Nicola Beer:Hinfallen. Aufstehen. Krone richten. Weitermachen.

Nicola Beer auf dem FDP-Bundesparteitag 2019 in Berlin

Nicola Beer beim FDP-Bundesparteitag Ende April.

(Foto: dpa)
  • Nicola Beer wurde bei der Wahl zur stellvertretenden Parteichefin der Liberalen mit einem Wahlergebnis von 58,5 Prozent regelrecht abgestraft.
  • Die Kandidatur für das Vize-Amt wurde in der Partei vor allem als egoistischer Kampf von Beer wahrgenommen.
  • Tatsächlich aber gibt es inzwischen in der Partei mehrere Versionen, wie es zu dieser Entwicklung kam - und dass dabei auch der Parteichef eine Rolle gespielt haben dürfte

Von Stefan Braun, Berlin

Das Gebäude hinter der früheren Handwerkskammer von Bielefeld ist gar nicht schlecht, um neu anzufangen. Riesige Fenster und lichtdurchflutete Großraumetagen, dazu rustikale Holztische und moderne Bürostühle, schwarze Mehrfach-Steckdosen, die von der Decke baumeln; außerdem mächtige Kühlschränke und Espresso-Maschinen, die schnellen Zugang zu Essen und Koffein sicherstellen. Viel Platz und hippes Flair, um aus jungen Leuten Digital-Unternehmer zu machen. Alle lächeln, alles easy.

Founders Foundation heißt der Ort, an dem auch an diesem Donnerstagmorgen mehrere Dutzend Frauen und Männer um die dreißig in Jeans und T-Shirts am Projekt Ich-bau-mir-mein-Start-up sitzen. Ein örtlicher Mäzen hat das Gebäude gestellt; die Mohn-Familie von Bertelsmann hat gut 15 Millionen Euro Startkapital dazugegeben. Und Sebastian Borek, der Geschäftsführer, nennt das alles bei seiner Rundtour für die FDP-Spitzenkandidatin Nicola Beer in bestem neudeutsch ein "Start Up Ecosystem", das man hier entworfen habe.

Borek redet gerne und sehr geschmeidig über seine Initiative. Er will ja auch eine große Brücke schlagen. In Bielefeld soll er alte Industriebetriebe und neue Digitalwirtschaft, also sehr unterschiedliche Kulturen zusammenbringen. Er erzählt nicht nur von den neuesten Ideen, die hier blühen sollen. Immer wieder spricht er vor allem von einem Grundprinzip, das sich in Deutschland endlich durchsetzen müsse: Das Prinzip, dass man auch mal scheitern dürfe.

Sich mal ganz und gar unter seinesgleichen zu fühlen

Start-ups begreife er nicht als fertige Unternehmen, sondern als Experimente. Und die müssten die Freiheit haben, auch was in den Sand zu setzen. "Das hier alles geht nicht, wenn ein gescheitertes Start-up gleichgesetzt wird mit einer grundsätzlichen Unfähigkeit, ein Unternehmen zu gründen", so Borek. Gerade gescheiterte Start-ups seien eine Stütze für alle anderen, weil man aus Fehlern viel lernen könne.

Nun ist Nicola Beer kein Start-up, und komplett gescheitert ist sie auch nicht. Trotzdem dürfte ihr Boreks Botschaft guttun. Wenige Tage nach einem FDP-Parteitag, der ausgerechnet seine EU-Spitzenkandidatin mit einem desaströsen Wahlergebnis in die heiße Phase des Wahlkampfs schickte, merkt man der nach außen sonst so gepanzerten Ex-Generalsekretärin an, dass die Ereignisse an ihr nagen. Da kann es sehr helfen, sich mal ganz und gar unter seinesgleichen zu fühlen.

Beer lobt in Bielefeld denn auch gleich den "Spirit", der hier herrsche, wo man Kräfte "poole" und sich mit anderen "matchen" könne. Dazu nickt sie zustimmend und begeistert, als Borek gegen die fehlende Fehlerkultur wettert. Und die beiden verstehen sich noch besser, als sie gemeinsam von der Start-up-Szene in Tel Aviv schwärmen. Hier in Deutschland sei man ja noch die große Ausnahme. Aber dort, in Tel Aviv, da seien "alle so wie wir", sagt Beer und freut sich. Aus diesem Grund entfliehe sie immer wieder dorthin, wenn es ihr in Deutschland geistig zu eng werde.

Man kann bei diesen Worten durchaus spüren, wie weh ihr die miserablen 58 Prozent getan haben, mit denen sie am letzten April-Wochenende in Berlin als neu gewählte stellvertretende Liberalen-Parteivorsitzende heimgeschickt wurde. Fehlte nur noch, dass der Saal ihr hinterhergerufen hätte: Und jetzt viel Spaß noch im Wahlkampf!

Selten ist eine Spitzenkandidatin vor dem Finale eines wichtigen Wahltags von den eigenen Truppen derart schlecht behandelt worden. Beer sagt in Bielefeld, Politik sei nun mal kein Geschäft, wo einem die Menschen "aus Dankbarkeit auf die Schulter klopfen". Deshalb gelte für sie halt jetzt auch: "Schütteln und volle Kraft voraus."

