Ausverkauft oder lange Lieferzeiten:Frust beim Fahrradkauf

Nächtliche Beleuchtung Fahrradladen

Wer im Frühjahr ein aktuelles Fahrradmodell haben möchte, sollte sich am besten schon Anfang des Jahres sein Wunsch-Rad sichern.

(Foto: Photographie Peter Hinz-Rosin)

Der Markt für Fahrräder boomt, vor allem E-Bikes sind gefragt. Das spüren auch die Kunden: Viele aktuelle Modelle sind jetzt schon nicht mehr lieferbar.

Von Lea Weinmann

Das Fahrradgeschäft von Bernd Weihermann liegt in einem abgelegenen Wohngebiet in einem Ort zwischen Stuttgart und Esslingen. Kaum ein Mensch ist auf der Straße. Im Inneren des Ladens reihen sich Räder verschiedenster Größen, Farben, Formen und Preisklassen über mehrere Etagen aneinander. Es riecht nach frischem Gummi. Weihermann spricht mit einer Kundin, in tiefstem Schwäbisch. Er duzt sie, vielleicht weil er sie kennt, vielleicht weil er das mit jedem Kunden so macht. Weihermann ist Verkäufer durch und durch.

Seit 25 Jahren schon macht er das jetzt, Fahrräder verkaufen, seit einigen Jahren auch E-Bikes. Mit Erfolg: In einer halben Stunde haben gerade zwei Räder mit Elektroantrieb den Besitzer gewechselt - für hohe vierstellige Summen. Das Geschäft mit den Fahrrädern brummt. Bei Bernd Weihermann ebenso wie bei den meisten Händlern in Deutschland. Etwas mehr als vier Millionen Fahrräder wurden nach Angaben des Zweirad-Industrie-Verbands (ZIV) im vergangenen Jahr in Deutschland verkauft, etwa 980 000 davon waren Pedelecs oder E-Bikes, also Räder mit Elektroantrieb. Allein im Elektrosegment verzeichnete der Verband ein Plus von 36 Prozent gegenüber 2017. "Das E-Bike ist hauptverantwortlich für die steigenden Umsätze der Branche", erklärt der ZIV.

Doch viele Kunden machen immer wieder folgende Erfahrung: Wenn im Frühjahr die Tage länger und die Luft wärmer wird, würden sie sich vielleicht ein neues Fahrrad, immer öfter auch ein E-Bike kaufen. Doch im Laden stellen sie dann oft fest: Das Modell ist ausverkauft. Oder die Lieferzeiten sind so lange, dass die Schönwettersaison vorbei ist, bis das Rad beim Kunden ist. Warum ist das so?

Zwei Drittel aller Räder werden nach Angaben des ZIV im Fachhandel gekauft. "Die Kunden möchten den Service und auch mal Probe fahren", sagt Geschäftsführer Siegfried Neuberger. Das sei natürlich eine große Chance für die etwa 4000 Fachhändler in Deutschland. "Aber es ist auch eine Herausforderung." Neuberger beschreibt damit ein Spannungsfeld, das insbesondere den E-Bike-Markt trifft: großes Potenzial, aber auch großes Risiko. Der Markt ist jung, wächst rasch und scheint sich dabei bisweilen selbst zu überholen.

Dazu muss man wissen: Der Modellzyklus eines E-Bikes ist selten länger als ein Jahr - im Grunde ist er noch kürzer. Im Hochsommer präsentieren die Hersteller auf den Messen ihre neuen Modelle für die kommende Saison. Die Händler laufen durch die Hallen, schätzen ab, was sich gut verkaufen könnte und füllen - meist noch etwas altmodisch mit Klemmbrett und Stift - ihre Bestellorder aus.

Je nach Händlerorder bestellen die Hersteller anschließend ihre Komponenten bei den Zulieferern: Akkus, Lenker und Sättel, dazu die Aluminiumrahmen. Die allermeisten davon werden in Asien gefertigt und nach Europa verschifft. Die hier ansässigen Hersteller fügen die Komponenten im Prinzip nur noch zusammen und liefern sie zwischen Dezember und Februar, pünktlich vor Saisonstart, an die Händler aus. Die verkaufen ihre Räder dann bis zum Ende der Saison im Juni, bevor wieder neue Modelle vorgestellt werden. So weit, so gut. Nur sorgt die extreme Nachfrage dafür, dass im Handel einige Räder schon zu Beginn der Saison ausverkauft sind.

So wie bei Händler Weihermann im Schwäbischen. Auch bei ihm sind Ende März manche Modelle schon nicht mehr zu haben, insbesondere die teureren Räder und Neuheiten. "Wir haben noch nie schon im Februar so viele E-Bikes verkauft", sagt er. Doch wie kann im globalisierten 21. Jahrhundert ein Rad ausverkauft sein? Warum nicht einfach nachbestellen?

