Zuwachs bei den Grünen:"Wir müssen uns noch sehr anstrengen"

Grünen Bundesdelegiertenkonferenz

Michael Kellner, 41, geboren im thüringischen Gera, ist seit 2013 politischer Bundesgeschäftsführer der Grünen. Der Posten entspricht in den meisten anderen Parteien dem Amt eines Generalsekretärs.

(Foto: picture alliance / Rainer Jensen)

Die Grünen verzeichnen einen neuen Mitgliederrekord. Geschäftsführer Kellner über die Gefahr, sich zu überschätzen - und warum das Image der Verbotspartei für die Grünen nicht falsch ist.

Interview von Constanze von Bullion, Berlin

Ihre Parteivorsitzenden gelten als hip, in Umfragen nähern die Grünen sich der 20-Prozent-Marke. Aber kann diese Entwicklung so weitergehen? Bundesgeschäftsführer Michael Kellner über eine wachsende Partei und die Sache mit dem Größenwahn.

SZ: Herr Kellner, drei Wochen vor der Europawahl entschweben die Grünen ins Stimmungshoch. Wie wollen Sie verhindern, dass bald der Sinkflug folgt?

Michael Kellner: Wieso Sinkflug? Wir registrieren eine wahnsinnige Mobilisierung und einen Riesenzustrom. Mittlerweile haben wir 80 000 Mitglieder erreicht. Das ist für uns ein neuer Rekord. So viele waren wir noch nie.

Die SPD hat mehr als 430 000 Mitglieder. Dagegen ist Ihr Laden mini.

Ja. CDU und SPD haben durch ihre vielen Mitglieder einen Vorteil. Aber wir wachsen und sind agiler als beispielsweise die SPD. Dort liegt der Altersschnitt bei 60 Jahren.

Grüne Mitglieder sind im Schnitt 49 Jahre alt - auch nicht gerade jugendlich, oder?

Wir sind die jüngste Partei in Deutschland. Und wir werden durch unsere Neumitglieder jünger.

Was tun Sie gegen Selbstüberschätzung?

Wir wissen sehr genau, dass wir immer wieder um Zustimmung werben müssen. Das Parteiensystem ist total in Bewegung. Es gibt da viel zu gewinnen, aber auch viel zu verlieren. Deshalb machen wir einfach unseren Stiefel. Und das gelingt uns mit Klarheit, Leidenschaft und Bescheidenheit.

Wird Robert Habeck Bundeskanzler?

Wir konzentrieren uns jetzt voll auf die Europawahl. Da stellt sich diese Frage nicht.

Doch. Manche stellen sie neuerdings.

Wir aber nicht. Wir beschäftigen uns mit den ernsthaften Fragen der Europawahl. Also damit, wie wir Europa nach vorne bringen gegen eine große Koalition der Zögerlinge von Union und SPD. Da führen wir keine Kanzlerdebatte. Das wäre genau dieser Größenwahn, den wir vermeiden wollen.

Wie wollen die Grünen dem Image der Verbotspartei entkommen?

Wir wollen ja auch Sachen verbieten. Das ist ein Teil von Politik. Wir wollen, dass Gift in Lebensmitteln verboten ist. Wir wollen verhindern, dass Automobilkonzerne Verbraucherinnen und Verbraucher betrügen. Wir wollen kein Mikroplastik in Kosmetik. Es geht um Schutz von Gesundheit und Umwelt. Dazu gehören Ordnungspolitik und auch Verbote.

Für die Europawahl wurden den Grünen 19 Prozent vorhergesagt. Klingt, als sei da schon alles in trockenen Tüchern.

Stimmt aber nicht. Meine Sorge ist, dass alle denken: "Och, den Grünen geht's so gut. Da brauchen wir nicht zur Wahl zu gehen." Das Gegenteil ist der Fall. Europa ist angegriffen. Wir müssen uns noch sehr anstrengen, ein starkes Ergebnis zu erkämpfen.

In Ostdeutschland stehen drei Landtagswahlen an. Dort liegen die Grünen in Umfragen zwischen sieben und zwölf Prozent. Kommt im Herbst Ernüchterung?

Wir haben es in Ostdeutschland schwerer als im Westen, das ist klar. Aber wir können es auch in Ostdeutschland schaffen, weit weg zu kommen von dieser Zitterzone von fünf bis sechs Prozent.

Was kann den Grünen gefährlich werden?

Zu glauben, wir könnten uns einfach zurücklehnen, und dann wird schon alles laufen.

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