Theater:Krug und Trug

Nachdenkliche Revolutionärin:

Nachdenkliche Revolutionärin: Sabine Heckmann als Zenzl Mühsam, die Frau des Aktivisten Erich Mühsam.

(Foto: Mario Steigerwald/oh)

Ein Bierkeller ist der gesellschaftliche Kosmos, in dem Intendant Dietmar Höss sein kluges Revolutionsstück "Fanal" am Rationaltheater spielen lässt

Von Fabian Huber

Spätestens nach einer halben Stunde drückt die Holzbank aus dem 19. Jahrhundert gegen das Gesäß. Aus Lautsprechern an den Wänden knarzt es leise: "Wir sind das Volk!". Das zum Bierkeller umfunktionierte Rationaltheater ist brechend voll und brütend heiß. Die Kerzen, die so konspirativ flackern, tun dabei ihr Übriges. Zur Premiere von "Fanal" am Donnerstag sollte sich alles so anfühlen wie zu der Zeit, als Bayern - ausgerechnet Bayern - eine Revolution erlebte.

Während die Franzosen des Sturms auf die Bastille 1789 mit einem pompösen Nationalfeiertag gedenken, waren die deutsche Novemberrevolution, Kurt Eisner und die Münchner Räterepublik von 1919 hierzulande lange unter den Tisch gekehrt worden. "Wie man mit dieser Geschichte umgeht, ist grenzwertig", sagt Intendant Dietmar Höss, der das Stück geschrieben und Regie geführt hat. Deshalb also, punktgenau 100 Jahre nach der Niederschlagung der bayerischen Revolution, die Uraufführung von "Fanal".

Das Bühnenbild ist reduziert: ein Tisch, eine Kerze, eine Büste des Prinzregenten Luitpold und ein altes Radio, aus dem heraus der Amerikaner Ben Hecht (Peter Neissendorfer), damals Korrespondent des Chicago Daily Journal, in sonorem Erstaunen die anfängliche Gewaltlosigkeit des sozialistischen Aufstandes kommentiert: "Bis jetzt war die Revolution friedlicher verlaufen als ein Independence Day."

Das eigentliche Stück aber spielt zwischen den engen Tischreihen eines Bierkellers, mitten unter den Bürgern sozusagen. Bedienung Leni (energisch: Tatjana Kuplewatzki) wuselt zwischen den Stühlen umher, schenkt aus, knallt Krüge auf Tische und berichtet - einer bayerischen Jeanne d'Arc gleich - begeistert vom Sturz der bayerischen Monarchie. München, so schwärmt Leni, sei eine "Stadt der Träume".

Der Wirt (Wolfgang Ullrich) hat für solche Revoluzzer-Utopien wenig übrig. Jodelnd, schuhplattelnd und "den Saujuden" Eisner verfluchend, symbolisiert er eine breite Gesellschaftsschicht, die sich in einem vom Ersten Weltkrieg noch paralysierten Deutschland zu Nationalismus und Antisemitismus hingezogen fühlte. Der Hitler-Faschismus kündigte sich schon an.

Den durchaus schweren, historischen Stoff entstaubt Höss mit einer lebendigen Inszenierung, in der sich die Gegensätze der Räterepublik spiegeln: Die der Bürger und auch die der Revolutionäre. Der aufwieglerischen Begeisterung Lenis setzt Sabine Heckmann als Zenzl Mühsam, Frau des politischen Aktivisten Erich Mühsam, ihre nachdenklichen, fast schon fatalistischen Klagen über die Zustände der Zeit entgegen. Die Räte sitzen mitten unter den Zuschauern und streiten über den wahren Kern einer Revolution. Auf der einen Seite die idealistischen Pazifisten der ersten Räterepublik: die Frauenrechtlerin Anita Augspurg (Lila Schulz), der bedächtige Ernst Toller (Vanessa Wallhöfer) und der Prügelstrafen-Gegner Gustav Landauer (Wolforreal). Auf der anderen Seite Max Levien, herrlich süffisant und arrogant gespielt von Jurij Diez. Die "boarische Revolution" sei nichts mehr als eine Künstlerclique, ätzt er. Nicht proletarisch, nicht gewaltbereit, nicht revolutionär. Aber: "Wie macht man Eierkuchen, ohne Eier zu zerschlagen?"

Am Ende wird die Münchner Räterepublik scheitern: Die bayerische und Berliner SPD-Regierung, unterstützt von Reichswehr- und Freikorps-Truppen erobert die Stadt zurück. Es gibt 1000 Tote. Die junge Erzählerin Fiona Bumann, weiß und blütenrein wie ein Engel, steigt aus einem Fenster. Hinter ihr rinnt Blut die Wand hinunter. "Hören Sie niemals auf zu träumen!", appelliert sie. Hier schimmert Höss' Aufruf zum friedlichen Widerstand gegen den grassierenden Populismus am stärksten durch. "Es lebe die Revolution!", ruft Kellnerin Leni wenig später in den mittlerweile fast stockdunklen Bierkeller. Die Kerzen hat sie alle ausgepustet. Der Wirt greift sich einen Bierkrug und schlägt sie tot.

"Fanal", Rationaltheater, Hesseloherstraße 18, weitere Vorstellungen: 5., 21., 22., 23. und 24. Mai. Einlass 19 Uhr, Beginn 20 Uhr. Karten unter ticket@rationaltheater.de

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