immer größer wird, hat sich daraus ein bezahlter Job für sie entwickelt. Sie betreut eine Wohngruppe, vom Zusammenfinden bis zum Einzug und oft noch danach, das dauert vier, fünf Jahre, man trifft sich einmal pro Monat oder öfter. Wie kriegen wir das Geld zusammen, wie funktioniert das mit den Direktkrediten? Das, erzählt Haselberger, seien die häufigsten Fragen einer neuen Gruppe. Sie mache den Leuten dann Mut: Die Erfahrung lehre, dass es leichter sei als erwartet. Über Direktkredite von Privatpersonen sammeln die Bewohner das nötige Eigenkapital, um bei den Banken "normale" Kredite zu bekommen. Obwohl für die privaten Finanziers, die mal 1000, mal 100 000 Euro geben, ein Risiko besteht, weil ihre Kredite als nachrangig gelten und sie bei einer Pleite womöglich leer ausgehen, fänden sich meist genügend Unterstützer.

Das in der Häuserkampfzeit geborene Syndikat ist inzwischen auch für die bürgerliche Mitte interessant. Haselberger erzählt gerne die Geschichte einer Versammlung, als sich zwei neue Projekte erfolgreich um Aufnahme ins Netzwerk bewarben. Zuerst sei da eine Gruppe von Punkern auf die Bühne gekommen, die in Ostdeutschland ein altes Gebäude herrichten wollten. Direkt danach traten einige Frauen aus Konstanz nach vorne, 50 plus und sehr bürgerlich, sie wohnen inzwischen in einem Neubau zusammen.

Aus eigener Erfahrung weiß Haselberger, dass das Zusammenleben mühsam sein kann, denn Konsens ist das Ziel im Syndikat: "Manche versuchen, ihre Ideen durchzudrücken." Irgendwann habe sie gemerkt, dass so eine Bewohnergruppe funktioniere wie die Politik: Man müsse Unterstützer für seine Idee finden und Allianzen bilden. Natürlich, das koste mitunter Nerven. Sie zum Beispiel hätte auf dem Kasernengelände gerne eine freie Fläche bebaut, um barrierefreie Wohnungen zu schaffen, auch welche für Flüchtlinge. Allein, es gibt diesen Neubau auch Jahre später nicht, die Widerstände seien zu groß innerhalb der Gruppe.

Helma Haselberger will bald wieder zurück in ein Syndikatshaus ziehen, eines, das es erst als Idee gibt. Gleich beim Hauptbahnhof wollen sie neu bauen, auf dem Grundstück des "Crash". So heißt ein Freiburger Punkrock-Keller, er ist legendär, und den wollen Haselberger und Co retten. Damit wäre das Syndikat wieder bei den Wurzeln angekommen, im ganz linken Freiburg.

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