Das Wort "Rasse":Ein Zentrum für Respekt

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Ali Can kam einst als kurdisches Flüchtlingskind mit seinen Eltern nach Deutschland. Warum er heute täglich mit besorgten Bürgern telefoniert - und warum er neuerdings Unterstützer sucht, um Artikel 3 des Grundgesetzes zu verändern.

Von Deniz Aykanat

Ali Can will sich das Grundgesetz vorknöpfen. Genauer gesagt Artikel 3. Eigentlich habe er es immer "hochgehalten", sagt er. In Integrationskursen, die er für Flüchtlinge gibt, lobt er das Grundgesetz in den höchsten Tönen. Eine ganze Kampagne, die er im Sommer 2018 auf Twitter initiierte, basiert auf dem Diskriminierungsverbot des Grundgesetzes, wie es in Artikel 3 festgehalten ist: Mit dem Hashtag "MeTwo" forderte er die Menschen dazu auf, ihre Erfahrungen mit Rassismus im Alltag und Benachteiligung aufgrund ihrer Herkunft zu teilen. Angelehnt an die MeToo-Bewegung, die das Ausmaß an sexueller Gewalt und Sexismus zeigte.

"Two" steht für die zwei Identitäten, die Can als Deutscher mit Wurzeln in der Türkei in sich vereint - so wie viele Deutsche mit Migrationshintergrund mehrere Kulturen in sich tragen. Tausende berichteten (und berichten noch heute), wie sie wegen ihrer ausländischen Namen trotz guter Schulnoten nur eine Empfehlung für die Hauptschule bekamen oder wegen ihrer Hautfarbe bei der Vergabe von Wohnungen das Nachsehen hatten.

Aber eine Sache in Artikel 3 des Grundgesetzes, ein Wort um genau zu sein, stört ihn gewaltig: "Das Wort Rasse muss da raus!" Der 25 Jahre alte Aktivist Ali Can ist in Deutschland eigentlich besser bekannt unter der Bezeichnung "Asylbewerber ihres Vertrauens". In dieser Funktion startete er 2016, auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise, die "Hotline für besorgte Bürger".

Das klang auf den ersten Blick wie Hohn, verteidigten Pegida- und AfD-Anhänger doch ihre oftmals rassistischen und demokratiefeindlichen Forderungen mantramäßig als bloße Sorgen braver Bürger, für die sie gleich in die rechte Ecke gestellt würden. Can aber meinte es ernst mit der Hotline. Und er meint es nun auch ernst mit Artikel 3.

Can kam als Zweijähriger 1995 mit seinen Eltern aus der Türkei nach Deutschland, sie ersuchten hier Asyl. Als Kurden alevitischen Glaubens wurden sie dort verfolgt. Heute studiert er in Gießen Lehramt und engagiert sich schon seit einiger Zeit politisch. Als die Stimmung gegenüber Flüchtlingen immer feindseliger wurde, AfD und Pegida immer mehr Zulauf bekamen, startete er das Bürgertelefon, um mit eben diesen besorgten Bürgern ins Gespräch zu kommen.

Danach wandte er sich der anderen Seite zu und initiierte MeTwo. "Bei der Hotline ging es mir darum, das Feld nicht den Radikalen zu überlassen. Bei MeTwo wollte ich die Betroffenen zu Wort kommen lassen", erklärt Can die Kampagnen. Nun will er beides verbinden - diesmal in der analogen Welt. Ab Herbst soll es im von ihm in Essen gegründeten "VielRespektZentrum" einen Begegnungsort für besorgte Bürger und Menschen mit Migrationshintergrund geben.

Denn - so die Erkenntnis Cans aus seinen beiden Projekten: "Reden am Telefon und twittern hilft. Aber man braucht auch die Begegnung im Alltag." Und Ali Can selbst? Der steht zwischen allen Stühlen und fühlt sich wohl in dieser Rolle - obwohl es manchmal schwierig ist. "Als ich die Hotline für besorgte Bürger ins Leben rief, wurde ich von Linken beschimpft, dass ich Rechtsradikalen eine Plattform bieten würde. Bei MeTwo warfen mir Rechte vor, ich würde unser Land schlecht machen." Can kann es nie allen rechtmachen, aber das ist auch gar nicht sein Ziel: "Ich bin vor allem der, der die Fragen stellt und zuhört."

Aber er ist dann doch auch der, der den Finger immer wieder in die Wunde legt. Wie jetzt mit der Rasse und Artikel 3: "Wir müssen eine Mehrheit finden, um dieses Wort zu streichen", sagt er. Politiker aller Parteien habe er schon darauf angesprochen, selbst AfDler hätten ihm zugestimmt.

Wenn er in seinen Kursen für Flüchtlinge Artikel 3 zitiert, dann lässt er das Wort Rasse immer weg. Er will es nicht in den Mund nehmen, sagt Can: "Es gibt beim Menschen keine Rassen." Dass gerade in dem Artikel des Grundgesetzes, der die Diskriminierung eines Menschen aufgrund seiner Herkunft verbietet, von Rasse die Rede ist, bringt Can hörbar in Wallung: "Es ist mir egal, wie das gemeint ist!", ist seine Antwort auf das Argument, dass der Begriff doch als Antwort auf den Rassismus des Nazi-Regimes zu verstehen ist. "Dass dieses Wort im Grundgesetz steht, erweckt aber den Eindruck, es wäre legitim, über Rassen beim Menschen zu sprechen."

Deshalb hat Can die Initiative "Endlich vorbei" gegründet. Das Wort Rasse im Grundgesetz soll Geschichte sein. "Wenn man Rasse aus Artikel 3 einfach löscht, fehlt nichts. Man könnte es höchstens durch 'sexuelle Orientierung' ersetzen", sagt Can.

Die Hürden sind natürlich hoch, eine Zweidrittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat wären dazu nötig. Es gibt eine Petition, für August plant Can außerdem eine größere Veranstaltung. Er sagt: "Bis dahin, will ich so viele Menschen wie möglich mobilisieren." Und damit kennt sich Can schließlich aus. Selbst 2018, zwei Jahre nach dem Start der Hotline für besorgte Bürger, riefen noch 300 Menschen an.

Und auch mit MeTwo hat Can einen Nerv getroffen: Der Hashtag ist mittlerweile zu einer Chiffre für die Diskriminierung von Menschen mit Migrationshintergrund geworden.

© SZ vom 04.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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