Lindner soll Kopplung von Kandidatur und Partei-Spitzenamt unterstützt haben

Das mit der Kraft lässt sich durchaus wörtlich nehmen. Beer ist, zumindest was die Farben angeht, auch in Bielefeld und überhaupt in diesem Wahlkampf sehr kräftig im Auftritt. Abwechselnd knall blau, knall orange oder knall pink kämpft sie um ihre Wähler.

Ob das ihr aber die Flügel verleiht, die sie jetzt benötigen würde, kann niemand so recht sagen. Zumal es nicht nur das Ergebnis selbst ist, das ihr wehtut. Es ist auch sein Zustandekommen. In der öffentlichen Wahrnehmung war nur sie es, die da eine vermeintlich verrückte Idee hatte. Unmittelbar vor und während des Parteitags jedenfalls hatte sich bei den allermeisten die Erzählung durchgesetzt, Beer habe im Alleingang gehandelt und sei mit ihrem persönlichen Ehrgeiz nicht mehr zu stoppen gewesen.

Das Ergebnis: Sie allein sei es gewesen, die unbedingt das Duell mit der bisherigen Parteivize Marie-Agnes Strack-Zimmermann gesucht habe. Und weil die Düsseldorferin Strack-Zimmermann zur Befriedung der Lage freiwillig verzichtete, wurde sie gefeiert, während Beer abgewatscht wurde.

Ob das wirklich die ganze Geschichte gewesen ist? Wer genau hinhört, kann da jedenfalls leise Zweifel bekommen. So kursiert mittlerweile auch die Variante, dass nicht nur Beer selbst ihre Kandidatur für den Stellvertreterinnenposten für eine gute Idee hielt, sondern - mindestens ursprünglich - auch ihr Parteichef. Als Christian Lindner vor mehr als einem Jahr zusammen mit Beer und möglicherweise auch noch dem einen oder der anderen mehr über die EU-Spitzenkandidatur nachdachte, soll nicht nur sie, sondern auch Lindner die Kopplung von Kandidatur und Partei-Spitzenamt unterstützt, wenn nicht sogar selbst ins Spiel gebracht haben. Lindner selbst mochte auf eine direkte Anfrage dazu nichts kommentieren.

Dass die Geschichte aber mehr als nur die eine Erzählung verdient haben könnte, wird durch das lange Überlegen und Zögern bei der Suche nach einer Nachfolgerin für Beer als Generalsekretärin bestätigt. Bis Lindner sich am Ende für Linda Teuteberg entschieden hatte, waren auch andere Namen im Rennen gewesen, darunter der Sozialexperte Johannes Vogel und Katja Suding, eine weitere Stellvertreterin des Parteichefs. Hätte sich Lindner für die Hamburgerin Suding entschieden, wäre für Beer ohne jeden Streit ein Platz frei geworden.

Als sich Lindner (offenbar spät) für Teuteberg entschied, gab es mit einem Mal den Konflikt mit Strack-Zimmermann. Glaubt man den Schilderungen, die jetzt zu hören sind, dann gab es keine großen Versuche der Moderation oder Schlichtung mehr. Erst recht nicht auf der offenen Bühne des Parteitags.

In Bielefeld spricht darüber offiziell natürlich niemand. Stattdessen stellen junge Leute ihre neuesten Ideen vor. Eine Frau Ende zwanzig hat ein Start-up gegründet, mit dem sie Immobilienunternehmen visualisierte Exposés von Wohnungen und Häusern anbietet; ein Kollege schildert, wie er Internet-Händlern hilft, durch Marktanalysen bessere Kreditbedingungen zu erreichen. Und eine dritte Jungunternehmerin erzählt, dass sie eine Technik und eine App entwickelt hat, mit der sich Angestellte anonym an ihr Unternehmen wenden können, wenn sie sich gemobbt fühlen.

Bislang, berichtet die junge Frau, richte sich die Idee vor allem an größere Unternehmen. Dort sei es am ehesten möglich, damit auch tatsächlich Geld zu verdienen. Aber natürlich gebe es einen entsprechenden Bedarf auch an Schulen, in Vereinen, in Kirchen.

Beer nickt während des kleinen Vortrags sehr entschieden. Sie findet die Idee nachgerade großartig, weil das Problem bis heute ein besonders verstecktes sei und noch immer nicht offen behandelt werde. Dass sie in diesem Moment auch an die eigene Partei denkt, ist zwar nicht garantiert, aber nach den jüngsten Erlebnissen auch nicht mehr ausgeschlossen.

Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels haben wir die Founders Foundation fälschlicherweise hinter der "alten Handelskammer" in Bielefeld verortet. Das Gebäude, in dessen Anbau die Start-up-Kaderschmiede sitzt, ist jedoch die "frühere Handwerkskammer".

Zur SZ-Startseite
Europafahne

Europawahl
:Was die Parteien wollen - und was sie ablehnen

Klimawandel, Flüchtlingspolitik oder der Umgang mit den Digitalkonzernen: Wer noch keine Zeit hatte, die Wahlprogramme zu lesen, findet die Antworten der Parteien auf die wichtigsten Fragen in unserem Überblick.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: