Enteignungen:Wenn die Bagger kommen

RWE-Power

Wo Kohle gefördert wird, muss Privateigentum meist zurückstehen.

(Foto: Federico Gambarini/dpa)

Dass der Staat privates Eigentum einzieht, geschieht immer wieder - auch in der Verantwortung eines CSU-Ministers.

Von Julian Erbersdobler, Berlin

Mit seinen Sozialismus-Thesen hat der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert für großen Wirbel gesorgt. Besonders heftig widersprach Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU). "Das ist ein verschrobenes Retro-Weltbild eines Fantasten, der irgendwie mit dem System hier nicht zufrieden ist", sagte er. Dass Enteignungen in anderen Bereichen schon längst praktiziert werden, erwähnte Scheuer nicht. So laufen wegen des Baus von Autobahnen und Bundesstraßen bundesweit derzeit 65 Enteignungsverfahren gegen Grundstücks- und Hausbesitzer. Das geht aus einer Antwort des Verkehrsministeriums hervor. Angefragt hatte Sven-Christian Kindler, haushaltspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion der Grünen.

Das Reizwort Enteignung fällt auch beim umstrittenen Bau der A 94 im oberbayerischen Isental immer wieder. Die Bundesautobahn soll München mit Passau verbinden - und noch in diesem Herbst fertig werden. Gegner des Projekts gab es von Anfang an. Der Pfarrer Josef Kriechbaumer weigerte sich beispielsweise, kirchlichen Grund für den Bau der A 94 zu verkaufen. Die Autobahndirektion Südbayern hatte ihm schon 2010 mitgeteilt, dass sie gern drei Grundstücke kaufen würde. Insgesamt ging es um knapp 5000 Quadratmeter große Ackerflächen, die Bauern von der Kirche gepachtet hatten. Zwei davon waren nur als Ausgleichsfläche vorgesehen, die bei Bauvorhaben in schützenswerten Gebieten an anderer Stelle dauerhaft überlassen werden müssen. Der Widerstand des Pfarrers brachte nichts: Anfang März bekam er Post von der Autobahndirektion Südbayern, dass seiner Pfarrkirchenstiftung das Eigentum entzogen werde. Auf dem mit rund 4200 Quadratmetern größten Grundstück entsteht nun die Autobahnausfahrt Lengdorf.

Aber wann darf überhaupt enteignet werden? In Artikel 14 des Grundgesetzes steht: "Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen." Allerdings erlaubt dieser Artikel Enteignungen nur, wenn beispielsweise Straßen, Stromleitungen oder Bahntrassen gebaut werden sollen, und die Grundstückseigentümer nicht verkaufen wollen. Eine Enteignung darf immer nur das letzte Mittel sein. Und: Der Staat muss die Betroffenen entschädigen.

Auch im Tagebau kommt es immer wieder zu Enteignungen. Für das Braunkohlerevier Garzweiler II in Nordrhein-Westfalen mussten mehrere Dörfer weichen. Damit setzte sich 2013 auch das Bundesverfassungsgericht auseinander. Es ging um zwei Fälle: Zum einen klagte die Umweltschutzorganisation BUND gegen die Enteignung einer Streuobstwiese, die ihr gehörte. Zum anderen ein Bürger, der ein "Recht auf Heimat" gefordert hatte. Er scheiterte, weil nach Ansicht der Richter die freie Ortswahl ihre Grenzen an den Regelungen der Bodennutzung finde, die dem Gemeinwohl dienten. Die Verfassung garantiere kein "Recht auf Heimat", hieß es. Die Enteignung des BUND-Grundstücks nannten die Richter hingegen verfassungswidrig. Die Behörden hätten die nötige Gesamtabwägung des Tagebauprojekts unterlassen. In einer solchen Abwägung müssten auch die privaten Belange betroffener Bürger berücksichtigt und ihnen Klagemöglichkeiten eingeräumt werden. Die Organisation BUND hatte davon allerdings nicht mehr viel: Ihr Grundstück war da längst weggebaggert.

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