Bernd Weihermann steht zwischen den Rennrädern und E-Mountainbikes und zählt nacheinander die zahlreichen Faktoren auf, die "es schwierig machen" - und die sich mit einem Satz zusammenfassen lassen: Der Markt ist zu schnelllebig und das Portfolio zu groß für ein technisch so anspruchsvolles Produkt. Unflexibel wird es schon durch die Zulieferer: Radhersteller warten mehrere Monate auf ihre Rahmen aus Asien. Dort beginnt die Produktion erst nach Bestelleingang; der Transport per Schiff dauert mehrere Wochen.

Auch die Vorlaufzeiten der Akkulieferanten sind nach Angaben der Hersteller wesentlich länger geworden - was mit dem wachsenden Markt für Elektroautos zusammenhängt, der mit den E-Bikes um die knapper werdenden Batteriezellen konkurriert. Fehlen den Herstellern also bestimmte Komponenten, können sie sie nicht einfach mal eben nachordern.

Zugleich ist es für Händler und Hersteller unmöglich, Modelle in allen Varianten vorrätig zu halten - zu groß ist die Produktvielfalt: Allein von der Marke Kalkhoff gibt es ein E-Bike-Modell in drei verschiedenen Farben, vier verschiedenen Rahmengrößen und drei unterschiedlichen Rahmenformen. Andere Hersteller bieten ähnlich viele Kombinationen an. Je mehr Produkte, desto größer muss das Lager sein und desto mehr Kapital ist darin gebunden - gerade für kleine Anbieter eine wirtschaftlich heikle Situation.

4,18 Millionen

...Fahrräder wurden im Jahr 2018 verkauft, davon waren etwa 980 000 mit einem zusätzlichen Elektroantrieb ausgestattet. Mittlerweile, schätzt der Branchenverband ZIV, sind etwa 4,5 Millionen der elektrisch angetriebenen Räder auf Deutschlands Straßen unterwegs.

Entschließen sich die Hersteller dennoch zur Nachbestellung, kann ihnen der schnelle Markt in die Quere kommen. Denn was zur Präsentation der neuen Modelle im Sommer noch nicht verkauft ist, gilt als veraltet. "Alträder kann man an die Händler nur noch mit Abschlägen verkaufen", sagt Rainer Gerdes, Sprecher des in Oldenburg ansässigen Herstellers Cycle Union. Schließlich möchte am Ende niemand auf den teuren Velos sitzen bleiben. Gerdes sagt: "Es ist immer ein Balanceakt."

Zwar können Händler nach der ersten Bestellung in der Regel nachordern - ob die Modelle aber alle produziert werden und wann sie in die Läden kommen, ist je nach Hersteller unterschiedlich. Von "ausverkauft" will aber keiner sprechen. Man könne alle oder zumindest den überwiegenden Teil der Produkte binnen vier bis sechs Wochen liefern, heißt es von den Unternehmen Derby Cycle und Cycle Union.

Andere Hersteller weichen aus: "Wie lange ein Kunde auf sein E-Bike von Winora, Haibike oder Ghost warten muss, lässt sich pauschal nicht beantworten", teilt die Winora Group mit. Bei Stevens in Hamburg werden einige Räder nach Angaben von Hersteller und Händlern erst im Juli oder August ausgeliefert. Also dann, wenn sich die Saison quasi schon ihrem Ende zuneigt.

Am Ende haben die Händler den Ärger. Sie müssen erklären, warum das Rad nicht kommt

Keine einfache Situation für die Händler: Sie müssen den Kunden unter Umständen erklären, warum ihr Wunschmodell nicht mehr oder erst in Monaten verfügbar ist. "Für viele Kunden ist die Marke oder der Hersteller dann auch durch", sagt Udo Nitsche. Sein E-Bike-Geschäft in Stuttgart ist ein Franchisebetrieb; insgesamt 50 Shops gehören dazu. "Wir haben dadurch 50 Lager, in die wir reinschauen können." Die Franchisenehmer sind untereinander vernetzt - ein Plus, das dem zersplitterten Händlermarkt in der Breite fehlt. Doch auch Nitsche betont: "Wer auf eine sehr große Auswahl hofft, sollte schon Anfang des Jahres auf die Suche gehen."

"Ausverkaufte Modelle sind das eine", ergänzt Händler Weihermann. Ärgerlich sei aber besonders, wenn Lieferzeiten nicht eingehalten würden. Ihm wurde vom Hersteller ein hochpreisiges Bike einfach aus der Bestellung gestrichen - dabei war das Rad seit Oktober reserviert, erzählt er. So etwas macht Weihermann sauer: "Wir stehen vor dem Kunden. Es fällt am Ende immer auf uns zurück." Seiner Meinung nach müssten die Hersteller vor allem den Modellzyklus der Räder verlängern, um die Lage zu entspannen: Mehr durchlaufende Modelle statt ständig neue Räder, die nach spätestens zwölf Monaten schon wieder überholt sind. Dadurch sänke für die Hersteller das Risiko einer Überproduktion, die sie nicht mehr veräußern können.

Einige Hersteller haben das bereits erkannt: "Durch die Etablierung längerer Modell-Laufzyklen versuchen wir die Situation zu entschärfen", heißt es bei Stevens. Stellen die Zulieferer allerdings plötzlich einen neuen Antrieb, neue Motoren oder Bremsen vor, müssen doch wieder alle nachziehen. So ist der Markt.

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