Entlassungen in Prag:"Wir leben in einem tragischen Land"

Entlassungen in Prag: Die Schriftstellerin Radka Denemarková (Archivbild) und der Direktor der Nationalgalerie Prag, Jiří Fajt

Die Schriftstellerin Radka Denemarková (Archivbild) und der Direktor der Nationalgalerie Prag, Jiří Fajt

(Foto: Imago/AP)

Der langjährige Direktor der tschechischen Nationalgalerie ist entlassen worden. Die Schriftstellerin Radka Denemarková spricht über den kulturpolitischen Skandal.

Interview von Alex Rühle

Der tschechische Kultusminister Antonín Staněk hat dem Direktor der Nationalgalerie Prag, Jiří Fajt, und dem Leiter des Museums der Kunst in Olomouc, Michal Soukup, gekündigt. Für die tschechische Schriftstellerin Radka Denemarková ist dies nicht nur ein kulturpolitischer Skandal. In einem E-Mail-Interview beschreibt sie den Fall als ein Symptom für das "Bazillus des Ostens".

SZ: Was genau ist passiert?

Radka Denemarková: Es kam so überraschend, dass ich überzeugt bin, dass es sich um einen politisch motivierten Personalwechsel handelt. Alle kritisieren insbesondere die Form der Abberufung von Jiří Fajt. Die Begründung, die der Kulturminister Antonín Staněk für diesen Schritt geliefert hat, ist mehr als fadenscheinig.

Inwiefern?

Der Minister erklärte, Fajt und Soukup hätten sein Vertrauen verloren, weil "Finanzkontrollen in beiden Häusern Zweifel an der Fähigkeit der beiden Direktoren hervorgerufen hätten, die Nationalgalerie und das Museum wirtschaftlich zu leiten". Das entspricht nicht der Wahrheit. Beide haben hervorragende Arbeit geleistet. Der Minister möchte nur von Andrej Babiš' Skandal um das "Storchennest" ablenken.

Ein Skandal um den tschechischen Ministerpräsidenten?

Babiš ist ja Milliardär, ihm wird Subventionsbetrug beim Bau eines Luxushotels vorgeworfen. Er hatte das Storchennest 2007 an Familienmitglieder übertragen und so EU-Subventionen für kleine und mittelständische Unternehmen in Millionenhöhe erhalten.

Was hat das mit der Abberufung der Direktoren zu tun?

Staněk bemüht sich um die Gunst des Ministerpräsidenten. Der hat wiederum einen wichtigen Verbündeten im populistischen, intellektuellenfeindlichen Präsidenten Miloš Zeman. Fajt hat ihn immer wieder kritisiert - wegen seines Antiislamismus genauso wie wegen seiner Hetze gegen die EU.

Eine Petition fordert nun den Rücktritt des Kulturministers. Wie viele Menschen haben sie unterzeichnet?

5000 Menschen innerhalb von zwei Tagen. Inzwischen haben auch viele internationale Museumsdirektoren eine Protestnote gegen Fajts Abberufung unterzeichnet, darunter Bernard Blistène, Direktor des Centre Pompidou, Maria Balshaw von der Tate Britain in London, Max Hollein vom Metropolitan Museum of Art in New York.

"Auf kulturelle Schlüsselpositionen werden politisch loyale Leute gehievt"

Jiri Fajt

Jiří Fajt, hier als Direktor der Nationalgalerie Prag, wurde inzwischen entlassen. Konnte er nicht wirtschaften? Oder kritisierte er die Falschen?

(Foto: picture alliance/dpa)

Umstrittene Abberufungen von Museumsdirektoren gab es aber schon früher.

Es ist kein Sonderfall, aber es geschieht zum ersten Mal in dieser Skrupellosigkeit. Zeman verweigert Fajt bis heute die formelle Verleihung seines rechtlich korrekt erworbenen Professorentitels. Die Prager Karls-Universität hat deshalb gegen den Präsidenten geklagt. Der Kulturminister hat auch die Subventionen der unabhängigen Literaturzeitschriften gestrichen. Voriges Jahr wurde kein Staatspreis für die Literatur verliehen, die Jury hatte den Mut, sich zu weigern und öffentlich zu machen, dass politischer Druck ausgeübt wurde. Auf kulturelle Schlüsselpositionen werden politisch loyale Leute gehievt, wie etwa im Tschechischen Zentrum in Paris, wo der vorherige tolle Direktor, Jean-Gaspard Páleníček, abberufen wurde.

Wie gut kennen Sie den Kulturminister?

