Biodiversität:Was dieser Vogel die Menschheit lehrt

Riesenalk-Präparate in der Zoologischen Staatsammlung in München, 2013

Nur noch im Museum: Riesenalk-Präparate in der Zoologischen Staatssammlung in München.

(Foto: Catherina Hess)

Es braucht auch im Artenschutz einen Vertrag wie das Pariser Klimaabkommen. Zeit, dass wir unser Leben von Grund auf ändern.

Kommentar von Michael Bauchmüller

Den Riesenalk gibt es bloß noch in der Vitrine. Der pinguinähnliche Vogel, der einst die Arktis bewohnte, hatte einfach Pech: Er war zu nützlich. Seine Daunen waren begehrt, sein Fett brannte in Öllampen. Die letzten seiner Art waren bei Sammlern schließlich so begehrt, dass ausgestopfte Exemplare ordentlich Geld brachten. Eine bittere Ironie der Geschichte: Am Ende wurde dem Riesenalk seine Seltenheit zum Verhängnis - aus menschlicher Gier.

Diesen Montag werden die Alarmglocken schrillen. Dann legt der Weltrat zur Artenvielfalt offiziell seine Bestandsaufnahme vor. Nach Lage der Dinge werden die Wissenschaftler ein katastrophales Bild zeichnen - ein Spiegelbild von Gier und ungezügeltem Fortschritt; die Quittung für eine Wirtschaft, die vor lauter globalem Wettbewerb vergessen hat, dass natürliche Ressourcen ihre Grenzen haben.

Nicht überall treten die Zusammenhänge so klar zutage wie beim Riesenalk. Das Schema aber findet sich überall - egal, ob es um Bergbau in Afrika, um Palmölplantagen in Südostasien, um Regenwälder in Südamerika oder intensive Landwirtschaft in Europa geht. Wo die Rendite lockt und die Konkurrenz drückt, fallen die Standards über Bord. Da ist für den Schutz von Arten nicht viel Platz.

Es braucht einen globalen Schutzvertrag nach dem Vorbild des Pariser Klimaabkommens

Das liegt weniger an bösen Unternehmen als an den Bedürfnissen und Möglichkeiten im globalen Markt. Denn die Bedürfnisse wachsen, der Planet jedoch nicht. Der globale Fleischkonsum etwa wächst von Jahr zu Jahr. Wer aber heute ein Rindersteak kauft, importiert oft auch ein Stückchen Südamerika: Denn für das viele Vieh reicht die Weide- und Ackerfläche Europas nicht mehr, doch am globalen Markt ist das kein Problem. Das Soja fürs Kraftfutter kommt mit dem Schiff; allein seit 1990 hat sich die globale Soja-Produktion mehr als verdreifacht. Das heizt den Flächenfraß an, es wachsen weltweit Äcker, Plantagen, Städte. Die Natur ist auf dem Rückzug.

Vieles in deutschen Einkaufswagen hat solche Rückwirkungen am anderen Ende der Welt. Das Palmöl in Kosmetika und Lebensmitteln hinterlässt seine Spuren in Indonesien, die seltenen Erden in Elektronikartikeln wiederum hinterlassen ihre in Afrika. Der Fisch kommt nicht selten aus dezimierten Beständen, und neben Schleppnetzen bekommt er es zunehmend auch mit Plastik zu tun. Die Menschheit wirtschaftet sich zunehmend an den Rand des Abgrundes. Und nach dem Report wird auch keiner mehr behaupten können, er habe das nicht gewusst.

Neu sind die Zusammenhänge ohnehin nicht, die Klimakrise folgt derselben Logik. Doch während diese Krise mittlerweile den meisten geläufig ist, sterben die Arten still und leise. Als der Riesenalk verschwand, war das für den Rest der Welt auch nicht wahrnehmbar. Nur gehört jedes Tier, jede Pflanze zu einem System. Fallen sie weg, hat das Folgen auch für den Rest des Systems. Mit der Biodiversität ist es wie mit einem Netz unter Spannung: Erst werden die Löcher größer. Und irgendwann reißt das Netz.

Eine Entlastung ist noch schwieriger als in der Klimapolitik, weil Ursache und Wirkung nicht so eng zusammenhängen. Es geht hier nicht um eine Reihe von Treibhausgasen und ihre katastrophalen Folgen, sondern um viele kleine Wirkungsketten. Zutage treten sie oft erst, wenn es zu spät ist; nicht selten gibt es auch eine direkte Verbindung zum Klimawandel.

Die Lösungen sind so komplex wie das Problem

Anders als das Klima lässt sich die Biodiversität aber nicht mit technischen Veränderungen schützen, mit anderer Energieerzeugung oder Mobilität: Die Lösungen sind so komplex wie das Problem selbst; deshalb sind sie auch für die Politik so wenig attraktiv. Wer an die Ursachen von Flächenfraß, Naturzerstörung und Artenschwund heranwill, muss sich mit Handelsströmen, Konsummustern oder schädlichen Subventionen befassen. Das ist unbequem, aber nicht unmöglich.

Es würde etwa verlangen, den Schutz von Umwelt und Natur auch in Handelsabkommen zu verankern, um den globalen Unterbietungswettbewerb einzuhegen. An den Finanzmärkten müssten Investments vermehrt darauf überprüft werden, welche Wirkungen sie auf die Natur und Artenvielfalt haben - wie es in Sachen Klimaschutz gerade Schule macht. Es braucht auch im Artenschutz einen globalen Schutzvertrag wie das Pariser Klimaabkommen - mit der verbindlichen Abmachung, deutlich mehr Flächen weltweit unter Schutz zu stellen. Und das hieße zwingend, die europäische Agrarpolitik nicht länger auf Masse zu trimmen, sondern auf Nachhaltigkeit. Bei derzeit 60 Milliarden Euro Subventionen jährlich würde das eine Menge bewegen. Und ja: Auch die Zeiten billigen Fleischs müssen enden.

Den Riesenalk macht all das nicht mehr lebendig. Er steht, neben einem nicht mehr ausgebrüteten Ei, ausgestopft in einem Glaskasten des Berliner Naturkundemuseums. Welche Laute er von sich gab, wie er tauchte, wie er seine Küken nährte: Keiner wird es mehr erfahren können. Er ist ein Mahnmal.

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