Kino:Ringen ums Gleichgewicht

Stan & Ollie (c)  Aimee Spinks/SquareOne Entertainment

Die Gesichter zeigen Spuren von Alter und Müdigkeit, ihre große Zeit beim Stummfilm ist lang vorbei: Stan Laurel (Steve Coogan, links) und Oliver Hardy (John C. Reilly) touren Anfang der Fünfzigerjahre durch England – das ist das Setting des Films „Stan & Ollie“.

(Foto: Aimee Spinks/SquareOne Entertainment)

"Stan & Ollie" von Jon S. Baird ist ein Film über die späten Jahre des Komiker-Duos Laurel und Hardy - vor allem aber eine Meditation über die große Kunst des Slapsticks.

Von Fritz Göttler

Gut ankommen ist am schwersten. Zwei Herren im reifen Alter sind daran auszuchecken, ihre Koffer haben sie eine Stiege hochgewuchtet, haben die Hände noch fest an den Griffen. Wie spät ist es, fragt der eine, und der hebt den Arm, um auf seine Uhr zu schauen, aber leider lässt er dabei den Koffer los, der noch über die oberste Stufe hängt, und langsam, aber unerbittlich sich in Bewegung setzt, abwärts. Die beiden Männer sind Mr. Laurel und Mr. Hardy, Stan & Ollie, und das Koffermissgeschick erinnert an die "Music Box", den legendären Zweiakter, in dem sie unter Aufbietung all ihrer Kräfte ein Klavier eine nicht enden wollende steinerne Treppe hinaufbugsieren, aber sobald sie oben sind ... Ein veritabler Sisyphos-Job, eine Herzszene des amerikanischen Slapsticks, der sich abmüht, die Dinge aus ihrem natürlichen - was ist natürlich im Slapstick, in der amerikanischen Gesellschaft?! - Gleichgewicht zu bringen, um sie dann wieder dorthin zurückzubugsieren. A fine mess!

Stan & Ollie sind alt geworden im gleichnamigen Film von Jon S. Baird, es ist das Jahr 1953, sie sind auf einer Tournee durch die englischen Theater und Music Halls, auf fremdem Terrain - nicht ganz so fremd für Stan, der in England geboren ist -, mit den erfolgreichsten Nummern ihres Kino-Repertoires. Steve Coogan verkörpert Stan, John C. Reilly verkörpert Oliver, und die beiden hatten von Baird Bedenkzeit gewährt bekommen, sich aber dann den beiden Komikern nah genug gefühlt, um die Rollen zu übernehmen. Hollywood hat sich schon mehrmals getraut, das Leben der alten Slapsticklegenden in neuen Filmen durchzuspielen, Donald O'Connor, der Wirbelwind aus "Singin' in the Rain", hat Buster Keaton verkörpert, Charles Chaplin hat gewissermaßen den alten Charlie selbst gespielt in "Rampenlicht" - inklusive eines gemeinsamen Auftritts mit Buster -, auch Harold Lloyd hat in späten Filmen seine Slapstick-Jugend reflektiert.

Ein absoluter Gücksmoment kommt, wenn sie den "Trail of the Lonesome Pine" singen

"Stan & Ollie" ist ein gemächlicher, zärtlicher Film, ein wenig unerwartet von einem wie Baird, der davor den saugroben Film "Drecksau" machte, mit James McAvoy. "Stan & Ollie" beginnt mit einem Prolog 1937, beim Dreh von "Way Out West", die zwei gehen langsam durchs Filmatelier, an Statisten, Freunden, Fans vorbei, dann geht es los mit der "Action". Die beiden fangen an, sich zu wiegen, es ist die berühmte Tanzszene vor dem Saloon, und in wenigen Einstellungen geht der Film über in die fertige Szene, auf der Leinwand eines großen Kinos, und zu den Zuschauern, die lachen und sich freuen über die Szene. Es ist ein spontanes Lachen, es macht aus den beiden auf der Leinwand und den Zuschauern davor eine verschworene Gemeinschaft.

Die Kehrseite dieser Gemeinschaft wird dann deutlich, wenn der Film ins Jahr 1953 geht. Stan hatte versucht, beim Produzenten Hal Roach einen besseren Vertrag zu bekommen, vergeblich, das erfolgreiche Team kam dadurch auseinander, Ollie machte einen Film ohne Stan, "Zenobia", mit Harry Langdon. Die Tournee nun ist erst mal kein sehr großer Renner, auch ein neues Filmprojekt - "Robin Hood" - wird wohl nichts werden, Oliver hat Beschwerden mit dem Herzen, soll auf Anraten des Arztes sich den Stress nicht antun. Und die Geschichte mit dem Fremdgehen, dem "Elefantenfilm", traumatisiert weiterhin.

Anders als in Wirklichkeit hat Drehbuchschreiber Jeff Pope ein Happy End für die beiden, mit einem berührenden Triumph in Irland. Ihre Ehefrauen kommen nach London nachgeflogen - man hat noch in Erinnerung, welche Ehemiseren Stan und Ollie in einigen ihrer Filme durchstehen mussten, aber diese beiden Frauen - Shirley Henderson als Mrs. Lucille Hardy und Nina Arianda als Mrs. Ida Laurel, die gern erzählt, wie sie mit dem großen Preston Sturges drehte - sind am Ende die besten Buddys, händchenhaltend.

Die Kunst der Maskenbildnerei ist manchmal verblüffend in diesem Film, und manchmal verstörend. Vor allem John C. Reilly hat gehörige Fettschichten draufgelegt bekommen - aber man weiß, welche Spuren das Alter und die Müdigkeit in den Fünfzigern in den Gesichtern von Stan & Ollie hinterlassen haben. Nicht durch Abbildung, Widerspiegelung, Imitation kommen Steve Coogan und John C. Reilly Stan & Ollie und deren "pure magic" nahe, nicht indem sie die Szene dominieren. Die Szene selbst gibt den Schwerpunkt vor, Stan & Ollie entwickeln ihren Rhythmus daraus, mit Ebenmaß, Beweglichkeit, Leichtigkeit. Vom Vertrauen und der Selbstsicherheit hat Reilly erzählt, "die es braucht, um als Schauspieler vor Publikum auch nur zehn Sekunden lang absolute Stille auszuhalten". Das ist die Kunst des Slapsticks, also des Kinos überhaupt, auf die Stille reagieren, die Leere, das Nichts. Zur Verbindung von Sentiment und Anarchie kommt es, wenn Stan & Ollie, Coogan und Reilly, den "Trail of the Lonesome Pine" singen und swingen. Ein absoluter Glücksmoment.

Brauchen wir diesen Koffer denn, fragt Ollie und schaut die Treppe hinunter. In seinem Blick deutet sich an, dass man durchaus sisyphosianisch glücklich sein kann.

Stan & Ollie, GB/USA 2018 - Regie: Jon S. Baird. Buch: Jeff Pope. Kamera: Laurie Rose. Musik: Rolfe Kent. Mit: Steve Coogan, John C. Reilly, Shirley Henderson, Nina Arianda, Danny Huston, Rufus Jones, John Henshaw. Square One, 97 Minuten.

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