Ich habe an der Pressereise vor der Leipziger Buchmesse teilgenommen, auf der Tschechien das Gastland war, und war ein wenig erstaunt, als der tschechische Kultusminister auf die Frage, was sein Lieblingsbuch sei, kein Werk nennen konnte. Staněk ist eine typische Mischung aus kommunistischer Mentalität und dem Tschechien der Gegenwart. Die einstigen "Genossen" versuchen, einen Kapitalismus "mit sozialistischem Antlitz" zu errichten: Die Auserwählten tragen ihren Sieg außer Konkurrenz davon, freien Wettbewerb gibt es nicht. Die Zeit der planmäßig gesteuerten Volksverdummung vor 1989 haben sie in Ruhe auf ihren Datschen überstanden, mit einem Glas gut gekühltem Pilsner in der Hand. Mit solchen Typen hat auch unsere Vorliebe für Präsidenten überlebt, die die Machtfülle von Monarchen innehaben. Der Bazillus des Ostens ist in uns hängen geblieben, die Angst vor ziviler Gesellschaft, die angeborene Neigung, den anderen auszunutzen. So zu tun, als wären wir nicht ein Teil von Europa, als befände sich Europa irgendwo außerhalb von uns.

Hat Babiš die Kunst im Visier?

Babiš hat alles im Visier. Er war Mitarbeiter der Staatssicherheit. Und die neue Regierung regiert mithilfe der Kommunistischen Partei - die sich nicht verändert hat. Babiš versprach, das Land wie ein Unternehmen zu führen und wettert gegen etablierte Politiker, die Medien und die EU, er ist ein Meister des neoliberalen Populismus. Trotz allem blieb er lange der beliebteste Politiker des Landes. Das könnte sich nun ändern, und er wird härter. Wir leben in einem tragischen Land, in dem sich die Menschen nach Vergessen sehnen und in ihrer Sehnsucht von der zeitgenössischen kommerziellen Kunst unterstützt werden.

Wie meinen Sie das?

Die Selbstzensur ist sehr gefährlich. Es fehlt in Osteuropa die mutige Literatur. Seit Jahrzehnten leben wir mit gefälschter Geschichte. Es werden immer wieder die "gleichen" Erinnerungen hervorgeholt.

Gerade die Buchmesse in Leipzig zeigte aber: Es gibt junge Verlage, interessante Neuerscheinungen, eine blühende Literaturlandschaft. Ein falscher Eindruck?

Ja, die kleinen Verlage sind tapfer. Aber Babiš hat die zwei größten Zeitungen, Lidové noviny und Mladá fronta , gekauft und bemüht sich darum, auch das Fernsehen und den Rundfunk zu beherrschen. Es existieren fast keine freien Medien.

Haben Sie Angst - zum Beispiel vor weiteren Kündigungen?

Oh ja. Wir verlieren die Demokratie Zentimeter für Zentimeter. Aber die Gesellschaft muss bunt sein. Dann kann sie mit dem System kämpfen. Macht möchte Angst verbreiten, damit keiner etwas alleine und unabhängig unternimmt. Sie möchte das Gefühl vermitteln, dass der Einzelne nur ein winziges Teilchen in einer Mega-Maschinerie ist.

Sie sprachen vom "Bazillus des Ostens". Was meinen Sie damit?

Seit drei Jahren habe ich das Gefühl, dass manche wieder die Mauer zwischen Ost und West errichten möchten. Es gibt noch immer eine mentale Grenze, und sie verläuft auch durch Deutschland. In Tschechien gibt es kaum Flüchtlinge. Doch wenn in Dresden Pegida-Demonstrationen gegen Ausländer abgehalten wurden, waren viele Tschechen dabei. Das Modell von Viktor Orbán in Ungarn, "wir gegen die anderen", haben die übrigen Visegrád-Staaten übernommen. Dazu den nationalen Chauvinismus. Isolation. Alle wollen einen starken Führer. Einen starken Orbán oder in Tschechien einen reichen Babiš oder einen polnischen Kaczyński. Das ist der "Bazillus des Ostens", der im Körper vieler Menschen wütet. Zu schnell wird vergessen, dass die vor drei Jahrzehnten schwer erkämpfte Freiheit keineswegs selbstverständlich ist.

Sie machen einem nicht viel Hoffnung für die Europawahl.

Wir erleben eine Zeit des ökonomischen Pragmatismus, der die Demokratie gering schätzt und auf das Geschäft reduziert. Viele resignieren in Osteuropa, weil die Freiheit nicht ganz so ist, wie sie sich das vorgestellt haben und eine Haltung von ihnen verlangt. Osteuropa hat vom Westen vor allem das Konsumverhalten und den Neo-Liberalismus übernommen. Demokratie braucht andere Werte.

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